Chelsea Wolfe - Apokalypsis

 

Ἀποκάλυψις

 

Chelsea Wolfe

Veröffentlichungsdatum: 23.08.2011

 

Rating: 7.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 11.01.2020


Mit mysteriös entstelltem Folk Schritt für Schritt in den Abgrund.

 

Wahrscheinlich gibt es ein paar naheliegende Gründe dafür, dass jeder auffindbare Review zu diesem Album und eigentlich zu Chelsea Wolfe generell mit Sätzen eröffnet wird, die aus der US-Amerikanerin eine beinahe mystische, jedenfalls aber düstere und kryptische Gestalt machen. Wer sich mit so einem Albumcover vorstellt, fordert das ja heraus, mehr noch mit einem Albumtitel wie "Apokalypsis", der zu allem Überfluss in Griechisch abgedruckt wird. Da ist man dann gleich etwas unidentifizierbar, geheimnisvoll, um der Wahrheit die Ehre zu geben auch ziemlich unheimlich. Was Wolfe allerdings netterweise mitbringt, ist ein musikalischer Stil, der diesem ersten Eindruck mehr als gerecht wird und mit jedem Mal mehr dazu beiträgt, sie als eine unbequeme Präsenz wahrzunehmen. Setzt man das nun damit gleich, dass man ihr nicht zuhören wollen würde, ist man jedoch auf dem Holzweg und wird diesen auch nicht mehr verlassen. "Ἀποκάλυψις" bringt einen dazu, Wolfes düstere Welt erleben zu wollen und ebnet damit den Weg für alles, was von ihr noch kommen sollte.

 

Nachweislich ist das ja nicht gar wenig, weswegen die Singer-Songwriterin mittlerweile auch zu einem Liebling mancher Kritiker geworden ist. In ihren frühesten Tagen war sie das dank mangelnder Bekanntheit noch nicht so wirklich, legte aber mit ihrer zweiten LP einen wichtigen Grundstein dafür. Stilistisch war bereits das mit spartanischen Mitteln fernab jeglicher Studiotechnik aufgenommene "The Grime And The Glow" ein eher drückendes Werk und atmosphärisch kein freudiges Ereignis. Hier wird genau das prolongiert, allerdings mit deutlich aufgewerteten Mitteln. Wolfe fand den Weg ins Studio und dort die Möglichkeit, dem dröhnenden Lo-Fi-Folk-Rock des Vorgängers neue beklemmende und einnehmende Facetten hinzuzufügen. Während der furchteinflößende Opener Primal/Carnal mit Wolfes von allerlei Rauschen überlagertem, animalischem Schreien noch an etwas erinnert, das man auf einer Kassette zusammen mit den "Blair Witch"-Aufnahmen gefunden hat, gerät das Album bald in geordnetere Bahnen. Das ändert nichts daran, dass auch der galoppierende, brodelnde Folk Rock von Mer zur düsteren Aura des Albums beiträgt. Es passiert lediglich in klanglich ansprechenderer Form.

 

Bereits da ist man sich dann darüber im Klaren, dass die zum Besten gegebenen Texte lediglich die zweite, vielleicht auch nur die dritte Geige spielen. "Ἀποκάλυψις" ist als Album nahezu gänzlich auf seinen Sound und die damit verbundene Atmosphäre fokussiert, vergisst darüber aber jegliche lyrische Tiefe, weswegen Tracks wie The Wastelands oder Friedrichshain inhaltlich kaum über ihren Titel hinausreichen, dabei aber passenderweise eine Szenerie vor Augen rufen, die bestmöglich die daran gekoppelte Musik repräsentiert. Man bewegt sich also in Klanglandschaften, expressionistischen Gemälden musikalischer Art sozusagen und vermisst daher phasenweise die greifbare Qualität eines textlichen roten Fadens, eines wirklichen Songinhalts. Das verhindert, dass dieses Album zu einem beeindruckenden Schauspiel wie Jahre später "Abyss" wird, es ändert aber nichts an Wolfes Fähigkeiten, ihrer Musik eine Eindringlichkeit und atmosphärische Dichte zu verleihen, die Spuren hinterlässt.

