Mit neuen, fähigen Mitstreitern bewaffnet, greift der Meister ein vorerst letztes Mal nach den Sternen und landet einen großen Wurf.
Was konnte Bob Dylan im Jahre 1975 bloß machen. Gerade erst mit Blood on the Tracks eines seiner meist umjubelten Alben zusammengeschustert, die 1967er Basement Tapes mit The Band veröffentlicht und bereit, mit seiner eigens zusammengestellten Band eine der besten Tourneen seiner Karriere in Angriff zu nehmen. Kurz vor dem Start machte sich der Meister allerdings erst daran, gemeinsam mit seinem Kumpel Jaques Levy ein paar neue Songs zu schreiben. Ungewöhnlich für einen Mann, der grundsätzlich selbst die Feder schwingt. Mysteriös auch die Geschichte, die die Rekrutierung der Violinistin Scarlet Rivera bezeugt: Als Dylan eines Tages in seiner Limousine durch die Straßen geführt wurde, erblickte er die Dame mit ihrer Violine bewaffnet. Er ließ den Wagen stoppen und einen kurzen Plausch zwischen zwei Musikern später, fand sich Rivera bereits bei den Aufnahmen zum siebzehnten Studioalbum wieder.
Neben der Violinistin und anderen namhaften Gästen wirkte auch Emmylou Harris, die später auch zum Bestandteil der Rolling Thunder Revue (besagte Tournee) wurde, als Gaststimme auf einigen Songs mit.
Los geht es dann mit dem wohl bekanntesten Song, Hurricane. Auf diesem greift Dylan zu einem seiner altbewährten Mittel, dem klassischen Protestsong. Was ihm diesmal absolut nicht schmeckt, ist die seines Erachtens nach fälschliche Verurteilung des Boxers Rubin 'Hurricane' Carter, die angeblich auf rassistischen Grundlagen und Falschaussagen basierte. Angeklagt aufgrund von dreifachem Mordes, saß Carter von 1966 bis 1985 im Gefängnis. Schwungvoll ziehen sich Violine und Congas durch den flotten Song, mehrmals begleitet auch von Dylans magischer Mundharmonika. "That's the story of the Hurricane / But it won't be over till they clear his name / And give him back the time he's done".
Der nächste Song, Isis, nimmt dann mal das Tempo etwas raus und lädt zu einer epischen Reise ein, die den Protagonisten durch Schluchten und zu Pyramiden aus Eis führt, ihn sogar zum Grabschänder werden lässt, der seinen auf der Reise verstorbenen Begleiter in das zu allem Überfluss noch leere Grab, das angenommene Ziel der Reise wirft. Letztendlich sieht er ein, dass diese Reise unsinnig war und er kehrt mit leeren Händen zu seiner Frau zurück.
Hier beeindruckt Dylan wieder einmal als unglaublicher Erzähler, der die Geschichte aus der Sicht des Protagonisten präsentiert und letztendlich sogar eine Moral bereit hält.
Etwas lockerer wird es dann mit Mozambique, der Werbung für das Land an der afrikanischen Ostküste. Gerade dieses entspannende Gefühl eines Songs, der sich selbst nicht allzu ernst nimmt, wirkt nach den beiden Vorgängern wahre Wunder. Nebenbei liefert es auch den ersten Albumauftritt Emmylou Harris' als Harmoniegesangspartnerin.
Diese ist es auch, die dem nächsten Song, One More Cup of Coffee (Valley Below), im Duett die nötige Würze gibt. Dieser handelt von einem Mann, dessen Liebe zu einem Zigeunermädchen nicht erwidert wird und der sich aufgrunddessen mit einem letzten Kaffee auf eine zukünftige Reise vorbereitet. Dylans aufopfernd gesungene Strophen bringen Gänsehaut und Harris' Gastspiel rundet den Song perfekt ab.
