von Kristoffer Leitgeb, 06.06.2020
Klanglich bescheidene Anfänge, denen man die Vorbilder eher anmerkt als spätere Großtaten.
Damals in den 60ern, als die Beatles noch die Beatles waren, als Velvet Underground noch Velvet Underground waren, als die Byrds noch die Byrds waren, als Dylan noch Dylan - ok, der ist eigentlich immer noch er... Na, jedenfalls waren damals die Wailers noch nicht so wirklich die Wailers, was weniger personelle und eher stilistische Gründe hat. Das über allem im Reggae thronende Trio aus Bob Marley, Peter Tosh und Bunny Wailer war nämlich schon mit von der Partie und der Kern einer Band, die Mitte der 60er zueinandergefunden und unter verschiedensten Namen die jamaikanischen Radios unsicher gemacht hat. Nur war eben Reggae noch nicht so ganz Reggae, sondern erst entstehendes Phänomen. 1965 sprach man noch vom Ska und man verband ihn auch kaum einmal mit spirituell-politischer Botschaften, die im folgenden Jahrzehnt und von da an dauerhaft die rastafarisierte Reggaeszene prägen sollten. Stattdessen erlebte man den erdrückenden Einfluss US-amerikanischer Pop- und R&B-Musik, nicht jedoch der aufstrebenden Rockbewegungen. "The Wailing Wailers" entspricht diesem Zeitgeist perfekt und verlangt einem deswegen eine merkwürdige Umstellung ab, wenn die Erwartungen an den klingenden Namen Wailers so nicht und nicht erfüllt werden will.
Musikalisch ist das erst einmal gar nicht so dramatisch. Zwar ist es ein erst zu verarbeitendes Kuriosum für jedermann, der mit dem Spätwerk der Band seine Reggae-Sozialisierung genossen hat, diese Vermengung von traditionellem Pop, Soul, R&B ein bisschen Doo-Wop und eben Ska zu erleben. Aber das bedeutet nicht, dass die drei das nicht drauf hätten. Gerade der stimmlich in den zentralen Vordergrund gerückte Bob Marley macht seine Sache im gesanglichen Zusammenspiel mit den Background-Harmonien von Tosh, Wailer, Beverley Kelso und Junior Braitwaithe überraschend gut in diesem im wohl weniger entgegenspielenden Setting. Und das heißt etwas für den Mann, dessen nachhallendste stimmliche Darbietung wohl die leidenschaftlich und dylanesk unsaubere im akustischen Redemption Song ist. Damit schlägt er zwar Braithwaites gefühlvollen, beschlagenen Auftritt in It Hurts To Be Alone nicht, aber er wirkt nicht im mindesten so deplatziert, wie man es vermuten würde.
Dementsprechend gibt es sie, diese Momente genuin unterhaltsamer und auch in Erinnerung bleibender Performances. Finden kann man sie fast ausschließlich in den schnelleren, lebhafteren Minuten und da allen voran im Opener Put It On, dessen hier zu hörende, lockere Urversion tatsächlich gegen alle Widerstände besser ankommt als die reggaefizierte, die Jahre später auf "Burnin'" auftauchen sollte. Die geschmeidigen Backgroundgesänge und das tänzelnde Klavier, dem die Rhythm Section mit rudimentärer Gleichförmigkeit nicht reinpfuscht, machen da einen würdigen Albumhöhepunkt daraus. Weniger beeindruckend, aber dann doch hinlänglich unterhaltsam und stilsicher sind auch Rude Boy, Simmer Down und Lonesome Feeling, deren rhythmische Arbeit genauso überzeugt wie die ungezwungenen Vocals und sporadische Einsätze der Bläser. Dass Rude Boy und Simmer Down zudem, genauso wie das über ein Jahrzehnt später zu wahrer Größe gebrachte One Love, erste, noch relativ harmlose Schritte in Richtung sozialkritischer Statements sind, schadet darüber hinaus auch nicht.
