von Kristoffer Leitgeb, 06.01.2017
Kaum ist Marley abgetreten, wird auch beim finalen Album die Leblosigkeit zum Hindernis.
In regelmäßigen Abständen passiert es, den Naturgesetzen folgend, dass ein ganz Großer der Musikgeschichte das Zeitliche segnet. Dann werden weltweit Tribute ausgesandt, Erinnerungen an legendäre Hymnen und lebensentscheidende Konzerte werden geteilt, Tränen weggedrückt. Ein bisschen viel mitunter, aber ich will den Menschen ihre Sentimentalität nicht madig machen. Zum Ausgleich kommen Findige wenigstens auch bei jedem Todesfall in aller Schnelle auf die Idee, noch ein wenig unveröffentlichtes Material zusammenzukratzen und so dem verblichenen Heroen noch einen großen Auftritt zu ermöglichen. Die Sentimentalen wiederum schreien auf, weil da doch tatsächlich mit dem musikalischen Nachlass Geld gemacht wird. Oder man genießt es einfach, noch einmal einen großen Künstler in Bestform erleben zu dürfen. Wenn es nur die Bestform wäre...
Bob Marleys letztes zum Studioalbum geadeltes Songkonglomerat reiht sich allerdings doch ziemlich nahtlos ein in die Reihe der vielen posthum von mehr oder weniger autorisierten Personen irgendwie notdürftig geformten LPs, die nicht unbedingt nach dem Geschmack des jeweiligen Interpreten sein dürften. Allesamt mehr eine Collage aus Fragmenten, Demos und nachbearbeiteten Kompositionen, denen zuallererst der Schein der Vollendung komplett fehlt. "Confrontation" ist nicht anders. Zehn Songs nur, zwei davon, die klar besten, bereits vor Marleys Tod als Singles veröffentlicht, der Rest aber ungewohnt roh, plan-, finessen- und leblos. Nur noch ein bisschen spürt man im leicht kitschig klingenden Opener Chant Down Babylon den Hauch der großen Melodiekünste und vor allem der unverkennbaren stimmlichen Ausdrucksstärke, die Bob Marley immer ausgezeichnet hat. Der Rest sind die etwas verlassen wirkenden I-Three, von Zeitlosigkeit Lichtjahre entfernte Keys und wenig inspirierende oder Energie versprühende Rhythmen.
Fortsetzung folgt, programmgemäß mit Buffalo Soldier, das es zwar auf schwer erklärbare Weise zu einem Klassiker gebracht hat, eigentlich aber eine reichlich träge Hymne auf die schwarzen Kavalleristen der Frühzeit US-amerikanischer Kriegsschauspiele ist. Musikalisch kommt die etwas ungelenke Liedersammlung nie wirklich in Fahrt, weil der früher oft so glänzend agierenden Rhythm Section um die Barrett-Brüder wenig Erbauliches einfällt und weil die übrige Auskleidung der Songs unweigerlich in ihren Entstehungsjahren feststeckt, heute so veraltet tönt wie die Neue Deutsche Welle. Und weil gleichzeitig kein zweiter Redemption Song zu finden ist, der durch emotionale Tiefe und textliche Güte bestechen könnte, bleibt einem fast ausschließlich eine Ansammlung passabler Kompositionen. Offensichtlich unverfeinert, wie das in seiner entspannten Gemütlichkeit durchaus ansprechende Give Thanks & Praises schnell beweist. Was ein halbes Jahrzehnt vorher locker aus dem Ärmel geschüttelt wurde, voller Leben und mit einem mühelos wirkenden Detailreichtum gesegnet war, ist diesmal eher schwerfällig und versinkt in den zu erahnenden guten Ansätzen, die nie vollwertig umgesetzt wurden. Deswegen fehlt einem trotz dem gelungen zurückhaltenden Bläsersatz von Trench Town oder der guten Hook im Refrain von Jump Nyabinghi das notwendige Etwas, um die verstreichenden Minuten wirklich als lohnend zu empfinden.
Die zweite Hälfte bietet aber neben der allzu zähen Übung Stiff Necked Fools wenigstens die oben erwähnten älteren Singles Blackman Redemption und Rastaman Live Up!, die auch gleich frühere Qualität mitbringen. Bei ersterem klingt das zwar gemütlich wie anno dazumal "Kaya" und bringt den gesanglichen Paarlauf Marleys mit seinen I-Three in gelungener Form zurück, plätschert aber für dreieinhalb Minuten dann doch etwas zu lethargisch dahin. Closer Rastaman Live Up! hätte dagegen auch auf seinen besten Alben einen Platz haben dürfen. Urplötzlich ist die Harmonie wieder da, alles im Fluss und neben dem gemächlichen Beat spielt nicht nur das Background-Trio erfolgreich mit, wenn Marley zum Refrain einsetzt, sogar Junior Marvin lässt sich zu ein paar kleinen, aber feinen Zupfern an seiner Gitarre hinreißen und füllt so den Raum aus, der auf anderen Tracks leider leer bleiben musste.
Wer sich nun fragt, was eigentlich thematisch so abläuft auf dieser siebten LP unter Marleys Alleinherrschaft, der wird auf Überraschungen noch länger warten als im musikalischen Bereich. Die Titel verraten viel, Jah, Babylon und die jamaikanische Heimat, wo das Auge hinsieht. Die ein oder andere Liebesg'schicht - natürlich ohne dazugehörige Heiratssache - und schon ist das archetypische Wailers-Album fertig. Wäre da nicht die ziemlich unspezifische Ausformung der Zeilen, die sich im besten Falle zu spirituellen Mantras umdeuten lassen, meist aber nur die abgemagerte Version früherer Hymnen darstellen. I Know reiht sich als süßliches Synthie-Pop-Spielchen noch relativ nahtlos ein in die kitschig-romantischen Oden, die die Jahre davor brachten. Jump Nyabinghi, Trench Town und sogar das sehr straighte Give Thanks & Praises sind dagegen textlich schwammig bzw. spärlich genug, um einem den Charakter der LP als schlichte Verbeugung vor einem gefallenen Idol einer ganzen Generation sehr deutlich vor Augen zu führen. Da ist nicht viel fertig oder gereift.
Vor diesem Hintergrund kann "Confrontation" wohl gar nicht mehr sein als ein lauwarmes Gericht. Es wird auf alle Fälle nicht mehr so heiß gegessen wie noch zu Zeiten von "Natty Dread" und so bleibt einem 1983 hauptsächlich ein Doppelpack untergegangener Singles, veröffentlich zu Lebzeiten Marleys. Der Rest ist zwar nicht Österreich, aber trotzdem eine eher durchschnittliche Affäre. Eine Ansammlung verhältnismäßig charakterarmer und musikalisch unspektakulärer Kompositionen, notdürftig nachbearbeitet, ohne der ordentlichen Basis, die das nicht zu ignorierende Songwriting-Talent von Marley bietet, noch Nennenswertes hinzufügen zu können. Aufzuregen braucht man sich über den posthumen Cash-Grab allerdings trotzdem nicht. Im schlimmsten Fall hat man nämlich Songs, die keiner braucht, im besten Fall gibt's neue Perlen. Bei Marley war damals anscheinend keine mehr zu finden - obwohl Iron Lion Zion noch irgendwo herumgelegen sein muss -, dafür kann aber wiederum niemand etwas.