von Kristoffer Leitgeb, 18.11.2016
Bescheidene Anfänge, aber nicht ohne ein erstes Aufblitzen des späteren Folk-Genies.
Unser Aufsichtsrat hat sich gemeldet. Ja, wir haben sowas. Keine Ahnung wo und wer dort drinsitzt, aber das ist in einer vernetzten, globalisierten Welt, in der soziale Kontakte oft auf anonymen Internetbekanntschaften sitzen bleiben, keine Seltenheit mehr. Die Nachricht war allerdings in gebrochenem Englisch abgefasst, was den Schluss zulässt, dass wir entweder bereits den Chinesen gehören, dass da dieser jemand aus den USA mit den "best words" getippt hat oder dass die Damen und Herren einfach wütend waren. Warum auch nicht? Wir bringen kein Geld ein. Deswegen der Wink mit dem Zaunpfahl, wir sollen doch bitte möglichst viele junge Künstler und taufrische Alben reviewen, weil das bringt Punkte bei den Menschen da draußen. Da spurt man natürlich umgehend! Und so ward der Fundus durchstöbert, gestolpert und erbrochen wurde über eine John-Otti-LP, bis sich da ein junger Mann aufdrängte, der sein akustisches Debüt zu präsentieren gedenkt. Robert Zimmerman, ein unbeschriebenes Blatt, geboren im netten Minnesota, darf also erstmals singen, auch wenn er es nicht will. Und er will faszinieren, auch wenn er es noch nicht ganz kann.
Hauptursache für diese gar gewaltige Diskrepanz zwischen seinem allerersten Schritt in Richtung Nobelpreis und späteren Großtaten könnte sein, dass er sich eben noch nicht zugetraut hat, albumwürdige Kompositionen in ausreichender Zahl hinzubekommen. Deswegen wurde erst einmal reinterpretiert, was Zimmerman, der sich in einem Anflug individualistischer Tendenzen irgendwann nur mehr als Bob Dylan vorstellte, so an Songmaterial lieben gelernt hatte. Das hat einen gewaltigen Vorteil, nämlich den, dass die Eigenkompositionen nicht im Zuge der ultrakurzen Recording Sessions von geschlagenen drei Abenden - Axl Rose braucht ungefähr doppelt so lang, um sich dafür zu entscheiden, in welchem Studio er einen Aufnahmeversuch wagen will - versaut werden konnten. Stattdessen pflügt sich Dylan also auf 13 Tracks vornehmlich durch die weiten Felder des klassischen Folk und die Unglückszahl scheint auch hier manchmal ihre Wirkung zu entfalten. Denn genauso, wie öfter Dylans Hingabe zum Ursprungsmaterial deutlich wird, so zeigt sich auch sehr bald, dass die Songauswahl im besten Falle suboptimal war. Viel zu schnell und hektisch rauscht schon der Opener You're No Good dahin, als dass die raspelnde Stimme des reichlich naturalistisch veranlagten Sängers irgendeine Wirkung entfalten könnte. Stattdessen nervt sie eher, weil Dylan ein bisschen nuschelt, ein bisschen der Gitarre hinterherhechelt, ein bisschen "stottert". Und so banal, wie der Song von Jesse Fuller dann ist, rettet auch der Mundharmonika-Auftritt nicht mehr wirklich, was ansonsten akzent- und nuancenloses Akustikgeschrammel ist.
In diese Kategorie fällt im Endeffekt fast alles, was hier ein für Dylan retrospektiv betrachtet ungemütliches Tempo mitbringt. Bukka Whites Fixin' To Die darf zwar als einer der ersten Anhaltspunkte dafür herhalten, dass Dylan später noch oft genug düstere, von Verzweiflung gezeichnete Geschichten in seinen Songs erzählen sollte, übersteht aber die allzu geschwinde Gangart genauso wenig wie der Freight Train Blues, dem das Abzweigen in die hohen Töne nichts hilft. Die Gabe der ironisch-überspitzten Interpretation, die Dylan noch lange, lange begleiten sollte, verhindert gleichzeitig auch, dass diese Tracks in wirklich unguten Ebenen verschwinden, aber vorerst bekommt man nur allzu selten das Gefühl, der Singer-Songwriter hätte gut ausgewählt. Nur das locker und trittsicher gesungene Highway 51, dessen Melodie später noch in verfeinerter Form in It's Alright Ma (I'm Only Bleeding) aufgehen sollte, macht einem den High-Speed-Dylan hier schmackhaft. Dort gelingt ihm mit einer mutigeren Gesangsperformance, die eine gesund übertriebene Akzentuierung nicht scheut, für einmal doch, sich den Song zu eigen zu machen und ihm den notwendigen Charakter einzuflößen.
