von Kristoffer Leitgeb, 08.12.2013
Die Rückkehr nach Jamaika wird zur Lehrstunde in Sachen Entspannung.
Der große Kampf ist beendet. Zumindest scheint es so. Denn gerade ein Jahr ist es her, dass Bob Marley nach einem Attentatsversuch auf ihn ins Exil nach London flüchtete und mit "Exodus" ein Manifest für die jamaikanische Bevölkerung und vor allem die Rastafari ablieferte. Und siehe da, schon kommt mit "Kaya" eine Sammlung von Songs aus den gleichen Sessions, aber mit einem Grundton, der unterschiedlicher kaum sein könnte. Waren es 1977 Songs wie Guiltiness und das Re-Make von One Love, die dem Ganzen einen starken politischen Drall verliehen haben, so sind diesmal die Liebe, Marihuana und ganz generell Entspannung die großen Themen.
Und es ist gut so. Auch wenn dieser radikale Schritt vom schon grundsätzlich ziemlich militanten Sound der Wailers hin zu diesen unglaublich relaxten zehn Tracks vielleicht nicht jedermanns Sache ist, die Qualität hat wohl kaum gelitten. Zwar sucht man vergeblich nach den Minuten, die Songs wie No Woman, No Cry oder Three Little Birds Konkurrenz machen könnten, alles in allem bleibt einem der große Bob Marley aber wenig schuldig. Vor allem die Leadsingle Is This Love ist es, die sofort überzeugt, die alten Stärken hervorzaubert, vor allem was die Rhythm Section anbelangt.
Gerade dort scheint aber vielleicht auch ein kleines Manko des Albums zu stecken. Denn auch wenn einem Tracks wie Easy Skanking und Crisis ähnlich bei Laune halten, wie das die meisten Songs auf dem Vorgänger getan haben, wirken die Drums und vor allem der Bass bei Zeiten etwas müde. Denn das Brüderpaar Aston und Carlton Barrett hat an ihren Instrumenten schon oft wirkliche Top-Arbeit abgeliefert, diesmal schadet das oft niedrige Tempo aber vor allem ihnen. Großes Plus im musikalischen Bereich sind dafür die erfrischend lockeren Keyboard- und Bläserparts, genauso wie die diesmal dezentere Lead-Gitarre von Junior Marvin. Die sorgen dafür, dass von "Kaya" schon eine ganz andere Aura ausgestrahlt wird als von "Exodus" oder gar dem Nachfolger "Survival".
Das große Motto heißt also: Relax, baby. Ob das nun auf Kosten der Songqualität geht, mag jeder für sich entscheiden, in Wahrheit schafft es die LP aber gerade deswegen und eigentlich auch wegen nichts anderem einen besonderen Platz in der Discographie von Marley und seinen Wailers einzunehmen. Denn ein ziemlich verträumter Titeltrack, nur dem Cannabis-Konsum gewidmet ("I feel so high / I even touch the sky"), die großartige Liebes-Hymne Is This Love oder aber der nur wenig melancholische Track über den von der Frau Verlassenen, She's Gone, bringen einem auf großartige Art den 'Feel Good'-Vibe ins Haus, den man auf früheren Platten immer nur vereinzelt genießen durfte. Das bringt einem einige wenige tolle Song-Zeilen, so manch erinnerungswürdigen Rhythmus und vor allem einen Bob Marley, der weitaus lebensfroher klingt als noch ein Jahr vorher.
Dessen Performance scheint zusammen mit seinem Background-Trio, den I-Threes, überhaupt die auffälligste Verbesserung zu "Exodus" zu sein. Die Stimme klingt energetischer, frischer und bringt auch mehr Melodie in die Songs. Und so singt er sich durch seine Drogen-Tracks, Lovesongs und allzu oft scheint die große Botschaft hinter den Liedern einfach nur zu sein, dass man das Leben doch auch genießen könnte. Beendet wird dieses positive Kunstwerk erst mit den letzten beiden Songs, Running Away und Time Will Tell. Mit den Zeilen "You're running and your running and your running away / But you can't run away from yourself" und "You think you're in heaven, but you're living in hell" kommt da weniger Freude auf, auch wenn vor allem beim Closer dank des ruhigen, von simplen Drums und dezentem Gitarrengezupfe getragenen Sounds wenig schlechte Stimung aufkommen kann.
Eindeutiger Knackpunkt bei "Kaya" ist trotz all seiner offensichtlicher Vorzüge die fehlende Abwechslung und die im Gesamten betrachtet unheimlich träge Musik. Zwar mögen Entspannung und Reggae so schnell zusammenfinden wie Wut und Metal, das in dieser Form auf Albumlänge auszuwälzen geht aber nicht ganz auf. Vor allem deswegen, weil dann eben doch nicht überall großes Top-Material auf einen wartet. Wann immer nämlich eine starke Bass-Line, netter Text oder Ähnliches fehlt, gehen die Songs in Mittelmäßigkeit unter. Und so scheinen Misty Morning oder Sun Is Shining wenig zu besitzen, was einem in Erinnerung bleiben könnte, auch wenn einem da nichts Störendes unterkommt. Bei Running Away wird's dann mit dem ruhigen Gesang, kombiniert mit einschläferndem Keyboard-Part und wenig motiviert eingespielten Bläser-Sätzen schon ziemlich schwierig.
Genau das hebt dann auch das Schwester-Album "Exodus" etwas vom 78er-Werk ab. Denn dort war zwar lange Zeit keine meisterliche Minute in Sicht - mit Three Little Birds und One Love kamen die dann aber doch in gebündelter Form -, dafür konnte von wirklichen Schwächen aber auch nicht die Rede sein. Diesmal scheint das Album eine genialen Flow zu haben, dafür pendelt sich das angebotene Material durch die Bank eine Spur unter dem des Vorgängers ein.
Groß herum zu raunzen gibt's aber auch diesmal nichts. Bob Marley und Konsorten liefern ein Album ab, dass als starker Kontrast zu den politischen Statements dasteht, die auf den früheren Alben so oft zu finden waren. Dass bei all der relaxten Atmosphäre die Qualität der Songs ein klein wenig gelitten hat, fällt einem frühestens beim zweiten Durchgang auf, ist dann aber doch nicht ganz zu leugnen. So reiht sich "Kaya" ohne Weiteres in die Riege der starken Alben von Marley ein, einen Meilenstein der Musikgeschichte stellt die Platte aber mit Sicherheit nicht dar.