von Kristoffer Leitgeb, 24.04.2019
Gerade genug Kanten, um nicht unterzugehen. Und genug Geschmacksverirrungen, um sich darauf nichts einbilden zu können.
Vielen dürfte es wohl nur sehr bedingt auffallen, aber österreichische Musik ist im Moment eigentlich relativ In. Das nicht unbedingt so sehr, dass man damit rechnen könnte, alsbald einen Erfolg in der Dimension von Rock Me Amadeus miterleben zu dürfen, aber dann doch in weit größerem Ausmaß, als man das viele Jahre hinweg gewohnt war. Es waren das die Jahre, in denen plötzlich deutschsprachige oder gar im Dialekt gehaltene Singles dem Regionalradio vorbehalten waren, in denen trashige Dance-Hymnen der heimische Exportschlager waren, in denen zum Beispiel auch Song-Contest-Beiträge nur dann im Gedächtnis geblieben sind, wenn ein steirischer Anarchokomiker die Bühne in Beschlag genommen hatte. Triste Zeiten für Bands und Solisten aus hiesigen Breiten, schon hinterste Chartplatzierungen waren eigentlich ein überraschender Erfolg, sieht man von medial gepushten Eintagsfliegen ab. Eine solche hätte aller Logik nach eigentlich auch Christina Stürmer sein sollen, wäre sie nicht sympathisch, hartnäckig und massentauglich genug gewesen, um als wohl einzige Künstlerin des Landes neben DJ Ötzi - und damit als eindeutig beste - eine dauerhafte Etablierung auch im bundesdeutschen Raum hinzubekommen und dort genauso Gold und Platin einzuheimsen. Streichelweichem Pop, einem gefühlten Hauch von Eigenständigkeit und vor allem "SchwarzWeiss" sei Dank.
Denn ohne dieses Album hätte es wohl auch keinen Erfolg in Deutschland gegeben. Eine Quasi-Compilation, zusammengestellt aus dem Würdigsten, was die beiden LPs der Oberösterreicherin bis dahin anzubieten hatten, um den Deutschen zu zeigen, was Good Ol' Austria so anzubieten hat. An und für sich ist das künstlerische Magerkost, was sicherlich darin begründet liegt, dass die Sängerin ihre ersten Schritte auf der Starmania-Bühne und damit in der milieu- und geschäftsbedingten musikalischen Austauschbarkeit der Casting Shows gesetzt hat. Allerdings ist es ja nun Teil des Stürmer'schen Erfolgs, dass sie sich aus dieser aufgezwungenen Blässe zumindest ein bisschen herausheben und den nichtssagenden Pop, der für sie geschrieben wurde, einigermaßen authentisch aufbereiten konnte. "SchwarzWeiss" kann genau damit punkten, unter anderem auch deswegen, weil man sich die Mühe gemacht hat, das vermeintliche Best-Of-Material neu einzuspielen und dabei mit ein bisschen lauteren Gitarren, ein bisschen mehr Rock-Romantik zu verstärken. Das mag ein billiger Trick sein, wirkt allerdings mitunter verdammt gut, wie man an der zwar in Deutschland gefloppten, ansonsten aber für Stürmer erstklassigen Single Vorbei merkt. Die bringt die Sängerin dank passendem Drive und jugendlich-frecher Abrechnungsthematik ungefähr dorthin, wo Avril Lavigne mit Sk8er Boi war, also im auf die Charts maßgeschneiderten Pop-Punk - hier mit ganz, ganz kleinem Punk geschrieben.
Und so pflügt sie mitunter eigentlich souverän durch diese Tracklist, die im Titelsong, genauso wie in So Wie Ich Bin oder dem zaghaft anklingenden Glücklich recht ordentlich die Gitarren sprechen lässt und einmal zweifellos mit ordentlichen Hooks punkten kann. Die moderat lautere Szenerie ist überhaupt ein Gewinn für die Sängerin, blüht sie doch bei höherem Tempo und starker Unterstützung im Hintergrund auf, kann auch leichter durch ihre gesanglichen Schwächen durchtauchen und stattdessen mit ihrer Natürlichkeit punkten. Das trägt sie klarerweise nicht in höchste Höhen, auch wenn Vorbei und Glücklich, genauso wie das wutgetränkte Liebt Sie Dich So Wie Ich schon gute Argumente für Stürmer sind.
