von Kristoffer Leitgeb & Mathias Haden, 23.07.2016
Hook-Spektakel zwischen unterkühltem Emotionsmoment und dem Funkeln in den Tasten.
Während die Tatsache, dass mittlerweile die Welt der modernen Musik zunehmend ausgeforscht scheint, manche in die Langeweile treibt, ergibt sich daraus zumindest für die vereinigten Künstler ein kleiner Bonus. Die wissen nämlich meistens schon, was sie nicht mehr machen dürfen, damit bei ihnen alles glatt laufen kann. Der geneigte Hard-Rocker weiß heutzutage, wie er zu klingen hat, der Dubstep-Bastler genauso. Alles schon von anderen eruiert. Wie könnte es im Synth-Pop, diesem kreativen Kind der 80er, anders sein? Man braucht Hooks, Hooks, Hooks, darf nicht zu klinisch klingen und muss ja schauen, dass man weder an der Klippe des unausstehlichen Kitsch anstreift, noch an der trockener Langeweile. So einfach und doch scheitern etliche daran, aus sowas eine ordentliche LP zu machen. Wie schon beim Brexit-Votum gilt auch hier: Die Schotten zeigen, wie's richtig geht.
Auch wiederum nicht alle Schotten, aber notfalls reicht auch ein Trio mit Schreibfehler als Vorzeigemodell in einem ansonsten im Müll ersaufenden Genre. Alte Leier, aber es soll ruhig klar werden, dass das Debüt der drei Programmier-Weltmeister aus dem kargen Norden den Großteil der Konkurrenz abhängt. Nun gut, womit? Bereits im antiken Griechenland wusste man, für den idealen poppigen Elektronik-Track nehme man einen pulsierenden Beat, dem zu Entrinnen unmöglich ist, ordentliches Synthie-Flimmern mit Hang zur penetranten Melodramatik und ein engelsgleiches Frauenstimmchen, das beim Dahinschmelzen hilft. Et voilà, schon ist We Sink fertig. Oder auch Gun. Oder auch Night Sky. Oder auch Tether. Sängerin Lauren Mayberry und ihre Kumpanen wollen es nicht anders, alles soll und muss zum potenziellen Hit werden.
Das mag man eben, selbst als singfauler Griesgram. Mayberrys unterkühlter, trotzig-kraftvoller Gesang braucht sowieso keine Unterstützung. Und obwohl das Rezept so simpel ist, weiß man mitunter nicht, welcher Ingredienz man sich jetzt wirklich widmen soll. Alle würden die Aufmerksamkeit verdienen, seien es die unerbittlich antreibenden Beats - spätestens mit dem mystisch-düsteren Science/Visions tippi-toppi - oder dann doch wieder die unerwartet natürlich und vital wirkenden Soundcollagen zwischen abgehackten Stimm-Loops, glitzernden Retro-Synths und sporadischen Industrial-Spritzern.
Es wäre grundfalsch, die Schotten als Innovatoren zu begreifen, die einen in ungekanntes Terrain entführen. Im Gegenteil, sie bauen auf dem leicht angestaubten Fundament von New Order, Eurythmics oder den Pet Shop Boys, zimmern ihre Songs aber mit so einer beeindruckenden Präzision und Mühelosigkeit zusammen, dass sie sich aus dem Stand in die erste Reihe eines ganzen Genres katapultieren. Dass man nicht überhaupt gleich allein am Gipfel residiert, liegt daran, dass offenbar irgendwer geglaubt hat, man müsste doch noch für etwas Abwechslung sorgen. Deswegen sind inmitten der Up-Tempo-Hämmer - die allesamt ein bissl danach klingen, als hätte Mayberry insgeheim mit der Liebe und Männern abgeschlossen - auch diese vermeintlich atmosphärischen Minuten, die die Emotion erst suchen müssen, anstatt sie einfach in sich zu tragen. Im Synth-Pop ganz schlecht, weswegen Recover ziemlich ins Nirgendwo führt und mit den gesangslosen Gesängen der Typen hinter Mayberry das finale You Caught The Light überhaupt zur lähmenden Erscheinung wird.
