von Kristoffer Leitgeb, 29.07.2016
Zwischen Reggae und Folk, zwischen Englisch und Wienerisch, da liegt der ideale Sommersoundtrack.
Zwei der wichtigsten philosophischen Grundfragen auf individueller Ebene lauten: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und es lohnt sich nachweislich, der Beantwortung beider nachzugehen. Wie schwer diese Aufgabe ist, liegt naturgemäß im Auge des Betrachters und auch daran, wie schwer man sie sich macht. Legt man sich ins Zeug und "verschwendet" mehr als eine Handvoll Gedanken auf die Lösung dieses Lebensrätsels, wird man aber bald merken, dass das mit dem Einklang und dem Frohsinn zunehmend komplizierter wird. Da ist die Harmonie beim Teufel. Viele entziehen sich dem, indem sie einfach gar nicht drüber nachdenken, die andern kämpfen ewig mit der Aufgabe und dann gibt es die wenigen, die sie gelöst zu haben scheinen. Und Chris Beer - the artist formerly known as Jimi D. - könnte im erlauchten Kreis dieser Glücklichen sein. Zumindest ist es das, was einem "Lion In The Sun" am allermeisten vermittelt.
Vielleicht sollte man auch nicht zu viel in die vollendete Harmonie des Albums hineininterpretieren, aber wer mit Songtiteln wie Sunshine, Füdi Frei oder You Caress My Soul ankommt, fordert sowas heraus. Die Melancholie vom kaum gealterten Vorgänger ist auf alle Fälle so ziemlich Geschichte, stattdessen könnten diese 14 Songs so manchen Motivationstrainer arbeitslos machen. Vom ersten Ton an wirkt die LP so unfassbar entspannt und ausgelassen, das Einzige, was einem noch eher auffällt, ist die beeindruckende musikalische Trittsicherheit, mit der all das umgesetzt ist. Nicht nur die Tatsache, dass manche der Tracks schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben, lässt "Lion In The Sun" wie die Vollendung einer langen Entwicklung erscheinen. Was früher hier Reggae war, dort Folk, wieder woanders Dub oder ein Hauch von Soul, wird mittlerweile reibungslos vereint, ohne irgendwo den Flow auch nur irgendwie zu stören.
Flow ist überhaupt ein gutes Stichwort, ab dem Opener Lion fließt alles gemächlich und doch mit klarem Ziel dahin, findet die nicht abzuschüttelnden Hooks und die starken Rhythmen wie von alleine. Kurz glaubt man da noch an eine Rückkehr zu fast vergessenen Tagen. Lion, das ist näher dran am Roots Reggae denn je, erinnert an die ersten Alleingänge nach der Zeit bei Rising Girl, wäre der Track mit seinen prägnant eingestreuten Riffs und dem unaufdringlichen Keyboard-Sound nicht ungleich besser austariert. Obwohl man danach noch in fast jeder Melodie ein bissl Reggae odre Ska heraushört, wandert die LP in durchaus überraschende Richtungen, ohne dabei das Hin und Her des Debüts wiederholen zu müssen. Werner wird zur Hymne auf die Bewohner der österreichischen Hauptstadt und zum Triumph des Dialekts über das Englische, könnte auch von 5/8erl In Ehr'n gezimmert sein. Entschlackt bis zum reinen Akustik-Gewand, werden vor allem die verfeinerten Reimfertigkeiten im Sammelsurium der Sprichwörter überdeutlich, egal, ob die jetzt englisch oder wienerisch sind. Aber um zu zitieren: "Des kånn ma ned afoch so me nothing you nothing kapier'n / Des muas ma g'spian."
Überhaupt wird die Zweisprachigkeit bald zur vordergründigsten Neuerung. Und man weiß zuerst nicht so ganz, passt einem die hohe, für sanfte Harmonien so prädestinierte Stimme wirklich als Imitation Falcos? Gut, der Parade-Rapper wird aus Beer nicht mehr, andererseits ist es nahezu unmöglich, irgendetwas gegen die Wiederaufbereitung der Hook von Mary Jane - auf dem Vorgänger zu finden - in Füdi Frei zu sagen. Der Sprechgesang macht's nicht unbedingt, dass keine Verbesserungswünsche bleiben. Aber spätestens im großartigen Refrain wird klar, wie viel besser sich hier alles zusammenfügt als beim "Original". Die Akustische zusammen mit dem Elektronik-Beat kann ganz viel, die präzise eingestreuten Synthie-Bits und Mundharmonika-Klänge runden ab, was schon gesanglich kaum zu toppen ist.
