von Kristoffer Leitgeb, 09.08.2017
Inmitten melancholischer Nostalgie wird Made in China dank Underground-Vorbild zum Qualitätssiegel.
Immer dieser amerikanische Kulturimperialismus, eine Schande für den ehemals stolzen europäischen Kontinent, der sich als Mittelpunkt der Hochkultur betrachten wollte. Fantasievolle, doppelbödige Poesie wie das Hildebrandslied war einmal, heute singen und schreiben die teilweise nicht einmal mehr auf Deutsch in unseren Breiten! Nicht umsonst ist die Einrichtung eines Heimatministeriums längst angezeigt, um das langfristige Überleben kultureller Errungenschaften wie den Schlager, das Schuhplatteln oder das Meidlinger L zu garantieren. Bis dahin muss sich Österreich, aber auch die restliche Welt damit abfinden, dass die USA den Ton angeben, wann immer es um Trends und kulturelle Marschrichtungen geht. Mittlerweile wohl sogar beim Schuhplatteln. In der Musik ist es auf alle Fälle so, wenn auch die Briten hin und wieder in den letzten Jahrzehnten aufgemuckt und die Vorherrschaft reklamiert haben. Anglozentrismus ist auf alle Fälle Trumpf. Auch in China schaut man hinüber nach Hollywood oder Illinois, um Inspiration zu finden.
Und die Chinesen sind dann auch gleich selbstbewusst genug, keine Originalität vorzutäuschen, wenn es an Sound oder Namen geht. Chinese Football, das ist eigentlich American Football auf fernöstlich und damit die Wiederbelebung eines Klassikers der Emo-Szene, der in den 90ern irgendwo zwischen Indie-Rock, Pop-Punk und Post-Rock herumgeschwommen ist. Der bisher einzige Longplayer des Quartetts aus Wuhan klingt insofern auch nach einem direkten Nachfahren der Inspirations-LP, ohne dabei aber gleich zu einem reinen Plagiat zu verkommen. Auch diesen Songs haftet der Hang zur einsamen Romantik und zur träumerischen Nostalgie an. Auch diese Songs finden ihre Struktur eher noch im zurückhaltend nachhallenden Gitarren-Duo als in der nur sporadisch tonangebenden Rhythm Section. Und irgendwie könnte man meinen, dass die Band mit einem Songtitel wie The Last Emo Boy On Earth wirklich darauf aus ist, zu einem reinen Klischee im Angesicht eines lange verstorbenen Szene-Trends zu verkommen. Da irrt man allerdings zumindest partiell. Denn die Arrangements mögen zwar 20 Jahre in die Vergangenheit schauen, ihre präzise und doch gefühlsbetonte Qualität lässt einen aber weit eher an die guten Seiten dieses Genres denken als an die allzu schwierigen.
"Chinese Football" kennt in dem Sinn keine wirkliche Abwechslung, sondern eher den Versuch eines gleichermaßen majestätischen wie verlassenen Mäanderns durch eine Stunde der musikalischen Melancholie. Dass man die immer im Kopf hat, hat jetzt weniger mit den Texten zu tun. Sie sind auch auf Chinesisch und also schwer zu entziffern, aber selbst bei gelungener Übersetzung tut sich ein schwer zu ergründendes Durcheinander aus sehnsüchtigem Flehen und dauernden Fußball-Insidern auf. Tatsächlich hat es die Band irgendwie geschafft, nicht nur die Namen der Tracks dem neuen chinesischen Nationalsport zu widmen, sondern auch die Texte zumindest teilweise darum aufzubauen. Goalkeeper, Not Everyone Can Wear The No. 10 Jersey, Hat-Trick, die ambivalente Marschrichtung scheint klar und erreicht ihren Gipfel im original 世界悲 betitelten Song, der sich genauso leicht als This World Is Sad wie als World Cup übersetzen ließe. Alles powidl, denn Xu Bos samtweicher Gesang verpflichtet dazu, sich in den verwobenen Akkorden zu verlieren und die gemächlich dahinschwimmenden Melodien aufzusaugen.
Entgegen dieser Beschreibung sind die Songs allerdings keine lethargischen Machwerke. Red Card Penalty schafft zum Beispiel problemlos den Übergang vom intimen Gitarrengezupfe hin zu klassischen Indie-Riffs mitsamt trockenen Drums als Unterstützung, treibt auch dank des vibrierenden Bass gehörig an und behält sich bei all dem immer noch eine träumerische Komponente. Den lohnendsten dieser Momente erlebt man gleich zu Anfang mit Goalkeeper, dessen stetiger, klassischer Beat eigentlich einen Ausreißer darstellt. Genau diese aktive Arbeit des Drummers ist es aber, die zusammen mit der ökonomischen Länge von nur vier Minuten die übrige Instrumentierung am frischesten enden lässt. Womöglich sind die übrigen Sechsminüter auch nicht alle auf ihr Idealmaß getrimmt und überstrapazieren die Sympathie, die man ihrem Klang entgegenbringt, etwas zu sehr. Zumindest ist nicht immer alles so hypnotisierend, wie es vielleicht sein möchte. Mit Flying Fish kommt schon früh ein Kandidat dran, dessen Intro-Zupfer zwar sympathische Dynamik erahnen lassen, dessen langgezogene, schleppende Spannungslosigkeit aber eher irritiert als verzaubert. Und so wird auch der späte Abschiedssong an einen Erfolgscoach des chinesischen Nationalteams, Goodbye Milu, zu einer etwas trägeren Affäre, die zwar musikalisch durchaus im Gleichklang mit dem Vorangegangenen ist, dabei den Tönen aber weit weniger emotionales Leben einhauchen kann.
In all dem steckt trotzdem musikalische Finesse, die sich nicht auf unangenehme, extravagante Art aufzudrängen versucht. Zwar kommt "Chinese Football" fast ohne relevante Zeilen aus, doch welchen Ideen und Gefühlen man sich verpflichtet fühlt, wird relativ schnell klar. Diese Mischung aus klanglicher Zurückhaltung und der glasklaren, dem althergebrachten Indie-Rock entlehnten Produktion, die Kombination aus zerbrechlichem Zupfen an den Gitarrensaiten und sporadischem Anstreifen an Garage-Rock-Riffs, alles trägt diese Ambivalenz in sich. Womit auch die Atmosphäre der LP zwischen hoffnungsfroher Träumerei und dem einsamen Blick in die Vergangenheit entsprechend eingefangen wäre. Die chinesische Ein-Band-Emo-Front ist dahingehend wohl eher nichts Besonderes und doch verstehen es die Mannen aus Wuhan ausgesprochen gut, die instrumentalen Texturen in die gewünschte Atmosphäre zu verwandeln, ohne zu einem schlichten Abklatsch zu werden. Stattdessen kann und darf versinken, wer will.