Aber hey, wie sagt der selbstgerechte Waschlappen? Nobody's perfect! Also brauchen auch Chvrches gar nicht daran zu denken, was "The Bones Of What You Believe" eigentlich so gar nicht daran hindert, ein ziemlich großartiges Pop-Debüt zu sein. Zugegebenermaßen eines von der Sorte, bei denen man befürchten muss, dass sie einem nach dem x-ten Durchgang etwas am Hintern gehen wird. Die Variable x ist allerdings unbekannt und möglicherweise achtstellig, also sollte man ihnen daraus keine Strick drehen.
K-Rating: 8 / 10
Die Vorzüge eines gelungenen Debüts in einem einzigen Namen zusammengefasst.
Welcome to Scotland! Kleiner und mit weniger Menschen gesegnet als Österreich, wirkt das Land im direkten Vergleich nicht erst seit des Brexit-Votums ungleich aufregender als das "unsrige". Dennoch, ein komisches Völkchen, diese Schotten. Zwischen Haggis, Kilt, Dudelsack und dem wohl geschichtsträchtigsten Fußballderby der Welt muss ja auch einiges an Skurrilität stecken. Dadurch, dass Schottland mit Künstlern wie Donovan, The Jesus and Mary Chain, Belle and Sebastian oder Biffy Clyro (Live eine Macht!) aber praktisch in jeder Dekade zumindest ein Ass im Ärmel hatte, hat das Land ohnehin das eine oder andere Kinkerlitzchen gut. Chvrches, die Synth-Pop-Senkrechtstarter der 10er Jahre, müssen zwar als Ensemble nicht im selben Atemzug mit den vorigen genannt werden, haben aber eine Waffe, auf die keiner der genannten Acts zurückgreifen kann: eine Frontfrau wie Lauren Mayberry.
Dass das gefeierte Debüt der Truppe, The Bones Of What You Believe, zu solch einem kurzweiligen Ritt gerät, liegt zu knapp 80% an der aufstrebenden Sängerin, deren Aktien mittlerweile so hoch gestiegen sind, dass gemeinsam mit gestandenen Bands wie The National musiziert werden darf. Die liebliche Stimme der bekennenden Feministin ist es nämlich, die den Hörer bei einer für Synthpop doch fordernden Gesamtlänge von knapp 50 Minuten bei der Stange hält. Besonders auf den Singles The Mother We Share oder We Sink, die einem wie kaum andere als Stücke eines ultimativen Sommersoundtracks im Kopf herumgeistern, brilliert Mayberry, hebt sich über unfassbar eingängige Melodien und gehaltvolle Synthesizer hinweg und untermauert ihre Stellung als sympathischste Stimme der elektronischen Hemisphäre. Eigentlich hat der Kollege ja recht, herhalten dürfte – in meinem Fall halt auf die bezaubernde Darbietung der Leaderin heruntergebrochen – das Gros der zwölf Stücke der LP. Selbstverständlich ist Chvrches keine One-Woman-Show, sind ihre beiden Kollegen, die aus Zeit- und Platzgründen jedoch nicht namentlich erwähnt werden, mit ihren Beiträgen überaus präsent. Gerade das zurecht gelobte Science/Visions gerät in deren (und einigen anderen) Händen zum unheilvollen Synth-Erlebnis, während ihnen auf den ebenfalls verdientermaßen gewürdigten Gun oder Night Sky lediglich das Schicksal zum Verhängnis wird, dass ihre Kollegin eine Glanzleistung abliefert und ihnen wie so oft die Schau stiehlt.
Drängt man die Arme in den Hintergrund, schaut's schnell verdammt düster aus. Was auf Under The Tide dank quirrliger Keyboards und dröhnendem Beat einigermaßen glimpflich vorbeizieht, trifft im strunzlangweiligen Closer You Caught The Light dafür mit verhundertfachter Stärke ins Gesicht.
Davon darf man sich aber nicht entmutigen lassen, denn auf The Bones Of What You Believe gelingen Chvrches einige der größten Synth-Hymnen, die nach den 80ern geschrieben wurden. Kaum Tracks aus dem elektronischen Bereich gingen in den letzten Jahren so nah ans Herz wie die besseren auf dem Debüt der Schotten. Ohne ihre Sängerin wären die Elektronikfreunde trotz solider Arbeit an den Keyboards allerdings wohl genau so interessant, wie die alljährlichen Instrumentalsommerhits samt House-Einschlag und dem obligatorisch gewordenen Saxophon-Sample. Dann doch lieber der Dudelsack...
M-Rating: 7 / 10