Andererseits, da sind halt doch noch Sunshine und Raindrops. Der erste ist zwar als Optimisten-Bekenntnis sicher nicht auf mich zugeschnitten, dafür ist er die musikalisch wohl rundeste Sache der ganzen LP. Prägnanter Bass, noch prägnanteres Schnippen, dazu - wie könnte es anders sein - ein bisserl Akustik-Zupfen und eine Stimme, die so viel Melodie mitbringt, wie man sie kaum erwartet. Genauso wenig antizipiert man das Auftauchen eines einsamen, aber überraschend gut hineinpassenden Blechbläsers - ich tippe mal auf eine Posaune, möchte aber zur Sicherheit den Publikums-Joker nehmen. Vollendete Harmonie also, fast etwas zu vollendet für meinen Geschmack. Was einer der Gründe ist, warum der Track nicht an Raindrops heranreicht. Mehr noch liegt es daran, dass Beer einen eigenen Song verbessert hat, bei dem ich nicht wusste, dass es viel zu verbessern gibt. Aber auch hier gilt: Raus aus dem Reggae und der Elektronik, hinein in die akustische Zurückhaltung und keinem Song steht das so gut wie diesem. Auch und vor allem, weil dank der weiblichen Background-Unterstützung beim Gesang der Refrain zur bisherigen Sternstunde seines Schaffens wird.
Der ein oder andere Track stolpert früher. Vielleicht ist "Lion In The Sun" auch eine Spur zu positiv und gemütlich. Man vermisst mitunter den emotionaleren Unterton, den der Vorgänger geboten hat. Hier entledigen sich dessen vor allem die ganz einfach gestrickten Songs. Zumindest wirken You Caress My Soul und Der Alternatiefseetaucher ausbaufähig. Wo letzterer erwähnt ist, bitte ab jetzt weg bleiben vom Hochdeutsch. Diese Sprache und Reggae, das sind zwei parallele Geraden. Bei Muse treffen sie sich dann doch irgendwie, aber das ist in puncto Wahrscheinlichkeit eher beim Lottosieg angesiedelt. Umgekehrte Vorzeichen dagegen bei You Caress My Soul, das der Inbegriff klanglicher Monotonie, dafür aber mitunter gesanglich ein Genuss ist. Und dann wäre da noch der Closer 21st Century Camel, der das Leben in den gesetzteren Keyboard-Sounds nur phasenweise findet und damit zur Antithese für ausgelassene Treffer wie Bumpy Road oder Right On wird.
Also doch lieber nur positiv und lebhaft? Naja, muss nicht unbedingt sein. "Lion In The Sun" hat allerdings schon ein paar verdammt gute Argumente dafür. Das Album hat auch genug Argumente für die Feststellung, dass künstlerische Neuerfindungen nicht einmal bei einem Namenswechsel nötig sind und der Blick darauf, woher man eigentlich kommt, immer ziemlich wichtig ist. Zum jetzigen Zeitpunkt ist Chris Beer musikalisch alles andere als die Antithese zu Jimi D., vielmehr fasst er mit dieser LP viel von dem zusammen, was er im letzten Jahrzehnt angefangen und ausgekundschaftet hat. Was jetzt kein Ratschlag dazu sein soll, sich ehebaldigst neu zu orientieren. Man kann die Frage, wohin man eigentlich geht, auch gern immer gleich beantworten, wenn der Weg so erfolgreich ist. Mit "Lion In The Sun" führt er dorthin, wo das perfekte Sommeralbum - Vorsicht: Direkte Empfehlung! - lauert. Optimisten macht er damit aus mir trotzdem keinen mehr. Aber um zu zitieren: "It might make sense statistically / To view life pessimistically / But that is not my style."