von Mathias Haden, 15.11.2015
Synthie-Bombast als Lebensversicherung einer erfolgsverwöhnten Truppe - nicht die beste Entscheidung, aber auch nicht die schlechteste.
Hallo Welt, wir sind Coldplay, wohnhaft im Herzen des UK und seit wir dich erobert haben, sitzen wir mit speckigen Hintern überaus bequem auf dem Thron der musikalischen Nahrungskette. Einst mit Parachutes (Fallschirmen) auf der Erde angekommen, um mit schläfrigem Folk-Pop zu reüssieren, schließlich den Planeten mit längst eingeschlafenem Pop-Rock erobert, nur um uns schließlich über die trockenen Keyboard-Sounds amüsieren zu können, die ihr Trottel uns noch immer wie gierige Hyänen unter den Fingernägeln hervorkratzt.
signiert: Coldplay
Kommt das eigentlich jemandem bekannt vor? Wenn nicht, kennt er wohl die fünfte LP der Briten um Chris Martin noch nicht. Jedenfalls jault zumindest mir diese Message mit jedem Synthie-Spritzer, jedem Stadiongewimmer und jeder dramatischen Hook von Mylo Xyloto aus tiefster Seele ins Gesicht. Die Auktion um das Patent für Pathos in seiner reinsten Form hat der neureiche Chris Martin in einer wahren Nervenschlacht mit Bono ja schließlich für sich entscheiden können, trotzdem treffen einen Zeilen wie "You use your heart as a weapon / And it hurts like heaven" auch nach einer vollen Dekade mit der Band noch mit voller Wucht. Dass der zugehörige Track Hurts Like Heaven auf käsigen Keyboardsequenzen aufgebaut ist, fällt da eigentlich fast gar nicht ins Gewicht, ist man fast schon gewillt, sich ohne Gegenwehr von seiner schwunghaften Natur mitreißen zu lassen. Man sieht, vom Titel allein sollte man sich nicht auf falsche Fährten locken lassen, auch wenn man gerade bei Coldplay in der Vergangenheit schon so manche Erfahrung machen konnte - ansonsten müsste man Mylo Xyloto schon mit Blick auf die Tracklist und Titel wie Every Teardrop Is A Waterfall, Us Against The World oder Up In Flames auf ewig ins Plattenregal verbannen.
Diesen Vorurteilen werden sie schließlich aber auf Paradise gerecht, einer dieser schmierigen Weltschmerzhymnen, die ihre flachen Texte nicht nur mit Woohs und Hoohs kaschieren wollen, sondern ihren Woohs und Hoohs noch ein paar flache Textzeilen als Lückenfüller zur Seite stellen. Kaum zu ertragen jedenfalls, von der ersten bis zur letzten Sekunde. Immerhin bleibt dieses Stück der tragische Tiefpunkt einer ansonsten erfreulich lebhaften LP. Das liegt in erster Linie wohl daran, dass sich die Band nach dem spröden X&Y und dem kontrastvoll beschwingten Viva La Vida Or Death And All His Friends einiges von ihrem Verständnis für hübsche Melodien bewahrt hat. Von bodenständig kann zwar nicht die Rede sein, so mancher würde das Quartett mit seinen Interlude-Experimenten und den heterogenen Produktionstüfteleien zwischen Elektronikexzessen und akustischem Gemaunze als aufgeblasen bezeichnen, trotzdem läuft hier schon einiges überraschend richtig.
Bedenklich scheint ohnehin nur, dass dem bekennenden Bombast-Skeptiker und Schreiber dieser Rezension ausgerechnet die überladensten Stücke, die ihre kaum strahlenden Songideen unter einer dichten Produktionsschicht verbuddeln, am meisten zusagen. Liegt vermutlich daran, dass die Briten am fünften Album nicht mehr viel zu sagen haben, aber gerade die ruhigen, songfokussierten Nummern wollen einfach überhaupt nicht zünden. So muss für die ehemalige Paradedisziplin, die gefühlvolle Ballade Us Against The World, schon mal überkandidelter Uptempo-Elektropop wie jener der Marke Every Teardrop Is A Waterfall in die Bresche springen. Auch wenn dieses hübsche Nümmerchen trotz seiner packenden Melodie in den Strophen nie richtig ausbricht und ohne Höhepunkt dahinswingt, zählt es mit seiner einnehmend heiteren Synthesizer/Gitarren/Drums-Packung zu den großen Gewinnern. Noch einen Ticken besser ist allerdings Charlie Brown, die Hommage an den beliebten Peanuts-Hauptcharakter. Hier spinnen sich ein schönes Piano-Thema, die memorabelste Melodie der LP und Martins beste Gesangsperformance zum clever aufgebauten Highlight zusammen, daneben darf sich sogar Johnny Bucklands Gitarre ein zweites Mal ins Rampenlicht spielen.
Für jede positive Überraschung, die Mylo Xyloto zu bieten hat, haben sich die Londoner aber auch wenigstens eine kleine Gemeinheit ausgetüftelt. Neben den belanglosen Instrumentals sind es gähnend langweilige 0815-Routineübungen wie Major Minus oder die unfassbar redundante Kollaboration Princess Of China mit Rihanna, die für Kopfschütteln sorgen. Bei diesen hat man Martin förmlich vor Augen, wie er seine gelangweilten Oohs und Aahs einsingt und sogar die Queen of Pop dazu bewegen kann, selbiges zu tun. Am Ende wird es mit Up With The Birds noch ein wenig kitschig, mit seinem Jekyll & Hyde'schen Kontrast aus akustischer Zurückhaltung und elektronischem Enthusiasmus kann der Track aber zumindest den Charakter dieser durchwachsenen LP dokumentieren und mustergültig auf knappe vier Minuten herunterbrechen.
Damit stellt Mylo Xyloto zwar letztlich eine deutliche Verschlechterung zum erstaunlich hörenswerten Vorgänger dar, aber auch lange nicht jenes Teufelswerk, das so manch desillusionierter Die-Hard-Fan darin sehen will. Coldplay arbeiten mit den altbewährten Formeln, verschleiern songschreiberische Schwächen mit einem höher geschichteten Sound und fahren mit dem Ergebnis, 44 minütigem Synthie-Bombast, gar nicht einmal so schlecht - da tut es auch wenig zur Sache, wie selbstgefällig sich Martin und Konsorten hier anbiedern. Ein bisschen Verständnis wäre schon angebracht, immerhin ist es them against the world...