von Mathias Haden, 04.02.2016
Der nächste Paradigmenwechsel bringt den Folk-Altmeister zurück zu akustischer Schlichtheit.
Fünf Dylan-Reviews im ersten Abschnitt unserer Laufbahn und dann direkt ein Sabbatjahr 2015? Was für ein Frevel, tun wir da lieber gleich Buße. Mit einer LP, die uns spät ins legendäre 1967 zurückträgt, als nach einem Sommer des friedvollen Miteinanders weiterhin Eintracht und Nächstenliebe das kollektive (amerikanische) Bewusstsein prägen. Während in San Francisco die Korken knallen und die ganze Westküste zum psychedelisch eingefärbten Pop der Beatles, Doors oder Jefferson Airplane die benebelten Köpfe schwingt, zieht sich der als Robert Zimmerman geborene Dylan für mehr als ein Jahr, was für einen Künstler und besonders für ihn zu jener Zeit äußerst unüblich ist, zurück, erholt sich von einem heftigen Motorradunfall, spielt ein paar legendäre Basement-Tapes mit den Hawks (später besser bekannt als The Band) ein und kehrt nun mit einem Album zurück, das dem Zeitgeist nicht weniger hätte entsprechen können.
Von Psychedelia und opulenten Arrangements keine Spur, eher das direkte Gegenteil. Mit
John Wesley Harding, samt Produzent Bob Johnston und der frischen Luft Nashvilles um sich herum, wendet sich Dylan der Americana und mit ihr
traditionellen, spärlich instrumentierten Songs zu. Nicht unbedingt Neuland für den umtriebigen Meister, war er vor den elektrischen Großtaten der Jahre davor doch schon akustisch unterwegs,
trotzdem sollte die achte Studio-LP anders werden als alle anderen zuvor. Das liegt auch daran, dass dem Album ein angenehmer Country-Flair anhängt, der seinen charakteristischen Folk um frische
Nuancen erweitert. Die kommen allerdings erst am Ende von Seite 2 richtig zur Geltung, zuerst könnte man fast von business as usual sprechen. Auf
Opener und Titeltrack huldigt His Bobness dem ominösen Outlaw, lässt die Mundharmonika in beinahe aggressivem Ton aufheulen, daneben rumpelt Charlie McCoys cooler Bass, der noch so manchem Stück
auf die Sprünge helfen soll. Etwa auf As I Went Out One Morning, das mit seiner simplen Formel, der typischen Schilderung ein straightes, aber umso
präziseres Arrangement zu verpassen, verdammt gut fährt.
Ganz grundsätzlich scheinen die Highlights der Platte überwiegend auf der A-Side ihren Platz eingenommen zu haben. Zuerst legt Dylan mit dem dramatischen All Along The Watchtower und einigen der kryptischsten, mit Bibelreferenzen gespickten Zeilen ("There must be some way out of here" / Said the joker to the thief") den Nährboden für einen der größten Hendrix-Hits, dann mutiert er mit der coolen Spoken-Word-Ballade The Ballad Of Frankie Lee And Judas Priest nicht nur wie
üblich zum virtuosen Erzähler, sondern zur Abwechslung auch mal zum Moralapostel: "Well, the moral of the story, the moral of this song / Is simply that one should never be where one does not belong". Dass die Metal-Heads von Judas Priest sich nach dem Song benannten, sei hier nur als unbedeutende Randnotiz vermerkt - genau wie die Theorie, wonach im Baum des Artworks
die Gesichter der Fab Four zu erkennen sein sollen.
In der zweiten Hälfte wird es dann ein bisschen zerfahrener, ohne allerdings exzellente Tunes vorzuenthalten. Besonders I Pity The Poor Immigrant wirkt gerade aus heutiger Betrachtung unglaublich zeitlos, weiß mit seiner friedlichen Stimmung und den sanften Mundharmonika-Parts genauso zu überzeugen, wie mit Dylans beherztem Gesang. Am Ende darf der Country dann auf den einzigen beiden Stücken mit Pete Drake an der Pedal Steel endlich Einzug halten - und das gar nicht einmal so brillant. Während Down Along The Cove am ehesten noch dank seiner coolen Bass-Line in Erinnerung bleibt, darf I'll Be Your Baby Tonight samt süßlichstem Gejaule immerhin über einen nicht ganz gerechtfertigten Legendenstatus jubeln, schlecht ist der Closer dank seiner lässigen Melodie aber auch nicht. Sucht man, lassen sich noch weitere Schwachstellen finden, am ehesten trifft dies jedenfalls auf den rotzig vorgetragenen The Wicked Messenger zu, dessen hübsche Fingerübungen an der Akustischen die verhältnismäßig wenig spannende Geschichte und den schwierigen Gesang nicht so recht kaschieren können.
Trotz der kleinen Störfeuer hie und da bleibt John Wesley Harding vor allem dank einer fantastischen Vorstellung in den ersten zwanzig Minuten ein weiterer Meilenstein in der von Meilensteinen bekanntlich nur so gespickten Karriere des Bob Dylan. Mit ihm wendet sich der König der Erzähler den Wurzeln der Americana zu und legt gemeinsam mit den Byrds und ein paar weiteren Künstlern damit ein wichtiges Fundament, das sowohl er selbst (für sein nächstes Album Nashville Skyline), als auch etliche Gleichgesinnte für die weitere Rückbesinnung auf die traditionelle Western Music der Staaten als Unterlage nutzen konnten. Dass auf diesen ehrenhaften Pfaden nicht immer alles glatt läuft, kann man da genauso verzeihen wie den Umstand, dass zur Abwechslung bei mir nicht die Pedal Steel-Stücke die erste Geige spielen. Das Ergebnis kann sich auch so durchaus sehen lassen.
Anspiel-Tipps:
- John Wesley Harding
- As I Went Out One Morning
- All Along The Watchtower
- The Ballad Of Frankie Lee And Judas Priest