von Kristoffer Leitgeb, 20.06.2015
Dem Pop verpflichtet! Das sorgt für austauschbare Minuten, emotionslose Ware und den gelegentlichen starken Ausreißer nach oben.
Der gute Dostojewski, er soll mal gesagt haben: Alles ist gut! Nun, dem entgegne ich: Alles ist Heuchelei! Man kann mir da misstrauen, wird aber spätestens, wenn man beim Begriff Selbstbetrug angekommen ist, das gigantische Korn an Wahrheit hinter diesem Satz erkennen. Will man es schneller wissen, so begibt man sich in die Pop-Welt. Dort ist wenig ehrlich, authentisch oder tiefgründig. Und so hat man sich irgendwann gedacht, warum überhaupt noch so tun, wenn man mit Casting-Shows einfach noch mehr Entertainment schaffen und gleich im Fernsehen am Star von morgen basteln kann. Hat geklappt, in Österreich zumindest für die Christl. Nichtsdestotrotz ist sie dann ein eher in die Irre führendes Beispiel - schon wieder keine Ehrlichkeit, ts ts -, denn die paar Vergleiche mit Avril Lavigne sind so falsch nicht. Die Armada an Songwritern im Hintergrund hatten beide und doch blieb genug Platz für halbwegs glaubhaftes Auftreten und so etwas wie Charakter, wo er eigentlich gar nicht hingehört. Ein Jahrzehnt später scheint das bei beiden etwas in Vergessenheit geraten.
Stürmer hat es aber auch schwerer. Die Sängerin hat eben kein Songwriter-Gen und lässt sich ihre Songs immer noch schreiben, sie singt immer noch so, dass auch der nördlichste Preuße sie zu verstehen weiß, und sie ist unglaublich zahm geworden. Eine Mischung, die ihre Musik von normalem Deutsch-Pop mit leichtem Kick zu normalem Deutsch-Pop werden ließ. Zum Einstand verrät sie einem das noch nicht ganz so, denn Auf Und Davon eröffnet mit durchaus ordentlicher Rhythm Section und glattpolierten Riffs, die sich trotzdem gut im Ohr machen. Die routinierte Frontrau erledigt den Job eben so, wie sie es soll, klingt dabei zwar weniger frisch, als man es gern hätte, vernichtet damit eine gute Performance aber nicht merklich. Die Eckpfeiler Stürmer'scher Musik sind dennoch die gleichen wie immer. Der Trumpf sind offensichtlich nichtssagende Texte, die sich, wenn überhaupt, dadurch retten können, dass sie ansprechend gesungen werden, kaum aber durch ihren oberflächlichst draufgekleisterten Inhalt. Es sind absolute 08/15-Hymnen, die eine schale Lebensfreude und Motivation im Tage Wie Diese-Stil versprühen oder aber bei Zeiten peinliche Romantik-Anwandlungen für die ganz harmlosen Affären bereit halten. Und doch darf das Urteil allein deswegen kein vernichtendes sein. Der Opener zeigt schon warum. Mit dem nötigen Drive verlieren die Zeilen jede negative Energie, werden zum absoluten Hintergrund-Übel, das sich in der Musik verliert.
Würde es so weitergehen, jedem wäre geholfen. Doch genauso wie Fortuna ist auch der Drive nicht der treueste Begleiter. Die LP versinkt in der Folge nicht, doch sie lahmt merklich, wird zu einer beeindruckend unbeeindruckenden Geschichte. Hitsingle Millionen Lichter behauptet sich noch halbwegs, gibt aber trotzdem den Ton der Durchschnittlichkeit vor, der die Tracks auszeichnet. Ungefährlich wie Babykätzchen und bei der Menge an kursierenden Katzenfotos auch genauso in der Masse untergehend. Millionen Lichter versucht es mit pulsierender Bass/Drum-Mischung, mixt noch ein paar Elektronik-Teilchen dazu und fährt damit nicht einmal schlecht. Doch genauso wie beim dezent schmalzigen Titeltrack wird das Mid-Tempo-Spiel zu einer ausgewogenen Nichtigkeit, bei der sich Plus und Minus deswegen die Waage halten, weil beide quasi nicht vorhanden sind. Kein grässlicher Unterbau für ein Album, aber ohne die Fähigkeit, einen auch nur für einmal wirklich zu packen oder zu animieren.
