von Kristoffer Leitgeb, 23.06.2018
Ein vorläufiger Höhepunkt der Düsternis dank stilistischer Vereengung und harter Soundwände.
Die meisten Künstler dürften es ja gewohnt sein, in sich nach Inspiration und Ideen zu schürfen und dementsprechend auch ein bisschen ihr Innerstes auseinanderzudividieren. Das ist jetzt nicht zwingend negativ zu verstehen, man kann dort schon auch sonnige Schönheit entdecken, auch wenn das erfahrungsgemäß selten und vor allem nicht so wahnsinnig oft Basis entsprechender Großtaten sein dürfte. Was aber wohl das Auseinanderdividieren oder vielleicht ganz generell jeder künsterlische Prozess mit sich bringt, ist eine profunde Kenntnis über die eigenen Stärken und Schwächen in diesem Bereich. Das ist - so viel sei gleich eingestanden - eine banale Erkenntnis, weil sich ja Fähigkeiten oder deren Mangelhaftigkeit immer dann herauskristallisieren, wenn man sie benötigt und einsetzt. Insofern wissen Musiker meistens, was sie können und wie sie sich am leichtesten verwirklichen. Ganz grob dürfte es da die Poeten geben, für die die Musik eher Beiwerk ist, dann die musikalischen Virtuosen, die einfach ein instrumentales Feuerwerk zünden, und die Atmosphäriker mit direktem Draht zur stimmungsgeladenen Klanglandschaft. Mischtypen sind erwünscht und üblich, Präferenzen aber genauso. Und so lässt sich über Chelsea Wolfe sagen, dass sie nichts besser kann, als ihre Musik mit atmosphärischer Kraft anzufüllen. Würde es an anderen Fronten nicht dezent mangeln, auch "Pain Is Beauty" könnte ein Meisterwerk sein.
Man kann der US-Amerikanerin aber unter keinen Umständen mangelnde Wandelbarkeit vorwerfen. Gut, vielleicht doch, gemessen an der emotionalen Uniformität ihrer Arbeit. Zumindest ist sie allerdings noch mit jeder LP dazu in der Lage gewesen, neue musikalische Areale zu erschließen. Während der Lo-Fi-Charakter ihres Debüts schon in der Vergangenheit zu liegen scheint, ist ihre dritte LP die, auf der sie die Elektronik so wirklich entdeckt hat. Zwar nicht in der Form, dass man sie als Seelenverwandte von Fever Ray oder New Order bezeichnen könnte, aber doch so sehr, dass aus der Verbindung Goth-ähnlicher Dunkelheit und spärlicher Folk-Instrumentierung ein prall gefülltes Klanggewitter entstanden ist. Selbst ein dröhnendes Monstrum wie die ausdrucksstarke Eröffnung Feral Love hallt immer noch nach, das jedoch allein deswegen nicht mehr spürbar, weil Tribal Drums, die Riffs und dissonanten Keys zwischendurch wirklich alles vereinnahmen und keinen Platz mehr lassen für solcherlei Effekte. Wolfe versucht einen musikalisch zu ummanteln, zuallererst nur mit den Keys und also fast zurückhaltend, bald aber mit dem effektstarken Gebrauch schleppender Gitarrenparts, wuchtigem Getrommel und wechselndem musikalischen Zusatzpaketen, die allesamt eine tödliche Synthetik ausstrahlen, selbst wenn es ganz einfach Violenentöne sind.
Damit erdrückt sie einen beinahe, hinterlässt aber merkliche Spuren, die von der unwiderstehlichen atmosphärischen Ausdrucksstärke ihrer musikalischen Experimente herrühren. Allein das textarme, düstere Lamento We Hit A Wall gestaltet sich in dieser Hinsicht als schwergewichtige Reminiszenz an Joy Division und andere Vorreiter des Goth Rock. Nur selten bewegt sie sich an einen Punkt, wo diese finstere Aura abhandenkommt und dann ausgerechnet bei einem Titel wie Destruction Makes The World Burn Brighter eine merkwürdige Art von Post-Punk übrig bleibt. Die wirkt fast schon zynisch lebhaft, verliert gleichzeitig aber mit dem irgendwo zwischen Garage Rock und Rockabilly steckenden Sound merklich an Schlagkraft. Der Rest ist eine 50-minütige Exkursion in die Welt drückender Dissonanzen, undurchdringlicher Soundwände und leblos pulsierender Beats.
