von Kristoffer Leitgeb, 13.11.2015
Angestrengter Hausbau zwischen anziehendem Pop und fragwürdigem Prog.
Es gibt Grenzen. Das wissen wir vor allem, weil in der politisierten Welt eigentlich nur mehr drüber geredet wird, ob man sie geschlossen oder offen halten soll und wie es sich denn bis in die Unendlichkeit mit ihnen verhalten soll. Dort nimmt das bisweilen kindische Züge an, streift massiv an der Idiotie an und führt zu Diskussionen, die zum Kopfschütteln verleiten. Die Kunst macht es sich seit jeher einfacher, propagiert die Grenzenlosigkeit als Nonplusultra. Nicht umsonst hat Schiller dereinst groß deklamiert: "Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit." Recht so! Und doch will es nicht so ganz klappen, möchte man meinen. Der Geschmack der Vielen macht dem einen Strich durch die Rechnung, nicht alle sind nämlich dazu bereit, Kunst nur um der Kunst Willen zu machen. Die Grenzen schaffen sich also quasi selbst, ob es die von der Muse Geküssten jetzt wollen oder nicht. Meistens wollen sie ja, weil so ein nettes Drinnen und Draußen ist ja auch in Malerei, Musik und Literatur ganz nett, um zu wissen, was sein darf. Wer sich dagegen wehrt, muss sich entweder als ambitioniert, mutig, selbstverliebt oder geistesgestört brandmarken lassen, in manchen Fällen, wie etwa bei Roger Waters, ergibt das schon mal die Qual der Wahl. Wohin die Franzosen mit ihrer Entdeckung hinstreben, das wird auch nicht so wirklich in einem Adjektiv festzuhalten sein.
Aber sie wollen auf "Discovery" unter Garantie Grenzen hinter sich lassen, ausprobieren, neues Terrain erobern. Ambitioniert ist das schon mal. Mutig vielleicht weniger, bizarrerweise führt nämlich der große Schritt weg vom Debüt "Homework" in die eigene Vergangenheit, also doch wieder in altbekannte Gefilde. Die glitzernden Welten der 70er und 80er gilt es einzufangen, kindliche Freuden gilt es wiederzuentdecken und bestenfalls auch gleich zu verkörpern. Deswegen klingt die LP auch oft genug zwar nach House mit Funk-Einschlag, aber irgendwie doch nach einem ziemlich bunten Disco-Besuch - und zwar in der Disco, in der wirklich noch Disco gespielt wurde.
Dass das kein einfallsloses Nostalgie-Schauspiel wird, beweist das Duo vor allem mit der geballten Kraft ihrer Singles. Man hat mit One More Time nämlich nicht ganz zu Unrecht die Welt erobert, die Kombination aus Romanthonys R'n'B-inspirierter, vom Vocoder verzerrter Stimme, dem pochenden Beat und dem nimmermüden Synthie-Sample lässt wenig Raum für Kritik, sticht auch die zum Ende aufkommende Monotonie locker aus. Mit dem House-meets-Rock-Spektakel von Aerodynamic und dessen Synthie-Gitarren schlägt man in die gleiche Kerbe, das unwiderstehlich funkige und in kühler Einförmigkeit inszenierte Harder, Better, Faster, Stronger übertrifft beide noch.
Doch nach einem furiosen Beginn, in dem selbst das etwas gar kitschige Digital Love noch positiv in Erscheinung tritt, zerfällt das Album in der Folge mehr und mehr. Bangalter und de Homem-Christo haben auf "Discovery" den Kitsch zum Programm gemacht, parodieren ihn genauso, wie sie ihm mit ihren teilweise endlosen, einfach gestrickten Melodien alle Ehre machen. Man kann Digital Love kaum hören, ohne nicht den eigenwilligen Humor der Franzosen hinter den miesen, komplett überzuckerten Romantik-Ausflüssen im 80er-Stil mitzubekommen. Blöderweise vergessen sie aber ab den anstrengenden Soundspielereien von Crescendolls, einem hyperaktiven und doch lahmen Partytier, das sich mit nervigen Chants und banaler Ausformung bemerkbar macht, viel zu oft darauf, ihren Explorationen nicht gänzlich die poppige Anziehungskraft und ihren Charme zu nehmen. Das an Elektronik-Soundtracks erinnernde Short Circuit oder die angestrengt funkige, komplett abgespeckte Ballade Something About Us kommen hölzern bis lächerlich rüber, ignorieren die fehlende Wirkung bestenfalls durchschnittlicher Zeilen und zum Leitmotiv erhobener Monotonie. Den Vogel schießt dahingehend das bedenklich mühsame Veridis Quo ab, ein knapp sechsminütiges Abdriften in eine Elektronik-Version epochaler Filmmusik, von vorne bis hinten mit billigem Klang und dank fehlender Ideen wirklich elendiglich lang. Man verkalkuliert sich, wird langweilig und nervig, allein weil die zweite Hälfte kaum für eine Daseinsberechtigung kämpft.
Lediglich mit dem starken Face To Face überzeugen Daft Punk dort wirklich. Vielleicht passt es dort gerade deswegen, weil man konventioneller wirkt, weniger der Extravaganz frönt. In klassischer Funk-Manier überzeugt der Songs mit seinen großartigen Riffs, starkem Beat und den bruchstückhaften Samples, die ihm eine erfrischende Dynamik verpassen. Dazu kommt Todd Edwards' Gastauftritt als Sänger, den die Franzosen nicht nachträglich manipulieren, damit für einen sehr organischen Augenblick sorgen, der dem klassischen Bild des funkigen Dance-Pop wohl am ehesten entspricht und es blendend umsetzt.
Möglicherweise hätte es einem einstündigen Trip durch alle greifbaren Ideen des französischen Duos ganz gut getan, öfter organisch und gewöhnlicher daherzukommen. Das hätte für Abwechslung gesorgt auf einer LP, die ein bei Zeiten großartiges, an anderer Stelle äußerst anstrengendes Kaleidoskop der elektronischen Musik darstellt. Jeder Song eine Referenz zu Vorbildern, zur eigenen musikalischen Kindheit, zu den Tugenden und den großen Lastern der 70er. Das sorgt in den fähigen Händen der Franzosen für großartige quasi-Pop-Songs, die sich spielerisch, locker und kurzweilig gestalten, allerdings auch für exzessive Zurschaustellung der eigenen großen Schwäche, extravaganter Monotonie ohne erkennbares Ziel. Ob das reicht, um sie ganz sicher mit irgendeinem Adjektiv abspeisen zu können, sei dahingestellt, Meisterstück ist "Discovery" aber keines.