Nach drei religiösen Gospelalben meldet sich Dylan mit einer verpassten Chance zurück.
Es ist niemals ein gutes Zeichen, wenn man bei einem Album einer verpassten Chance nachweint. Robert Zimmermanns zweiundzwanzigstes Studioalbum fällt in diese Kategorie. Aber was für eine Chance? Bei den Aufnahmen zu Infidels entstanden nämlich Songs, die als Bootlegs die Runde machten und wegen ihrer Absenz auf der finalen Tracklist für enttäuschtes Kopfschütteln bei Kritikern und Fans sorgten. Prominentestes Beispiel Blind Willie McTell, von vielen als Karrierehighlight betrachtet, auf das man bis zur offiziellen Veröffentlichung einige Jahre später warten musste. Dennoch gilt die LP als Rückkehr zu alter Stärke.
Aber der Reihe nach. Nachdem Dylan drei religiöse Gospelalben herausbrachte, die allesamt seiner Konvertierung zum Christentum folgen sollten, war er wieder bereit, sein neuestes Werk wieder weltlicher und zugänglicher zu gestalten. Als Produzent wurde Dire Straits-Frontmann Mark Knopfler angeheuert und eine fähige Band (u.a. Mick Taylor, ehemals Rolling Stones-Gitarrist) zusammengestellt.
Das Ergebnis kann sich mit der Rückkehr zu politischen Äußerungen und Kritik in den Texten eigentlich sehen lassen. Trotzdem stellt sich bei jeder Veröffentlichung in den frühen Achtzigern die Frage: Wo ist die Stimme hin, die zwar nie nahe an der Perfektion war, aber vor 6-7 Jahren noch top in Schuss war!? Aber das ist natürlich nicht das größte Übel auf Infidels. Dieses findet sich in der glattpolierten Produktion von Knopfler, die auch die späten Dire Straits-Alben zu Geduldproben macht.
An den einzelnen Tracks liegt es nämlich nicht, dass nicht die gewohnte Euphorie bei einem Dylanalbum aufkommt. Besonders Opener Jokerman funktioniert wunderbar und ist vielleicht sein bester in den Achtzigern veröffentlichter Song. Mit einer perfekten Mischung aus zurückgelehntem Groove und fast schon mysteriösem Text ("Jokerman dance to the nightingale tune / Bird fly high by the light of the moon / Oh, oh, oh, Jokerman") eine nicht zu unterschätzende Großtat im breiten Kanon des Altmeisters.
Dazu noch der romantische Liebessong Sweetheart Like You, das mit Textzeilen wie "You know, a woman like you should be at home / That's where you belong / Taking care of somebody nice" heutzutage bei feministischen Aktivisten auf wenig Verständnis stoßen würde.
Und zu guter Letzt noch Closer Don't Fall Apart On Me, der textlich zwar ein bisschen vom Rest des Longplayers heraussteht, aber irgendwie versöhnlich nach einem nicht ganz zufriedenstellenden Mittelteil daherkommt.
Am Anfang des zweiten Absatzes tätigte ich die Äußerung, das Ergebnis der LP könne sich dank der Rückkehr zu Dylans kritischer Ader 'eigentlich' sehen lassen. Dass dieses Wort unter Anführungszeichen steht, kommt nicht von ungefähr. Es sind nämlich gerade diese Tracks, die dem Album wichtige Punkte kosten.
Neighborhood Bully ist Dylans missglückter Versuch, die umstrittene Politik Israels mit einem dynamischen Rocksong zu verteidigen. Auch wenn dieser besonders wegen Mick Taylor ziemlich nach den Stones klingt, wird der Track zur unspektakulären Routineübung.
Apropos 'Rock': Mit dem monotonen und ebenso biederen Union Sundown, den man irgendwie als Kritik am Kapitalismus interpretieren kann, kommt so etwas wie Erleichterung auf, dass Dylan sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht allzu oft an Rockmusik herangewagt hatte. Da hilft auch der Gastauftritt von Sessionmusikerin Clydie King im Refrain nicht wirklich.
Das ebenfalls an moralisierenden Tönen nicht sparende Man Of Peace ist dagegen schon angenehmere Kost. Auch wenn der Track nicht über 6 Minuten unterhaltend wirken kann, versöhnt die letzte Minute, bei der die vermisste Mundharmonika in den Fokus gestellt wird.
Die restlichen zwei Songs (License To Kill und I And I) liegen irgendwo in der Mitte zwischen den erfreulichen und den weniger beglückenden Minuten, die Infidels bereithält.
Nach etwa 42 dieser ist der Kuchen gegessen. Die Herrschaften Dylan, Knopfler, Taylor und Co. haben ihren Job erledigt, der Hunger des Zielpublikums ist vorerst gestillt. Trotzdem wundert man sich schon, was hier eigentlich möglich gewesen wäre, immerhin standen ja auch andere Kandidaten für die Rolle des Produzenten (z.B. David Bowie) auf der Wunschliste, die den Sound der LP möglicherweise in eine andere, nicht so glattpolierte Richtung manövriert hätten.
So bleibt letztendlich nicht viel, bei dem sich die Geister hier scheiden könnten. Es gibt die starken Songs, es gibt die schwachen. Wer sich aber beispielsweise Blind Willie McTell oder Lord Protect My Child angehört hat, der kann die Enttäuschung und die Tränen in den Augen vieler Kritiker und Fans gut nachvollziehen. Diese hätten der Platte ein paar großartige Momente beschert und vielleicht den einen oder anderen nicht so berauschenden verhindert. Dennoch hält man hier ein Album in den Händen, das in der Karriere des legendären Bob Dylan einen wichtigen Meilenstein darstellen sollte. Wenn auch nicht in musikalischer Hinsicht.