von Kristoffer Leitgeb, 26.05.2018
Ein finales Statement gegen Unterdrückung und Gewalt und das legendäre Ende der Reggae-Dreifaltigkeit.
Das Leben ist unfair. Wer das früh genug lernt, kann mit drastisch nach unten nivellierten Erwartungen an die Sache herangehen und wird dementsprechend seltener enttäuscht, was die aus der Unfairness resultierende Griesgrämigkeit gleich viel erträglicher macht. Irgendwie, in der Theorie vielleicht. Nun gibt es Menschen, die nicht an diese Ungerechtigkeit glauben oder sie ändern wollen. Wie wir alle wissen, ist derartiger Idealismus nobel und erstrebenswert, aber zumeist fruchtlos. Die Geschichte kennt genug Beispiele und eines der bedrückendsten könnte für manche des rund um die Wailers sein, diese legendäre Ansammlung begnadeter Reggae-Musiker. Eigentlich hatte sie kein Herzstück, weil Bunny Wailer, Peter Tosh und Bob Marley so etwas wie Gleichberechtigung gelebt haben. Nur war der Dritte im Bunde massenwirksamer und letztlich die ausgewogenste Mischung aus Rebellion und gottgläubiger Meditation, weswegen er das meiste Lob, das meiste Geld und die meisten Credits einheimste. Und so kennt auch das harmoniesüchtigste Genre eine Geschichte der Disharmonie, die allerdings nirgendwo sonst so produktiv hätte enden können.
Dass Wailer und Tosh weg waren, noch bevor die Welt "Burnin'" zu hören bekommen hatte, merkt man zumindest unter Garantie nicht, führt man sich die zehn Tracks zu Gemüte. Das hat definitiv Gründe. Zum einen war die Trennung - oder besser die radikale Umstrukturierung - der Wailers kein Produkt persönlicher Animositäten, sondern nur eines der gekränkten Künstler-Egos, zum anderen war das Trio mit den Aufnahmen zu seiner sechsten und letzten Studio-LP auf einer Mission. "A mission from god", wie es Jahre später Dan Aykroyd und Jim Belushi sein sollten. Wer ein Album mit der rebellischen Hymne Get Up, Stand Up einleitet, hat auf alle Fälle etwas zu sagen. Die Botschaft der Auflehnung gegen die globale Ungerechtigkeit, gegen die wirtschaftliche Knechtschaft der verarmten Massen in Jamaika und andernorts und gegen die gewaltsame Unterdrückung dieser, sie ist eine überzeugende und universelle. Überzeugend nicht nur inhaltlich, sondern dank der gerecht aufgeteilten Strophen auch klanglich ein Gustostückerl. Militant intoniert, ohne dabei den relaxten Drive der Barrett-Brüder oder die verspielte Percussion aufzugeben, ist die Mischung aus den mehrstimmigen Chants im Refrain und den rhythmisch abwechslungsreichen Strophen, die man fast dem prähistorischen Rap hinzurechnen könnte, optimal.
Doch die Erfahrung mit den Wailers in ihren späteren, auf Bob Marley zugeschnittenen Jahren, zeigt, dass gerade die Phasen der gewichtigen Botschaften auch geprägt waren von verpuffenden Minuten und schwerfälligen, dem Gospel und Blues entlehnten Serenaden. Gab es auch vorher schon, wobei die taufrische musikalische Beweglichkeit auch in den Momenten größter Mäßigkeit dafür sorgt, dass man keine Ausfallserscheinungen erkennt. Der damals bereits 11 Jahre alte Song Pass It On ist als bluesige Hymne auf Jah und Frieden eher mau anzuhören. Da hilft die weibliche Gesangsunterstützung nichts, die Barretts schleppen sich als Rhythm Section durch den Song und der Gospel-Touch der Keys bringt nichts als ermüdende Schwere mit sich. In ähnlichen Sphären kommen Hallelujah Time oder Burnin' And Lootin' besser weg, allerdings in letzterem Fall hauptsächlich, weil die Erzählungen von militärischer Gewalt in Jamaika schmerzhaft direkt sind.