Genau das begegnet einem zu selten, was auch damit zu tun hat, dass ihm auf seinem Debüt nur allzu vereinzelt das Einfangen der notwendigen Emotionen gelingt. Nur wenig später sollte gerade das zu einer seiner größten Stärken werden, dass er selbst ohne spektakulären Gesang oft genug sehr viel Gefühl in seinen Songs verstecken konnte. Man bekommt hier nur bei zwei Gelegenheiten wirklich zu spüren, wie das klingt. Einerseits im von den hohen Gitarrenklängen geprägten In My Time Of Dyin', in dem der gesetztere Ton und gerade Dylans vermeintlich ungerührte Präsentation dazu beitragen, dass dem traditionellen Gospel-Track eine drückende Schwere anhaftet. Bis zu einem Maße, dass man getrost von seiner ersten Großtat sprechen kann, steigert sich das in seiner Version von House Of The Rising Sun. Beeindruckend allein schon, wie komplett egal es rasch wird, dass er beim Text von der buchstäblich lebensmüden Frau bleibt. Viel zu ausdrucksstark und passend kraftlos wirkt die Darbietung, sodass die spätere Hitversion der Animals im Vergleich wie ein Partytrack wirkt. Mag auch manch andere Interpretation des traditionellen Folksongs virtuoser, angenehmer, kreativer geklungen haben, womöglich hat nie sonst einer diesen Ton gefunden, der den Zeilen "I'm going back to New Orleans, my race is almost run / I'm going back to end my life down in the rising sun" auf so beeindruckende Art gerecht wird.
Es bleibt ein einsamer Triumph, der zwar netterweise den bei weitem längsten Track der LP prägt, aber dem sich Dylan auch mit den ersten Songwriterübungen nicht mehr annähert. Beide sind nichtsdestotrotz ansprechend, wenn sie auch im Endeffekt nicht viel mehr darstellen als gute Blaupausen für das, was bis Mitte der 60er folgen sollte. Talkin' New York als sein erster Talking Blues und angereichert mit ersten Beispielen seines bissigen Humors. Er könnte wohl auch nicht anders, denn das Episodenstück mit seinem dauernden Mundharmonika-Zwischenspiel widmet sich seinen unglamourösen Anfängen in New York und damit einer Zeit, die er wohl trotz damaliger Geldknappheit mit einem Schmunzeln betrachtet. Song To Woody markiert dagegen die erste seiner gemächlich vorgetragenen, nachdenklichen Arbeiten, hier noch harmlos als Ode an seine größte Inspiration Woody Guthrie und mit einem wehmütigen Unterton gesegnet, der dezente Töne hervorbringt, wo leicht Kitsch sein könnte.
So schön das ist, sind es doch nur wenige Momente, die dem Debüt einen Hauch von Dylans Genialität mitgeben. Zum Großteil stellt das Album einen engagierten, aber alles andere als optimalen Erstversuch dar. Ob es primär an der Songwahl lag oder ob es dem US-Amerikaner in diesen unter Garantie von Spontanität geprägten Aufnahmesessions doch öfter an der Fähigkeit mangelte, das Material eher seinen Qualitäten anzupassen, wird schwer herauszubekommen sein. Beides wäre kein Verbrechen für einen 21-Jährigen, der den Folk verehrt und trotz markanter Fehltritte erste Happen großartiger Arbeit abliefert. Mehr Minuten aus der eigenen Feder und ganz eindeutig weniger Tempo hätten geholfen, doch Dylan hat seine Stärken so schnell auszuspielen gelernt, dass "Bob Dylan" vielleicht nicht einmal unbedingt inhaltlich analysiert werden muss, sondern einfach als ein kleiner Schritt für Robert Zimmerman, aber ein großer Schritt für die Menschheit dastehen darf. Das wäre nicht mein Zugang, aber der Aufsichtsrat will Resultate sehen und wenn ich schon so einen unbekannten Jungspund ins Rampenlicht zerre, dann muss ich auch so tun, als wäre er ein musikalischer Messias. Nobelpreisträger ist er ja immerhin schon.