von Daniel Krislaty & Mathias Haden, 25.01.2015
Grundverschieden und doch irgendwie mindestens ebenso belohnend wie der erste Streich.
Justin Vernons erstes, 2007 erschienenes Album For Emma, Forever Ago funktionierte noch herausragend als subtiles Folk-Meisterwerk eines in die finstere Ecke gedrängten Kerls plus Gitarre, der mit augenscheinlichem Talent und bemerkenswerter Roheit vom lieben Herrgott versehen wurde. Dass der Nachfolger 'größer' und 'imposanter' werden würde, war nach den Kollaborationen mit Kanye West sowie The National und anhand der rasant wachsenden Anhängerklientel irgendwie absehbar. Skepsis sollte an dieser Stelle doch erlaubt sein, oder? Man wird doch wohl nicht mit einem entzauberten Gefälligkeitsprodukt abgespeist?!
Nun ja, zumindest dürften derartige Bedenken relativ rasch nach den ersten Hörproben verrauchen. Schnell wird klar, dass zwar die teils sanften, teils rostigen akustischen Akkorde in der dichten Produktion von Bon Iver, Bon Iver untertauchen, aber vor allem Vernons Eigenart für Melodien im Wechsel zwischen gemächlich und dynamisch aufbrausend immer noch gut erhalten bleibt. So schreitet das Zweifel beseitigende Marschgetrommel von Perth nach anfänglicher Zurückhaltung in das gehetzte Durcheinander elektronischer Spielereien mit pompösen Hörnern als Highlight voran und schlurft daraufhin übergangslos in das eher schwermütige Banjo-Fingerpicking von Minnesota, WI. An dieser Stelle sei erwähnt, dass sämtliche Lieder des Albums nach Städten bzw. Orten benannt wurden, zu denen Vernon im Laufe seines Lebens und Karriere eine besondere emotionale Bindung aufbaute.
Neu sind auch die offensichtlichen 80er-Anleihen, auf die in der modernen Musikszene merkbar gerne und auch Großteils gelungen zurückgegriffen wird. Neben den Shins, Beach House und Iron & Wine baut nun also ebenso Vernon und Söhne auf einen cleveren, von Synthesizer zersetzten Pop-Unterbau, der an längst vergangene Zeiten toupierter Haare sowie zu bunter Kleidung erinnert. Wie in Calgary noch eindrucksvoll unspektakulär aber effektiv in den Blickpunkt gerückt, plakatiert die Zeitkapsel Beth/Rest diese Keyboard-Liaison mit fast schon parodiehaftem Nachdruck. Als stoisches Zwischenspiel hinterlässt hingegen das stimmenverzerrte Hinnom, TX keinen maßgeblich positiven Eindruck, auch wenn es - genauso wie für das spannungsfreie Closer-Interlude Lisbon, OH - Pluspunkte in Sachen Atmosphärenkalkül gibt. Der Vollständigkeit halber sei auch noch die atemberaubende Singleauskoppelung Holocene zu erwähnen, die der Aktie Bon Iver, Bon Iver sogar noch ein wenig gelungene Radio-Airtime verspricht.
Mit vielen verschiedenen Instrumenten in der Hinterhand und einer neu entdeckten Freude an verschlagenen Auto-Tunes bis hin zu tollen Looping-Effekten erzeugt Bon Iver bei näherer Betrachtung ein sich stark voneinander abhebendes Feld zehn vielschichtiger Lieder, welche zugleich als Gruppe so unvergleichlich großen, ineinandergreifenden Charakter besitzen, dass es unmöglich scheint, sie selbst nach zwanzigjähriger Abstinenz einem andern Album als Bon Iver, Bon Iver zuzuordnen. Zusätzlich unterstützt die beinahe gespenstische Natur der LP, die zeitweise ein wenig an Talk Talks spirituelles Werk The Spirit of Eden erinnert, diesen Gedanken der besonderen Eigentümlichkeit, der hier so viel Freude bereitet.
D-Rating: 8.5 / 10
Zwischen charakteristischem Folk und pathetischer 80s-Ästhetik haben sich Justin Vernon und Forsthütte diesmal niedergelassen.
