von Kristoffer Leitgeb & Mathias Haden, 12.11.2019
Ein songwriterischer Quantensprung beschert legendäre Folk-Hymnen und eine kaum zu toppende LP.
Man scheint sich soweit einig, dass Bob Dylans zweiter Auftritt im Albumformat sein erster wirklich großer und richtungsweisender gewesen sein dürfte. Ein Debüt, das oft genug vielversprechend geklungen hat, aber von den gelungenen Coverversionen traditioneller Songs gelebt hat, hätte immerhin in viele verschiedene Richtungen führen können. Geworden ist es der Schritt zu einem Songwriter außergewöhnlichen Ranges, der die sich drehende Welt genauso im Blick hat wie sein persönliches Auf und Ab.
Auf "The Freewheelin' Bob Dylan" passiert das immer noch mit der Prämisse musikalischer Einfachheit. Diverses traditionelles Liedgut wird adaptiert, reinterpretiert und erst wirklich zu etwas Wertvollem gemacht, während Dylan weiterhin zuallererst im klassischen Folk und Blues wurzelt. Die daraus resultierende, simple Szenerie ist allerdings bereits hier deutlich behänder zusammengestellt, reicht vom knackigen 12-Bar-Blues zum brodelnd wütenden Folk, luftiger Leichtigkeit und fragilen Akustikzupfern, wann immer die emotionale Tiefe danach verlangt. Und alles davon beherrscht Dylan mühelos, was daran liegt, dass das Zentrum von allem sein Charakterstimmchen und die textlich ausgereifte Tour de Force ist, derer man ausgesetzt wird. Jahrzehnte nachhallende, poetische Minuten wie die von Blowin' In The Wind und insbesondere dem lyrisch aufwendig konstruierten A Hard Rain's A-Gonna Fall sind da nur ein kleiner, wenn auch bemerkenswerter Teil des Spektakels. Aber ein folgenreicher, denn Dylans mitunter kryptischer, in jedem Fall an Gleichnissen und literarischen Verweisen reicher Blick auf das große Ganze, die Abkehr vom spezifischen Einzelereignis, sollte zu einem seiner größten Trümpfe werden.
Allerdings ist es ein Album gespickt mit Trümpfen in Form der fast verloren wirkenden romantischen Minuten von Girl From The North Country oder Corrina, Corrina, genauso wie das zurückhaltende Don't Think Twice, It's Alright, das eindringlich zwischen versöhnlichem Abschied und resignierender Anklage balanciert. Es ist in dieser Hinsicht bemerkenswert, wie es Dylan gelingt, gefühlvolle, persönliche Momente mit teils schonungslosen, teils hoffnungsvollen Blicken auf die politische Lage abzuwechseln und beides eindringlich genug zu gestalten, dass man keine der beiden Seiten bevorzugen muss. Was nichts daran ändert, dass seine gesellschaftspolitische Seite speziell damals seine ikonischere war, weswegen nicht nur das endzeitlich anmutende A Hard Rain's A-Gonna Fall heraussticht, sondern auch konträr dazu Oxford Town, der simpel aufgebaute Blick auf den grassierenden Rassismus in den Südstaaten am Beispiel universitärer Segregation. Über all dem steht am Ende nur eines, ein ewiges Meisterwerk, nämlich Masters Of War, das zwar in seiner Direktheit wenig Platz für Poesie lässt, dafür bis heute als die wohl aggressivste, düsterste Anklage Dylans besteht und seine Anti-Kriegs-Botschaft mit ungewohnter Wut an die Schuldigen richtet:
An dieser Stelle ließe sich noch so viel sagen über die herausragende Qualität dieses Albums, das rückblickend den Grundstein für die verdammt schnelle Entwicklung Dylans zur Stimme einer Generation, zu einem großartigen Songwriter und einer lebende Legende gelegt hat. Aber erstens würde das Zeit kosten, die man besser damit verbringt, "The Freewheelin' Bob Dylan" anzuhören, zweitens hat dazu vielleicht ein zweiter MusicManiac auch noch ein paar Worte zu verlieren und drittens kommt irgendwann der Punkt, an dem man eine LP des US-Amerikaners einfach damit zusammenfassen kann, dass sie Dylan in seiner höchsten Blüte einfängt und jeder weiß, was das zu bedeuten hat.