 

Sei es der röhrende Rock von Demons, dessen spröde Riffs und wuchtige Drums für den aggressivsten und schnellsten Moment des Albums sorgen, oder das sphärische Dröhnen von The Wastelands, dessen raue, verhallende Soundwände triste Einsamkeit verkörpern, fast alles trägt einen Teil zu einem gespenstischen Ganzen bei. Dabei ist es essentiell, dass Wolfes Gesang in keiner Sekunde klar und deutlich zu hören ist, sondern stattdessen in gedämpfter, verzerrter, rauschender Manier die Songs dominiert und als das einende Element fungiert. Das gefällt wiederum nicht immer, weil man die Sängerin gerne auch hin und wieder verstehen würde, doch es macht die Stimme zu einem vielseitigen Instrument, das sich als schrilles Kreischen wie in Pale On Pale oder auch als autoritärer, dumpf in den Hintergrund verbannter Sprechgesang wie in Demons präsentiert. Mit beidem sorgt Wolfe für beklemmende Songs. Das ändert aber nichts daran, dass es einem folgerichtig erscheint, wie stark der Closer To The Forest, Towards The Sea zum Abschluss all dessen wirkt. Ausgerechnet das Instrumental ist es, das sich hier mit am prägnantesten einbrennt, dessen unwirkliche und unwirtliche elektronische Ausmalung die einschneidendsten Minuten formt. Es sind fast schon synthetische Walgesänge, die hier im Nichts verhallen und dabei ein lebloses, eisiges Gefühl vermitteln, das alles andere hier überlagert.

 

Dem gegenüber stehen wirkungslose Übungen wie das träge dahintrottende Tracks (Tall Bodies) oder das ähnlich sperrige Moses, dessen dumpfer, monotoner Beat überraschenderweise wenig ausrichten kann im Hinblick auf ein hypnotisches Schauspiel. Stattdessen fragt man sich spätestens an dem Punkt, an dem Wolfe im Refrain in ein poppiges Winseln verfällt, ob das so wirklich sein sollte und müsste. Diese Stücke beweisen auch, dass der stilistische Fokus des Albums kein Selbstläufer ist und dass in dem morbiden Unterton, der die gesamte Tracklist durchzieht, auch Gefahren stecken. Primär jene, diesen Mangel an melodischer Dynamik, an Bewegung und Lebendigkeit eben nicht durch dröhnende, knöcherne Gitarren oder wuchtiges Getrommel ausgleichen zu können. So entstehen Songs, deren Leblosigkeit sich nicht wandelt zu der Fähigkeit, einen durch dichte und doch im Nichts verhallende Klänge zu ummanteln und in dunkle Ecken zu führen.

 

Das allerdings sind in Summe magere Makel für eine LP, die ihrem Titel und ihrem Cover alle Ehre macht und also eine durchdringende atmosphärische Kraft entfalten kann. Allein deswegen ist "Ἀποκάλυψις" noch kein genialer Wurf, aber es ist ein wichtiger Schritt für Chelsea Wolfe, der zeigt, dass sie mit ihrem langjährigen Produktionspartner Ben Chisholm auf Albumlänge für den idealen Sound sorgen kann, um ihren Kompositionen jene beklemmende, düstere Aura zu verleihen, die sie zu etwas besonderem macht. Der damit verbundene Schritt heraus aus dem Lo-Fi-Eck bedeutet dabei nicht, dass Wolfe plötzlich in aller Klarheit zu hören wäre, stattdessen ist der abweisende, verrohte Charakter der Musik erhalten geblieben und verfeinert worden, um etwas weitaus Imposanteres zu formen.

 


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