Dabei ist sogar der eher ungünstige Charakter der LP einer reinen Singlesammlung - zusammengestellt nach dem Gutdünken von Studio-One-Chef und -Gründer Coxsone Dodd statt eines wirklich als Album konzipierten Debüts nicht zwingend negativ, auch wenn niemand wird leugnen können, dass sich hier stilistische oder inhaltliche rote Fäden eher schwer finden lassen. Der damaligen jamaikanischen Musikrealität geschuldet, beinhaltet diese Ansammlung mehr oder weniger großer Hits jedoch auch diverse, sehr direkte Anbandelung an die musikalischen 50er und frühen 60er der USA, weswegen man sich mit einigen Übungen im Soul, R&B und gemächlichen Stehwalzer-Pop konfrontiert sieht, die hier niemandem in die Karten spielen. Das lahm dahintrottende I Need You ist auf dieser Ebene genauso eine wenig willkommene Abwechslung wie das trotz prägnantem Gitarrenpart eindrucksarme I'm Still Waiting und insbesondere das unpackbar kitschig anklingende Ten Commandments Of Love, das die heutzutage relativ vergessenen Moonglows in den 50ern zu einem kleinen R&B-Hit in den USA gemacht haben. Weniger passt könnte kaum ein Song sein, um von den Wailers interpretiert zu werden, auch wenn er wohl so oder so eine höchst schmalzige Angelegenheit ist.
Will man sich doch einmal auch in ruhigeren, romantisch gefühlsbetonten Gewässern positiv überraschen lassen, gilt es den Blick auf It Hurts To Be Alone zu richten, das vom zur Entstehungszeit nicht einmal 15-jährigen Braithwaite geschrieben und ausgesprochen gut gesungen wurde. Das wäre allerdings bedeutend weniger wert, würde dem nicht noch Ernest Ranglin und damit Studio Ones Go-To-Gitarrist zur Seite gestellt werden, der hier einige großartige Licks einstreut und viel zur Atmosphäre beiträgt.
All den erwähnten, positiven Eindrücken zum Trotz, schafft es das Album allerdings nie, einen vollends zu überzeugen. Und dafür gibt es so manchen Grund, von denen die unfreiwillig komische Coverauswahl von unter anderem What's New Pussycat nur einer ist. Wie bereits erklärt, ist es nicht die ungünstige stilistische Ausrichtung, die die Wailers damals vielleicht hitfähig gemacht hat, sie aber gleichzeitig meilenweit von ihrer ungleich einflussreicheren und eindrucksvolleren Inkarnation platziert. Das hilft nicht, zerstört aber hier auch nicht zu viel, auch wenn einem bald einmal klar ist, warum Marley, Tosh und Wailer nur wenige Jahre später keine musikalische Ähnlichkeit mehr zu dem hier Gebotenen haben sollten. Viel eher ist es die grausame klangliche Qualität, die ein immerhin passables Album daran hindert, sein volles Potenzial zu zeigen. Oft genug münden Refrains und insbesondere deren Stimmeinsätze in einem einzigen Rauschen, klingt alles umgebende dumpf und fernab jeder akustischen Klarheit. Das soll keine Kritik an den Arbeitsmethoden sein, die Dodd oder das Studio One an den Tag gelegt haben. Es ist lediglich ein Befund der damaligen Realitäten in Jamaika, wenn es um solcherlei Aufnahmen geht. Aber das macht es letztlich ehrlicherweise nicht besser. wenn einem Junior Braithwaite in It Hurts To Be Alone ein bisschen ans Herz geht und plötzlich alles nur mehr übersteuert.
Das macht wiederum nichts hier absolut unhörbar und verhindert noch nicht einmal, dass Songs wie Put It On oder Lonesome Feeling wirklich unterhaltsam sind. Aber die leichtgewichtige, komplett aus der Zeit gefallene Natur dieser Tracklist ist in Verbindung mit ihrer bescheidenen Tonqualität jetzt nichts, was einen zum Feiern brächte. Ergo bringt es "The Wailing Wailers" eher zum Status eines Sammlerobjekts und aufschlussreichen Zeitdokuments, das aber wohl weniger zum musikalischen Gewicht der Wailers und Bob Marleys beiträgt. Ein paar Jahre, zwei Festnahmen von Tosh und Wailer und einen US-Aufenthalt von Marley später sollte das ja auch alles komplett anders aussehen. Die Gründe dafür dürften sicherlich nicht nur in der erwachten Spiritualität, Religiosität und der gesellschaftspolitischen Wachsamkeit der drei liegen, sondern auch etwas damit zu tun haben, dass sie mehr drauf hatten, als unpassende, wenig schmeichelhafte Coverversionen von angestaubten US-Hits und eine stilistische Bandbreite zwischen Ska und Pop-Standards.