Das Rückgrat des Albums ist allerdings eine stabile Ordentlichkeit, die poppiges Standardwerk wie ihren ersten Hit Ich Lebe zwar auf der einen Seite ohne nennenswerte Eigenheiten hinterlässt, ihn andererseits aber angenehm hörbar und eingängig macht. Und wenn der Pop nach irgendetwas verlangt, dann nach diesen Eigenschaften. Darüber hinaus zählen Engel Fliegen Einsam und Mama (Ana Ahabak) zu den stimmigeren Exemplaren des Balladenkosmos, in denen Stürmer stimmlich dahingehend überzeugt, dass sie weder den schmachtenden Pop-Rock noch das trotz Streichern nicht in Melodramatik versinkende Antikriegsdrama in kitschiges Terrain abrutschen lässt.
Wen es da überrascht, dass Christina Stürmer trotz des erwähnten qualitativen Plafonds bei all den positiven Momenten nicht zumindest ein grundsolides Album zugestanden wird, der hat die Headline nicht aufmerksam gelesen. Denn da ist von Geschmacksverirrungen die Rede und die gibt es. Natürlich findet man sie primär in den Texten, wobei wir alle jetzt einmal freundlich genug sind, um darüber hinwegzusehen, dass ein Popalbum dieser Art seinem Wesen nach eine Plattitüdenansammlung sondergleichen ist. So etwas ist bei aller Wertschätzung für tatsächliche Kreativität auf diesem Gebiet verschmerzbar, weil es sich über musikalische Güte leicht ausbügeln lässt. Schlimmer ist es da schon, wenn man für vermeintlich einfallsreiche Metaphern das Hochdeutsche bemüht und massakriert, auf dass gestelzte Grausamkeiten wie 4 Jahreszeiten oder Kind Des Universums daraus entstehen. Das ist nicht einfach schmalzige Fadesse, es ist allein sprachlich und damit rhythmisch ein Fingernagelkratzen an der Tafel, auf dass es einem alle Haare aufstellt. Es wird auch nicht erklärt, warum man die Liebe unbedingt mit den Jahreszeiten vergleichen soll, dann gar "warten" und "festhalten" zu reimen gedenkt und ein beziehungstechnisches Missverständnis in solch pseudopoetische Form presst. Derlei Fragen zerschellen aber an dem tödlichen Eisberg, den Kind Des Universums darstellt. Nicht nur, dass diese Mischung aus Gitarren, weichgeklopften Drums und Streichern in dieser Form ein kitschiges Verbrechen ist, textlich ist es ein umso schlimmeres Machwerk bedeutungsschwangerer Inhaltsleere:
"Ich, ein Kind des Universums
Such immer nach Vollkommenheit
Sehe, dass die Wahrheit so unerreichbar bleibt
Im hellen Glanz der Sterne find ich, was ich ersehne
Ein Platz im Universum meiner Träume
Wieviel Salz ist in all meinen Tränen
Wonach soll ich mich noch sehnen
Von wem wurde der Kuss erfunden
Warum denk ich heute an Morgen
Wohin gehen die Engel mit mir
Bist Du mein Lebenselexier"
Das ist nicht viel mehr als ein Bullshitbingo des vermeintlichen romantischen Songwriting und damit ein trauriger, eigentlich schmerzhafter Tiefpunkt in der Karriere der Österreicherin. Selbst die grässlichen Synthies im Intro von Immer An Euch Geglaubt sind im Vergleich dazu harmlos, auch wenn sie den Song schon früh zu einer unliebsamen Erscheinung machen, die eigentlich nur die dumpfsten Instinkt eines Stadionpublikums ansprechen will.
Nun kann man zynisch anmerken, dass ja "SchwarzWeiss" als Ganzes nicht viel mehr macht, als die dumpfen Instinkte von Gelegenheitsmusikhörern zu bedienen. Man würde damit wohl auch ziemlich gut ins Schwarze treffen, dabei aber wohl das Weiße - badumm-tss - übersehen. Denn das zeigt einem, dass das Pop-Handwerk die meiste Zeit eigentlich durchaus ordentlich betrieben wurde. Begünstigt wird das durchaus auch durch die musikalische Neuausrichtung des Albums, durch die zwar alles nur kein Paradigmenwechsel stattfindet, immerhin aber ein Schritt in eine Richtung getan wird, die den rockigen Anteil im Pop der Österreicherin merklich erhöht. Damit ist dann das Gesamtpaket weitaus vorteilhafter, als man es vermuten könnte. Zwar wird man nicht wirklich glücklich damit, wie wenig an Ecken und Kanten man präsentiert bekommt, die geschliffene Präsentation ist aber immerhin nicht komplett seelenlos und hat vor allem dank Christina Stürmer selbst noch genug an sympathischen Zügen, um einen phasenweise für sich zu gewinnen.