K-Rating: 9.5 / 10
Ein songwriterischer Quantensprung beschert legendäre Folk-Hymnen und eine LP, die er selbst noch oft zu toppen vermochte.
Sommer anno 200x im Auto auf dem Weg nach Italien. Eine sanfte Brise streicht durch das Auto, während eine CD im CD-Player des Autos meines Vaters langsam aber bestimmt ihre Runden dreht. Der Inhalt? Ein angenehmes Bob Dylan Best-of. Bob Dylan. Ein klingender Name, der von guten Zeiten und noch besserer Musik träumen lässt. Kaum ein Mensch in unserer Gesellschaft der sich, ohne diesen heiligen Namen bzw. dessen Musik zu hören, durch das Leben geschummelt hat.
Was Sie hier lesen durften, meine Damen und Herren, ist nicht nur mit etlichen kleinen Schlampigkeitsfehlern gespickt, sondern ein historisches Dokument. Denn besagte Zeilen datieren von einer Zeit, als diese anachronistische Webseite genau so wenig geplant war, wie so mancher unserer treuen Leser. Nun, viele Jahre später, ist Bob Dylan tatsächlich der erste Künstler, der sich über zehn Reviews auf der hiesigen Seite freuen darf. Mit einem Album, das einiges dazu beigetragen hat, dass wir heute überhaupt Werke im Albumformat besprechen, als wäre es die normalste Praktik auf der Welt.
Nicht umsonst, denn die Qualität von ewigen Hymnen wie Blowin' In The Wind oder Don't Think Twice, It's Alright ist auch sechsundfünfzig Jahre nach Veröffentlichung der wegweisenden LP unbestritten und auch die Euphorie des Kollegen absolut nachvollziehbar. So simpel, so eindringlich zugleich und mit dem poetischen Selbstverständnis eines alten Mannes (he's younger than that now, you know), dessen raspelige Stimme zu den größten Phänomenen der Pop-Musik zählt. Aus heutiger Sicht ist es gar nicht anders möglich, dass ausgerechnet dieses polarisierende Organ den Worten so verdammt viel mitgeben konnte. Ich möchte deshalb in den Jubeltenor einstimmen und besonders die apokalyptische Schönheit, die sich durch die knapp sieben Minuten von A Hard Rain's A-Gonna Fall zieht, hervorheben. Besser hat es selbst der große Meister auf Songlänge nicht mehr hinbekommen, nur gelegentlich diese Höhen wieder erreicht.
Auch sonst finde ich mich in den Beschreibungen meines Vor- und Fürsprechers wieder (- auch in dem Bestreben, lieber auf das Hören der Scheibe hinzuweisen). Gerade der Doppelpass zwischen introspektiven Einblicken und gnadenlosen Anschuldigungen verleiht dem frühen Dylan einen ganz besonderen Charme. Was mich allerdings immer schon etwas irritiert, ist die große und ungebrochene Liebe des Kollegen für den runden, aber gar nicht so eindringlichen Pazifismus-Klassiker Masters Of War, der zwar schön direkt dahin rollt, aber ohne die poetische Schönheit anderer Perlen auf der LP etwas hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, generell eine noch etwas düsterere Stimmung vertragen könnte.
Zieht man dazu noch in Anbetracht, dass zwischen den Aushängeschildern dann doch immer wieder ein wenig Leerlauf in Form etwas blutleerer Nummern wie Down The Highway oder Honey, Just Allow Me One More Chance geboten wird, bleibt am Ende ein höchst einflussreiches Album übrig, dessen hoher musikhistorischer Stellenwert seinen fünfzig Minuten einfach nicht ganz gerecht werden kann. The Freewheelin' Bob Dylan bleibt demnach ein wichtiges Relikt seiner Zeit, kann aber in seiner Gesamtheit nicht konkurrieren mit dem, was noch von ihm kommen sollte.
M-Rating: 7.5 / 10
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