von Kristoffer Leitgeb, 15.08.2015
Selbst ein nie da gewesenes Maß an Politik kann die Lethargie in Marleys Songs nicht ganz verdecken.
Vom richtigen Blickwinkel betrachtet, ist ja alles irgendwie eintönig. Man muss es nur lange genug machen. Immer ohne Unterlass der Entspannung zu fröhnen beispielweise, was gibt's da Schlimmeres? Na gut, immer ohne Unterlass depressiv oder wütend ist auch nicht gerade erstrebenswert, für die Erkenntnissüchtigen aber doch immerhin weit ertragreicher. Vielleicht halten sich deswegen diese ganzen nach Abenteuern, Thrills und ständiger Abwechslung Suchenden - kurz: Mega-Wappler - so hartnäckig. Ewige Entspannung ist einfach nichts. Da hat es natürlich Bob Marley mit seiner Musik schwer. Der klingt nämlich immer entspannt, selbst dann, wenn eigentlich so gar nichts an Entspannung in ihm sein sollte. Vielleicht war er sich Gottes Gunst einfach zu sicher, möglicherweise auch einfach nur zu zugedröhnt, aber dem konnte kein noch so harscher politischer Aufschrei entlockt werden, ohne dass er nicht trotzdem noch relaxt geklungen hätte. 1979 bedeutete nun ein mehr an Politik und gleichzeitig dem ewig relaxten Gleichmut. Die Eintönigkeit ist also ein bisschen vorprogrammiert.
Doch ganz so schnell lässt sich Jamaikas Ass im Ärmel nicht abspeisen. Immerhin war es ja der über alle Maßen zurückgelehnte Vorgänger "Kaya", der ungewohnt viel Kritik einstecken musste, weil in dem Haufen Songs rund um die Liebe und des Rasta liebstes Kraut so verdammt wenig Aggressivität und Spannung drinsteckte, dass selbst Reggae-Freunde langsam stutzig wurden. Also alles auf Anfang und einfach mal kurz ums Überleben kämpfen, die Welt wieder einmal wachrütteln und all die großen Missstände aufzeigen. Das sollte als Reaktion doch wohl reichen. Denn diese unverwüstliche moralische Instanz, die Marley Zeit seines Lebens dargestellt hat, sie sollte Stoff genug geben für große Hymnen. Nichtsdestotrotz hat er sich immer schwer getan mit den gewichtigen, ganz geradlinigen Kommentaren. So gern man ihn nämlich in diesen Sphären zwischen spirituellen Welten und irdischen Problemen referieren gehört hat, der musikalische Funke wollte bei solcherlei Exkursionen seltener überspringen. Jetzt also eine LP serviert zu bekommen, die sich ganz bewusst nur dieser Sparte des Marley'schen Reggae-Kosmos widmet, bedeutet für die Wailers eindeutig Schwerstarbeit. Schon der Opener So Much Trouble In The World lässt das erahnen. Von Dynamik keine Spur, stattdessen präsentiert sich einem das ganze Ensemble höchst merkwürdig. Von Zusammenspiel kann schwer die Rede sein, denn das Wenige, was von den Barrett-Brüdern und Junior Marvin an der Gitarre kommt, wirkt steril und kaum im Fluss, wird auch von den I-Three nicht dorthin gebracht.
