von Kristoffer Leitgeb, 15.07.2016
Die Sängerin findet etwas Mut, die Band ein wenig Freiraum, nur gute Songwriter vermisst man zu oft.
Genau heute in zwei Monaten feiert diese LP ihren zehnten Geburtstag! Und das ist komplett wurscht. Weil es eben noch 60 Tage bis dahin sind und weil es um Christina Stürmer geht und damit...eh schon wissen. Das große Spektakel ist also abgeblasen, bevor noch irgendwas beginnen konnte. Aber ein bisschen Aufmerksamkeit verdient sich das Album, wenn auch nur für den Umstand, dass es das beste reguläre aus der Stürmer-Schmiede ist. Mögliche negative Schlüsse, die sich aus dieser Info in Kombination mit dem vergebenen Rating ziehen lassen, seien einmal beiseite geschoben. Stattdessen gilt es, einen Blitzableiter einzubauen, der die Oberösterreicherin und ihre musizierenden Kameraden von großer Kritik abschirmt. Die können nämlich gar nicht allzu viel dafür, dass "Lebe Lauter" alles andere als treffsicher ist. Das Fadenkreuz findet andere Schuldige.
Es winken die Songwriter, die allzu oft wenig mit der Band zu tun haben, aber eben doch ihren Beitrag dafür leisten dürfen, dass Christina Stürmer zumindest ein Dutzend Songs für ihre Longplayer zusammenbekommt. Sie selbst schreibt ja nicht, was sie unweigerlich doch wieder ins Fadenkreuz rückt, aber das ist jetzt mal nebensächlich. Es ist also weniger die Form der Aufbereitung, sondern eher das in Papierform existierende Liedgut, an dem man sich manchmal sehr stößt. Da kommen dann Tracks mit so aussagekräftigen Titeln wie Die Welt oder Reine Nebensache oder Sonne Hinter Dem Nebel - ok, den hat tatsächlich der Gitarrist mitgezimmert - und manifestieren sich als textlich wie musikalisch unförmige Ballade oder zumindest als zur Melodie gewordene Nichtigkeit. Jetzt kann man natürlich gerne einwenden, das wäre ohnehin das Geschäft einer so penetrant uninteressanten Musikerin wie sie es ist. Aber zum einen erwartet man von Pop-Sängerinnen üblicherweise keine bahnbrechende Innovation oder ähnliches, was bei diesen Musik-Gourmant-Kotzbrocken mit Cpt. Beefheart als Lieblingsband wirklich Interesse wecken würde. Zum anderen ist Stürmer eben nicht immer unbrauchbar. Vor allem diesmal eigentlich nicht.
Und genau das ist so schade. Denn hier ist einiges im Einklang, wie es scheint. Vielleicht darf man es als Signal verstehen, dass plötzlich die Band auf dem Cover zu sehen ist. Auf alle Fälle verdient es die LP tatsächlich, dass man ihr das Rock-Pickerl aufdrückt. "Lebe Lauter" kennt die moderat röhrenden Riffs, kennt das atmosphärische Gezupfe, kennt ein fast mutiges abgehacktes Gewand, kennt vor allem etwas, das man Energieausbruch nennen darf. Ein Songwriter-Team mit dem klingenden Namen 3typen ist dafür verantwortlich, dass endlich jemand diesem Trupp das richtige Fundament verpasst. Textlich bewegt man sich mit dem Titeltrack oder Hitsingle Scherbenmeer deswegen schon fast auf dem Terrain konkreter Aussagen und schafft es, diese wirklich ansprechend in Szene zu setzen. Einmal als antriebsstarker Pop-Rock, der ungemein von der einigermaßen trockenen Produktion profitiert und in dem einem nur dann eine gitarrenlose Sekunde begegnet, wenn zufällig einer ordentlich auf die Drums draufhaut. Dann wieder als das, was man gemeinhin stimmungsvolle Ballade nennt. Nun merkt man der die Inszenierung an, aber auch das Durchblicken eines unkalkulierten Klangs, in dem der Charakter der Band etwas Freiraum genießen darf. Und dazwischen steht und singt eine, die immer schon sympathisch war, der man ihre gesanglichen Schwächen aber noch nie so wenig angemerkt hat. Eine alte Weisheit, dass ein bisserl Tam-Tam an der Instrumenten-Front der mäßig begabten Person am Mikro unter die Arme greifen kann. Sie funktioniert aber auch immer. Auf alle Fälle weiß sich Christina Stürmer einzubetten in dieses sporadisch ganz rockige Pop-Gewand, das Riffs und Drums manchmal sogar sehr gleichberechtigt ins Rampenlicht rückt.