Die Fairness gebietet es aber, diese kritischen Töne eher kurz zu halten. Denn ja, in klassischem Wailers-Stil ist die LP durchzogen von Gospel-Passagen, die in Wahrheit keinem der drei Platzhirsche wirklich entgegenspielen. Doch die Harmonie trieft überall heraus und kann auch auf dem Terrain für äußerst starke Minuten sorgen. One Foundation nimmt in diesem Sinne One Love vorweg, zwar ohne den für den Legendenstatus nötigen hymnischen Charakter, dafür aber mit einer zurückgelehnten Rhythm Section, die ihresgleichen sucht und Peter Tosh ein beneidenswertes Fundament für seine pazifistischen Zeilen baut.
Trotzdem verlangt sowohl die Besetzung der Wailers als auch die thematische Ausrichtung der LP nach einem aktiveren Sound. Den hat hier genug zu bieten. Im kleineren Small Axe, dessen poetischer Us-against-them-Ansatz mit einer spielerischen Mischung aus prägnanten Gitarrenlicks und knackigen Keys unterlegt ist. Auf vier Minuten kratzt das gewaltig an der Eintönigkeit, lässt einen aber trotzdem ziemlich sicher nicht bewegungslos zurück. Während Duppy Conqueror ein ähnliches Rezept im gemächlicheren Tempo anbietet, ist es der traditionell afrikanische Sound der Percussion von Rastaman Chant, der sich im besten Sinne klanglich abhebt und für ein geniales Finale sorgt, in dem alles vom militanten Vibe des Openers, der harmoniesüchtigen Mehrstimmigkeit und Bluesseligkeit des Mittelteils und der gewichtigen Botschaft vereint ist. Zum besten Track der LP reicht es trotzdem nicht, was hauptsächlich damit zu tun hat, dass da mittendrin noch so ein Song ist, der den nicht ganz unbekannten Titel I Shot The Sheriff trägt. Zwar erst dank des Clapton-Covers wirkliche Durchbruchshilfe für die Wailers, ist es im Original immer noch um mehr als eine Ecke besser. Die beste Hook der LP und Zeugnis des unglaublichen Pop-Verständnisses von Bob Marley, dessen Leadperformance gleichermaßen mit beeindruckender Leichtigkeit und unterschwelliger atmosphärischer Schwere daherkommt. Dass sich rund um ihn nicht nur ein perfekter Auftritt der Barretts als Rhythm Section, sondern auch ein denkwürdiges Backgroundgesangsspektakel ereignet, rundet ab, was so eigentlich schon rund genug ist.
Gleichermaßen könnte man sagen, dass der Track selbst eine LP abrundet, die so schon rund genug ist. Wobei man damit vielleicht doch etwas zu weit gehen würde in Anbetracht dessen, dass "Burnin'" nicht nur der Perfektion ziemlich fern ist, sondern auch im Duell um das beste Wailers-Album nicht die günstigsten Karten hat. Das liegt mitnichten daran, dass Marley das Rampenlicht zu teilen hat. Sowohl Wailer als auch Tosh waren essentiell in der Formel, die die Wailers ausgemacht hat und haben auch hier alle ihren Beitrag geleistet. Dass mit diesem der Erfolg kleiner war, liegt aller Wahrscheinlichkeit nach daran, dass sich beide wenig daraus gemacht haben, Marleys Faible für Rock und Pop und die gängigen Musiktrends im englischsprachigen Raum nachzueifern. Deswegen war er der Mann für die griffigen Hooks, für die denkwürdigen Chants und die Zeilen, die keiner mehr vergisst. Im Verbund ist es ein mächtiges Trio, das da unter dem Namen The Wailers durch die Lande zog und "Burnin'" ist ein überzeugendes Requiem für die legendäre Kombo. Nur für ganz oben, da hätte es mehr Sheriff und weniger Hallelujah gebraucht.