Man startet also eher schwerfällig. Nicht generell miserabel, dafür aber mit dem letzten Schritt weg von den großartigen Anfängen unter dem alleinigen Bandleader Marley. Brustschwach angeführt von seinen eher schwammigen und banalen Parolen, versumpft man zu oft in träger Mittelmäßigkeit, die sich vor allem durch das Fehlen jeglicher melodischer Finessen auszeichnet, die noch Three Little Birds oder Is This Love ausgezeichnet haben. Dem entgeht die Band hier weder mit dem Bläser-Aufmarsch im gospelnahen One Drop, noch der lähmenden Rhythm Section von Ride Natty Ride. So ganz auszumachen ist der Schuldige bei all dem nicht, denn von mutiger Neuerfindung kann ohnehin nicht die Rede sein und auch der direkte Vergleich mit den Vorgängern lässt im ersten Moment wenig Veränderungen erkennen. Inmitten der altbekannten Formeln breitet sich allerdings erstmals und im Lichte der oft gewichtigen Worte auch zum schlechtesten Zeitpunkt eine gewisse Müdigkeit aus. Das fängt schon bei Marleys Stimme an, die, auch wenn er nach Kräften darum kämpft, nur selten wirklich mit dem Nachdruck ankommt, die es für rebellische Tracks und vor allem für diese gesangszentrierte Gesamtperformance bräuchte. Obwohl nämlich immer noch alles an Instrumenten da ist, was auch sonst immer da war, wirkt das militante "Survival" zumeist merklich abgespeckt und musikalisch ausgedünnt, ohne wirklich markante Basslines, Keyboard-Hooks und allen voran mit dem endgültigen Beweis, dass Junior Marvin als Gitarrist kaum einmal so viel für die Band wert war wie dereinst Al Anderson.
Weil da bisher irgendwie so viele negative Schwingungen zu spüren sind, kommen wir zum überaus berühmten Aber der Argumentationslinie. Es gibt ja fast immer ein Aber. Diesmal einerseits in der Form, dass Marley mit seinen Wailers zwar ordentlich langweilig sein kann, wie der dahingehend euphemistisch betitelte Closer Wake Up And Live zeigt, allerdings der harmoniesüchtigen und letztlich unangriffigen Art seines Reggae sei Dank immerhin nie wirklich nur schlecht. Das gibt's bei der Band einfach nicht, dafür riskiert man auch im mutigsten Moment zu wenig, als dass man nicht zumindest entfernt die relaxten Höhepunkte vergangener Tage im Hinterkopf hat.
Die viel wichtigere Komponente sind aber dann gerade die Songs, die sich am offensten militant und politisch geben. Mit denen bewegt man sich durchwegs auf die Siegerstraße zu, insbesondere auch da sich Marley zu klareren Ansangen hinreißen lässt. Mit dem gewichtigen Bass und den omnipräsenten Keys von Zimbabwe geht da schon was weiter, auch wenn man immer noch das Gefühl bekommt, selbst Reggae könnte kaum schwerfälliger daherkommen. Das ist für den Moment aber egal, denn die Chants, die der Refrain hergibt, verkörpern endlich wirklich das Motto des Albums:
"And brother you're right, you're right
You're right, you're right, you're so right!
We'll have to fight, we're gonna fight
We'll have to fight, fight for our rights!"
Getoppt wird das dank plötzlich auftauchender Vitalität noch mit dem Titeltrack. Der verkörpert dann für ein Mal wieder diese großartige Mischung aus relaxter Verspieltheit und aggressiver Angriffslust, die sich in die kritischen Ansagen Marleys nur selten so positiv gezeigt hat. Ambush In The Night ist dann der Dritte im Bunde, der sich auf ähnliche Art produktiv zeigt und damit doch noch dafür sorgt, dass jedes Albumdrittel seinen herausstechenden Moment hat.
Damit lebt es sich in der Wailers-Diskographie weniger glamourös, auch weil die übrige Zeit in oft biederer Manier heruntergespielt wird. Man schwimmt zu oft in den unendlichen Weiten des Mittelmaßes herum und so, wie sich der Reggae ganz generell oft gestaltet, sorgt das mitunter auch für Minuten, die einen ohne den richtigen Willen einnicken lassen könnten. Dafür mitverantwortlich ist sicher auch die Ausrichtung der LP, denn mit "Survival" geht man der Entspannung eigentlich weitestgehend aus dem Weg, tauscht sie gegen zumindest in der Theorie laute Aufschreie und bleibt trotzdem musikalisch in den gleichen vier Wänden. Und das schlägt sich mit einer Band, die hier sicherlich nicht ihren vitalsten Augenblick zelebriert, in einer durchwachsenen Bilanz nieder, die letztlich bis zu Marleys Tod der Tiefpunkt der zweiten Wailers-Inkarnation bleiben sollte.