Dass ihre zwischen hoffnungslosem Flehen und tonloser Autorität schwankende Stimme - gleichzeitig sanft und doch genretypisch abgehackt und der Emotion entrückt - da hilfreich ist, versteht sich von selbst. Wobei sich die wiederum fast nur als melodisches Instrument betätigt, textliche Tiefsinnigkeiten dagegen entweder aus akustischen Gründen verdeckt oder auch einfach nicht im Angebot hat. Ein bisschen schade ist es, weil damit nicht ganz klar wird, was Wolfe jetzt eigentlich formt: Eine romantisierte Vision von Dunkelheit oder eine düstere Bestandsaufnahme der Romantik. Auf alle Fälle wird Zwischenmenschliches gewälzt, ohne dabei ins übermäßig Konkrete vorzudringen. Die Texte, sie bleiben skizzenhaft und ein reines Mittel zur Steigerung der beklemmenden Energie, die die LP ausstrahlt. Das gelingt mit den paar Zeilen von We Hit A Wall, es scheint auch im Falle des Lo-Fi-Folk von They'll Clap When You're Gone aufzugehen. Nur an Nahbarkeit und spürbarer Emotionalität mangelt es dem Schauspiel trotzdem merklich.
Was insofern vernachlässigbar ist, als dass es nicht das Ziel des Zwölferpacks an Songs sein dürfte. Wolfe scheint sich in die Riege derer einzureihen, die mit unterkühlter Performance eher das Skizzieren von Gefühlen übernehmen, ohne sie großartig wirksam werden zu lassen. Problematisch ist das nur insofern, als dass die Arrangements der Songwriterin langatmig und schwerfällig wirken, deswegen spätestens auf Albumlänge von Abnutzungserscheinungen geplagt sind. Da wirkt der Beginn noch angriffig frisch, spielt sich mit den neuen musikalischen Möglichkeiten der Elektronik und findet im pulsierenden elektronischen Beat und dem Gemisch aus schwelenden Synths, leichtem Gitarrengezupfe und gehauchter Mehrstimmigkeit von The Warden einen eindeutigen Höhepunkt. Ist man aber erst einmal bei Sick oder Reigns angelangt und muss mit dem übersteigt Epochalen dieser Tracks zurechtkommen, ist es vorbei mit der Herrlichkeit und Wolfes Rettung ist einzig und allein die lupenreine Produktion der einzelnen Bestandteile. Dass die Songs irgendwann trotzdem fast alle einem dröhnenden Höhepunkt entgegenlaufen, ohne dass darin ein atmosphärischer Sinn erkennbar wird, lähmt früher oder später.
Wolfe ist trotzdem das Talent für die Kombination ihrer dunklen musikalischen Aura und effektvoller, mitunter ins Epische abdriftender Dramatik nicht abzusprechen. Woran es "Pain Is Beauty" im Speziellen mangelt, ist nur die songwriterische Finesse, die den Songs eine Struktur abseits des Strebens in Richtung eines erdrückenden Klimax geben würde. Wäre diese öfter auffindbar und hätte Wolfe gleichzeitig den musikalischen Eklektizismus des Vorgängers nicht so vehement eingestampft, die LP könnte ein Beweis für ihre Genialität sein. Das sind allerdings so viele Konjuktive, dass man viel eher bei der Realität bleiben muss. In der ist das dritte Album der US-Amerikanerin ein weiterer Schritt am Weg zu stilistischer Vollendung und ein Sieg der atmosphärischen Ausgestaltung über die Nahbarkeit und fassbare Emotionalität. So etwas beeindruckt nur manchmal und hier ganz sicher nicht auf allen 12 Songs.