Bon Iver, hm? Zeit, die Flanellhemdärmel aufzukrempeln und ein bisschen Feuer im Kamin zu entfachen, um dem kalten Winter vorzubeugen. Ein guter Grund auch, an die alte Wirkungsstätte zurückzukehren. Von mir an dieser Stelle also ein freudiges 'welcome back', D! Es gibt allerdings leichtere Herausforderungen, als über die zweite LP von Justin Vernon und seinem Gefolge an Multiinstrumentalisten herzuziehen. Diese Schwierigkeit äußert sich bereits darin, dem Album irgendeine musikalische Richtung zuzuschreiben. Ein wilder Brei aus Instrumenten, Chorgesang und unterschiedlichen Stimmungen macht es nicht einfach; ist das jetzt noch Folk? Aber wen juckt es schon, welches Genre man nun in seiner iTunes-Datenbank (keine Schleichwerbung) hinzufügt. Solang sich Streicher und Synthesizer, Pedal Steel und Hornsektion, Banjo und noch mehr Synthies nicht gegenseitig entwaffnen, sondern eine Symbiose der anmutigen Klänge eingehen, ist doch alles in Butter.
Die Produktion sitzt also über weite Strecken, da kann ich dem Kollegen mit seinen interessanten Achtzigerassoziationen durchaus Recht geben. Besonders Closer Beth/Rest steht da - auch wieder ins Schwarze getroffen - mit seinen kühlen, aber angenehm melodischen Keyboards sinnbildlich für die neugewonnene 80s-Ästhetik. Ich bilde mir sogar ein, einmal etwas vom "besten Phil Collins Track ever" gelesen zu haben. Mein Schmunzeln erinnert mich zwar daran, wie lächerlich diese Aussage insgesamt doch scheint, trotzdem ist da irgendwie was dran.
Das tolle Calgary baut mit pompösen Streichern eine angenehme Stimmung auf, Vernons charakteristisch hohe Stimme, die sich gerne zu einem Falsetto streckt, führt sanft ins Geschehen ein, ehe die Synthesizer das Geschehen übernehmen und ein stampfender Beat die Nummer endgültig zum Sieg führt. Opener Perth beginnt mit einem der besten Intros, die wir seit der Jahrtausendwende zu Ohr bekommen haben, lässt sich dann von einer warmen, fließenden Melodie tragen, während immer wieder Marschtrommeln einsetzen und Vernon schließlich verkündet: "Still alive for you, love". Die perfekte Stimmung, der perfekte Opener und einer der besten Songs, die der Einzelgänger bislang geschrieben hat.
Bis dahin schwimmen wir also auf einer Welle, auch Single Holocene kann ich dank seiner einnehmend sanften Melodie und dem schönen Gesang freudig durchwinken.
Problematisch wird der zweite Teil dieses Partnerreviews immer erst, wenn man auch an den Negativbeispielen absolut nichts auszusetzen hat. Das vom Kollegen zurecht gerügte Hinnom, TX ist klar der schwächste Track der LP. Hier kommt jenes Fass zum Überlaufen, das über die gesamte Laufzeit von 40 Minuten bereits gefährlich prall gefüllt wirkt. Denn Vernon hat sich viel Zeit genommen, für sein zweites Album aufwendige, bombastische Soundlandschaften zu kreieren. Leider passiert es ab und an, dass sich dieser überladene Soundbrei selbstständig macht und den Song an sich metaphorisch niederwälzt. So geschehen in ungutem Ausmaße bei Hinnom, TX; aber auch immer wieder zwischen drin bei anderen Stücken. Auch kann ich mich oftmals nur schwer mit dem cheesy Gitarrensound anfreunden, der im finalen Klangkonzept immerhin ziemlich hintergründig wirkt.
Nun, was soll man schon sagen; die Argumente sprechen letztlich für sich. Justin Vernon hatte wohl viel Zeit in seiner Forsthütte, gemeinsam mit ein paar neuen Kollegen und gesunden Ambitionen hat er ja immerhin auch ein starkes Album hinbekommen. Eines, das teilweise leider in seinem eigenen Klangtreibsand versinkt, sich die meiste Zeit aber eindrucksvoll an der Oberfläche hält; da tut selbst das bisschen Auto-Tune gar nicht weh.
M-Rating: 7.5 / 10