In selbiger Manier geht es auch mit Oh, Sister weiter. Einem der schönsten und emotionalsten Songs im Repertoire des Meisters. Außerdem lässt er etwas erahnen, welchen religiösen Weg Dylan Ende der 70er beschreiten würde. Der Harmoniegesang mit Emmylou Harris funktioniert auch hier wunderbar und gibt dem Track gemeinsam mit Rivieras zarten Violinengespiel eine sehr melancholische Note. "Oh, sister, when I come to knock on your door / Don’t turn away, you’ll create sorrow / Time is an ocean but it ends at the shore / You may not see me tomorrow". Schöner war es nie zuvor auf einem Dylanalbum und schöner wurde es auch nicht mehr.
Mit Joey geht es dann wieder in eine andere Richtung. Das mit elf Minuten längste Stück auf Desire huldigt dem amerikanischen Mafioso Joey Gallo und erklärt ihn zu einem Gangster mit Moral. Der Song reflektierte nach Meinungen vieler Kritiker nicht die tatsächliche Lebensweise des als gewalttätig geltenden Gallo, der hier wie ein Gentleman erscheint, dessen kriminelle Machenschaften lediglich seinen Job darstellen. Dylan selbst erklärte Jahre später allerdings, Joey sei komplett von Kollegen Levy geschrieben worden sein. Nichtsdestotrotz ein großartig vorgetragener Song, dessen Länge ihm allerdings nicht so zu Gute kommt wie etwa Desolation Row Jahre zuvor.
Sogar noch besser als auf dem Vorgänger, bringt sich Harris dann in Romance in Durango als Liebhaberin eines Gesetzlosen ins Spiel. Wundervoll instrumentiert, fühlt man sich auf diesem Track wie auf Durchreise mit einem Esel in dem mexikanischen Staat. Das Sahnehäubchen liefern die beiden Turteltäubchen noch mit ihrem passenden, spanischen Gesang.
Der wirkliche Höhepunkt eines an Höhepunkten nur so gespickten Albums kommt dann allerdings noch kurz vor Schluss in Form des genialen Black Diamond Bay. Dieser erzählt von einem Vulkanausbruch auf einer sinkenden Insel und den letzten Stunden der verbleibenden Menschen. Erzählt wird zuerst mitten aus dem Geschehen heraus über das Verhalten der anwesenden Leute in einem Hotel. Während sich der eine schon auf seinen Selbstmord vorbereitet, denken andere an homosexuelle Liebespiele um noch ein paar letzte schöne Momente zu erleben. Die letzte Strophe wird dann aus der Sicht des Erzählers geschildert, der den Untergang der Insel nur mit völligem Desinteresse vor dem Fernseher miterlebt hat. Mit dem Fazit "And I never did plan to go anyway to Black Diamond Bay…" beendet dieser seine fantastische Erzählung schließlich.
Ungewöhnlich persönlich wird es dann noch mit dem letzten Song, Sara, der zuckersüßen Liebesbekundung an seine damalige Frau Sara, von der er sich ironischerweise keine zwei Jahre später scheiden ließ. Der romantische Closer gibt einen großartigen Abschluss, der einen noch einige Minuten nach den letzten Tönen verträumt zurück lässt.
Robert Allen Zimmerman liefert mit Desire ein grandioses Werk. Wunderbar konstant und wie aus einem Guss. Jeder Musiker wirkt hier perfekt positioniert. Riveras ergreifendes Gedudel und Harris atemberaubender Gesang gemischt mit des Meisters einzigartigem Gefühl, Geschichten zu erzählen und sie in passende Songs zu packen. Nach 56 Minuten feinster Americana-Musik bleibt einem eigentlich nur eine letzte Erkenntnis: Das ist nicht nur eines von Dylans besten Werken, sondern eines der besten aller Zeiten.
Anspiel-Tipps:
- Hurricane
- Oh, Sister
- Black Diamond Bay
- Sara