von Kristoffer Leitgeb, 22.10.2013
Kein musikalisches Meisterwerk, dafür ein alles überstrahlendes Statement.
Bob Dylan. Ok, und ich soll jetzt was über den schreiben? Über den Dylan, den jeder covert, der in allen Bestenlisten vorkommt und das sicher mehr als einmal? Der Dylan, der in den letzten 50 Jahren von so ziemlich jedem Musikkritiker irgendwann in den Himmel gelobt und dann doch auch wieder abgeschrieben wurde? Man könnte Bücher füllen mit den Reviews, die zu seinen 35 Studioalben verfasst wurden, und jetzt muss ich da auch noch meinen Senf dazugeben? Meinetwegen, aber nur unter Protest.
Apropos, da sind wir doch schon direkt in medias res. Denn wenn einem Dylan in den frühen 60ern eines geboten hat, dann einen Haufen Protest-Tracks. Blowin' In The Wind zum Beispiel, immerhin Nummer 14 auf der Rolling Stone-Liste der 'Top 500 Songs'. Der kam allerdings schon auf seinem zweiten Album. Diesmal gibt's genau auf dem Lied aufbauend mehr Gesellschaftskritik denn je, ein politisches Album, das mit Sicherheit eher textlich als musikalisch überzeugt. Mit "The Times They Are A-Changin'" ist für Dylan da auch der Titel Programm. Obwohl er das große Woodstock-Festival nicht mit seiner Anwesenheit beehrt hat, diese LP ist ein Meilenstein genau für die Hippie-Szene der damaligen Zeit.
Ein Umstand, der bereits mit dem Opener, gleichzeitig Titeltrack, vollkommen klar wird. Denn wenn Bob Dylan, ausgerüstet mit seiner Gitarre und seiner Mundharmonika, Sätze ins Mikrofon krächzt, die da lauten: "Come mothers and fathers throughout the land / And don't criticize what you can't understand / Your sons and your daughters are beyond your command / The old road is rapidly agin'", dann weiß man ganz schnell, wohin die Reise geht. In Wahrheit ist es wohl nicht ein Protestsong, sondern der Protestsong schlechthin. Dass liegt zu einem nicht kleinen Teil an Dylans Fähigkeit, mit seinen zwei Instrumenten Songs genauso komplett klingen zu lassen, wie es anderen bestenfalls mit kompletter Begleitband gelingt. Viel mehr als die Instrumentierung hilft da allerdings die einzigartige Stimme des Folk-, Rock- und 'was-weiß-denn-ich-was-noch'-Stars. So rau und schwierig sie mitunter sein mag, Dylan schafft es auf großartige Art und Weise nur durch seinen Gesang den Songs die nötige Melodie zu verpassen, die durch das einfache Gitarrengezupfe sicher nicht aufgebaut werden könnte.
Das ist auch dringend nötig, denn der eine große Kritikpunkt, der "The Times They Are A-Changin'" anzulasten ist, ist die musikalische Monotonie. Viel spielt sich abseits von dem, was auch schon zu Beginn gezeigt wird, nämlich nicht ab. In Wirklichkeit gar nichts. Weitere Instrumente kommen nicht dazu. Und komplexer wird Dylans Musizieren auch in Songs wie With God On Our Side oder Boots Of Spanish Leather nicht. Ist aber auch nicht nötig. Denn es ist komplett egal, ob man ihn in letzterem mal etwas persönlichere Töne anschlagen hört. Dort klagt er nämlich über die verreiste Geliebte ("No, there's nothin' you can send me, my own true love / There's nothin' I wish to be ownin' / Just carry yourself back to me unspoiled / From across that lonesome ocean.") und vor allem über deren Veränderung im Laufe der Zeit: "I'm sure your heart is not with me / But with the country to where you're goin'." Während das für diese LP beinahe ungewöhnlich ist, so scheint With God On Our Side genau ins Bild zu passen. Über sieben Minuten bewegt sich Dylan durch so manchen großen Krieg und das mit einem gerüttelt Maß Zynismus. Denn warum er dem jeweiligen Sieger zugesteht, er hätte Gott auf seiner Seite gehabt, wird spätestens dann klar, wenn er gegen Ende verkündet: "I've been thinkin' about this / That Jesus Christ was betrayed by a kiss [...] You'll have to decide whether Judas Iscariot had God on his side".
Der eindeutige Höhepunkt seines breitgefächterten Statements, dass sich in The Lonesome Death Of Hattie Carroll mit dem damaligen Prozess rund um den realen Mord befasst oder aber in North Country Blues mit der Schließung von Minen wegen billigeren Arbeitskräften im Süden befasst, muss aber Ballad Of Hollis Brown heißen. Denn Dylans Art, die Geschichte vom verarmten Farmer, der aus Verzweiflung seine hungernde Familie erschießt, zu erzählen beeindruckt auf allen Ebenen. Der einförmige Klang der Gitarre gibt dem Song hier eine durchaus düstere Aura und die Lyrics sind zumindest auf gleichem Niveau wie die obigen, wenn nicht stärker. Und so schafft es Dylan dann doch einem wahrlich perfekte Minuten abzuliefern, auch wenn es nur diese fünf sind.
Dass es insgesamt nicht zur vollen Punktzahl reicht, liegt vor allem daran, dass sich zwischendurch doch auch leichte Verschleißerscheinungen zeigen. Denn vor allem im Falle von One Too Many Mornings und Restless Farewell gelingt genau das nicht, was abseits von diesen beiden aufgeht. Weder die Stimme des US-Amerikaners, noch die Texte überzeugen in dem Maße, dass sie die etwas fade musikalische Untermalung wirklich wettmachen könnten. Zwar ist die nicht schlechter als sonst wo auf dieser LP, in den übrigen Nummern fällt es einem aber eigentlich nie auf, dass die Musik doch ein recht frühes Ablaufdatum hat. Hier schon.
Doch auch wenn diese zwei Songs nicht mehr als das Mittelmaß erreichen, das Gesamtpaket ist durchaus überwältigend. Allerdings sollte jeder, der bei Dylans musikalisch anspruchsvolleren Alben seine absoluten Favoriten findet, hier nichts Übermächtiges erwarten. Es ist nämlich offensichtlich, dass er auf seiner dritten Platte viel mehr darauf bedacht war, ein kraftvolles Statement abzuliefern als ein künstlerisches Meisterwerk. Das ist eindrucksvoll gelungen.
Anspiel-Tipps:
- The Times They Are A-Changin'
- Ballad Of Hollis Brown
- With God On Our Side
- Boots Of Spanish Leather