Das allein ist der Grund dafür, dass dieses Album eben keine ausgedehnte Langeweile ist und dass neben fast schon routiniert runtergespielter Nettigkeiten wie Nie Genug oder Unsere Besten Tage eben auch Ausreißer ihr Plätzchen finden. An deren Spitze steht Seite Eins, vielleicht gar der Höhepunkt einer ganzen Karriere. Zumindest ist es eine Durchhalte-Hymne der anderen Art, die überhaupt erst in den letzten Sekunden positiv daherkommt, ansonsten eher kraftlose Ernüchterung zu vermitteln versucht. Das gelingt, so kitschig die Mischung aus Marching-Drum-Intro, einer dezenten Kombination aus akustischen und elektrischen Riffs und des pflichtschuldig eingebauten Klaviers klingt. Doch gerade der recht volle Klang ist es, der den Song davor bewahrt, gekünstelt oder melodramatisch zu wirken. Überhaupt hilft es auf dem Weg zur Natürlichkeit oder zumindest beim Abwehren grausiger Momente, dass die LP ihrem Titel halbwegs gerecht werden darf und tatsächlich ein bisschen lauter und mutiger daherkommt. Sicher, man steckt auch in den wirkungsvollsten Minuten, wie der schnörkellos inszenierten Ballade Ohne Dich, in der unspektakulären Welt des gemeinen Pop-Rock. Doch das hier ist keine One-Woman-Show mehr - angeblich war es das ja nie -, stattdessen setzt man den Weg von "Schwarz Weiss" fort und lässt Akzentuierungen zu, wo in ihrer Karriere sonst so oft die banalsten Melodien und Klänge dominieren.
Gleichzeitig ist es der "gemeine Pop-Rock", der zum Prellbock wird, wenn sich die Möglichkeit zu mehr als nur einem ordentlichen Auftritt bietet. Die Band schwimmt mit ihrer Frontfrau zu oft im Ungefährlichen und nur blass Eingefärbten - farblos wäre zu viel des Schlechten - umher. Revolution ist da sinnbildlich, stellt sich zwar mit ordentlichem Riff ein, der auch mancher Pop-Punk-Band gut stehen würde, mündet aber in einen textlich und musikalisch unglaublich zahmen Refrain, der nicht nur bei dem Songtitel höchst ironisch wirkt. Kombiniert man das mit Songs wie Leadsingle Nie Genug, die sich so unfassbar wohl fühlen in ihrer Rolle als ungefährliche, charttaugliche Dreiminüter, rückt der qualitative Plafond für das große Ganze immer weiter nach unten, bis nicht mehr viel vom Glanz eines besten Albums übrig ist.
Was schade ist, gerade weil Christina Stürmer auf "Lebe Lauter" wie sonst nie wieder beweist, dass eben doch ein bissl was herauszuholen wäre aus ihr und den fleißigen Helfern dahinter. Am Ende scheint es eine Frage des verfügbaren Songmaterials zu sein, wieviel sich wirklich ausgeht. Und da wäre mit ein, zwei eingesparten Tracks, viel eher aber noch mit etwas mehr Sorgfalt bei der Auswahl der Songwriter allen geholfen gewesen. Hätte das Songwriter-Team 3typen die ganze LP geschrieben, hätte man zwar umso mehr Gelegenheit sich über den Namen lustig zu machen, ansonsten wäre ihnen aber niemand böse. Im Gegenteil, dann wäre es möglicherweise sogar dazu gekommen, dass man der erfolgreichsten Pop-Musikerin des Landes zu guter Arbeit im Albumformat gratulieren kann, anstatt sich - einmal mehr - die Rosinen herauspicken zu müssen. So ist es dann eben nur ein wohlwollendes "Ja, is eh ganz ordentlich", allerdings immer noch ihr bestes Resultat.