Auch etwas interessantere Ansätze verlieren sich in dieser Melange dann bald. Herz In Der Hand geht härter an die Sache heran, macht mit seinem guten Intro-Riff kurz Anstalten, erledigt sich mit der defensiven Trägheit der übrigen Passagen aber bald. Was Machst Du Wenn Die Stadt Schläft hält dagegen länger durch. Mit dem hallenden Piano im Hintergrund und den trockenen Drums werden die Strophen mit zum atmosphärischsten, was die Platte zu bieten hat, vor allem dank des markanten Schrittes weg vom üblichen Pop-Rock-Gewand. Das kommt im Refrain unweigerlich zurück, wird plötzlich mehr und mehr und raubt so doch ein Stück des Potenzials, das da zu hören war.
Nun wäre Stürmer nicht Stürmer, würde sie diesen Songs nicht doch noch etwas entgegenstellen. Und zwar wirklich miserable Balladen. Sie hatte ihre Treffer, Mama (Ana Ahabak) legt davon Zeugnis ab, aber was finden sich da nicht immer und immer wieder für grässlich kitschige Nummern. Bei Himmel Ins All oder Wieviel Wiegt Ein Herzschlag machen schon die Titel wenig Lust auf mehr, man liegt mit dieser Vorahnung auch richtig. Musikalisch schlecht ausgeformt, zu glatt und zu rührselig, dazu eine in der Luft hängende Stimme, die nichts außer Leere und Pseudo-Emotion vermittelt. Bitte nicht...
Allerdings wäre Stürmer auch nicht Stürmer, wäre nicht doch noch ein bisschen etwas abzuholen. Man wartet einige Zeit darauf, doch die guten Momente kommen. Etwas unerwartet ist es eine der handelsüblichen Mid-Tempo-Gitarrendarbietungen, die sich von der wirklich positiven Seite zeigt. Das Stück heißt Amelie und umgehend wird klar, dass die Linzerin sich in diesem Terrain wohler fühlt. Denn die lockeren Riffs lassen Raum für gar nicht mal schlechte Zeilen rund um die Schönheitsideale der Welt, vor allem aber für eine Stimme, die sich nicht nach der Musik richten muss, dafür aber sich selbst definieren und damit für Authentizität sorgen kann. Mit Emotion wird es dann auch im Closer Ohne Dich (Ist Alles Nichts) etwas. Die dezente Ballade passt in ihrer kargen Art rund um Akustikgezupfe und leichte Klaviertöne nicht ins Gesamtbild, macht aber gerade deswegen mehr her. Vielleicht auch, weil davor mit Weltbewegend die lockere Antithese dazu für ausgelassenere Stimmung sorgt. Und das macht sie gut, sorgt für die einzige starke Up-Tempo-Nummer, die mit frischem Riff und einer revitalisierten Christl in Ohrwurmrichtung unterwegs ist.
Jetzt ist das dann so eine Sache mit dem Rating. Wieviel vergibt man der heimischen Schmalspur-Version einer Pop-Queen, wieviel lastet man ihr wirklich an? Naja, das Gesamturteil ist fast ein altbekanntes: Ein unspektakulärer Mittelbau ohne große Ambition nach oben oder unten, dafür aber die üblichen Blindgänger mit Eindruck bis zum Erschaudern und die paar positiven Ausreißer, die das auffangen müssen. Man kennt es, nimmt es hin, bewertet es entsprechend mittelmäßig. Auch weil man Stürmers Stil dann doch irgendwann zu gut auswendig kennt, um beeindruckt, aber auch wirklich enttäuscht zu werden. Ein bisschen genagt haben die Jahre vielleicht doch, ein markiger Treffer mit Rock-Attitüde wie Vorbei findet sich nämlich nicht mehr. Noch zahmer also als in ihren jüngsten Jahren, viel schlechter hat sie die Routine aber nicht gemacht.