Ohne erkennbare Identität oder Botschaft, aber mit Instrumenten. Die unschuldigen Anfänge.
Was unterscheidet Blur von Suede, Oasis, Pulp und all den anderen Bands, die im Britpop ihre paar Jahre Ruhm hatten? Es ist nicht die Tatsache, dass sie auch heute noch existieren. Das ist zwar in Falle dieser kurzen Modeerscheinung eine Seltenheit, gelingt aber zum Beispiel Suede. Man muss vielmehr am anderen Ende der Geschichte dieses Genres ansetzen und wird feststellen, dass Blur schon vorher da waren. In dieser Hinsicht sind sie arme Schweine, weil die Konkurrenz meistens mit dem Debüt schon voll durchstarten konnte, während bei Damon Albarn und seinen Kollegen zwar kurzzeitig so etwas wie ein Hype da war, der aber bis zum Debütalbum auch schon wieder ein sehr laues Lüfterl geworden ist. Insofern eine etwas bescheidene Situation, bedingt auch dadurch, dass von einem Massenphänomen noch keine Rede sein konnte und stattdessen mühsam dort angesetzt wurde, wo die paar Vorreiter aus der Madchester-Szene aufgehört haben. Das gelingt mit "Leisure" vielleicht stilistisch, qualitativ lässt fast alles hier aber sehr zu wünschen übrig.
Dieser Umstand lässt sich wohl am ehesten dahingehend zusammenfassen, dass es nicht so wirkt, als hätte man von Seiten der Band wirklich eine konkrete Idee, was da eigentlich herauskommen soll. Blur klingen zwar ansatzweise wie Blur, das allerdings hauptsächlich aufgrund der Tatsache, dass man Damon Albarn selbst unter tausenden Frontleuten immer noch heraushört. So latent gelangweilt klingt einfach sonst keiner, vor allem nicht in Verbindung mit diesem näselnden Tonfall und auffallend britischem Englisch. Der Rest offenbart zwar keine klanglichen Grausamkeiten, aber auch absolut keine der Finessen, die die Band im Laufe der Jahre offenbart hat. Dementsprechend stolpert das Debüt ziemlich dahin, es lahmt bei fast jeder sich bietenden Gelegenheit. Schon der Umstand, dass Opener She's So High als Leadsingle veröffentlicht wurde, lässt nicht auf das allerbeste hoffen. Da begegnet einem eine Form dessen, was später als Dream Pop bekannt werden sollte, die sich nicht als verträumt erweist, sondern als ein dröhnendes, konturlos produziertes Amalgam aus allem, was ein Rock-Line-Up eben so hergibt, verbunden mit einer textlichen Banalität, die immerhin dahingehend gut porträtiert wird, als dass Albarn trotz vermeintlicher Verliebtheit, die die Lyrics ausdrücken, komplett desinteressiert klingt. Man kann das trippy nennen oder auch einfach unspektakulär.
Jetzt heißt unspektakulär nicht zwingend schlecht und so ergibt es sich, dass Blur einen mitunter zwar elendiglich langweilen können, aber meistens einen Weg finden, die klobig geformten Songs durch interessante Ansätze über Wasser zu halten. Das bedeutet im Falle von Fool, dass man trotz wuchtiger Gitarrenwände in den Strophen einen direkten Draht zum schwungvollen Pop, dem sich R.E.M. in dieser Zeit mitunter zugewandt haben. Das macht es noch nicht wirklich lohnend, was da geboten wird, aber es gleicht die von allen Feinheiten befreite Handhabung des Sounds einigermaßen aus. Genauso wie man in Come Together oder Slow Down immerhin auf das höhere Tempo und damit ein wenig Energie hinter den ansehnlichen Pop-Hooks verweisen kann.
Gleichzeitig gibt es so Songs, deren schiere Existenz Fragen aufwirft. Die sind auf den ersten Blick unscheinbar, weil gar nicht so extravagant. Wieso aber Sing mit seiner elendiglich einfachen Klavier-Hook und dem stumpfen Beat im Hintergrund endlos dahindümpelt und als Höhepunkt ein lethal langsames Anschwellen der Riffs mitsamt trägen "Aaaaaahs" bietet, ist ein einziges Rätsel. Eine sterbenslangweilige Katastrophe, dahingehend wunderbar akzentuiert von Birthday, dessen psychedelischer Touch an der Gitarrenfront und banales George-Martin-Gedenk-Piano nicht verhindern, dass man bei der Songhälfte einschlafen möchte. Es passiert einfach nichts in diesen Songs, das einen von Albarns auf allen Ebenen unterwältigender Performance ablenken oder aber eine Spannung auch nur in Ansätzen kreieren könnte. Die Arrangements sind sowohl bezüglich der Art der Instrumentierung als auch rein melodisch und strukturell zu banal und ereignisarm, als dass man sich an irgendetwas festhalten könnte, das nicht die ausgewogene Produktion ist. Die wiederum passt meistens, weil sie diese etwas merkwürdige Kombination aus beatlesesquem Pop, in Richtung Shoegaze driftenden psychedelischen Anwandlungen und sporadischem Abdriften in Glam-Rock-Allüren durchaus ordentlich einfängt. Nur bringt das wenig, wenn nicht viel einzufangen ist.
Ein Glück, dass sich an mancher Stelle ein weitaus positiveres Bild zeichnen lässt. Die Momente, in denen den Briten charakterstarke und unterhaltsame Musik auskommt, sind zwar nicht gerade in einer Unzahl zu finden, aber mit ein bisschen gutem Willen eben doch vereinzelt. Allen voran beweisen das die Singles, die nicht She's So High heißen. Bang war zwar kommerziell ein Reinfall, bietet aber eine unerwartet aktive und harmonische Rhythm Section, die sich inbesondere über die starke Bassline definiert, der die Drums möglichst aktiv zu folgen versuchen. Aus irgendeinem Grund rüttelt das auch Damon Albarn wach und der zeigt umgehend ein Gesicht, das so ziemlich dem entspricht, das ihn wenig später zu einer der Galionsfiguren des Britpop machen sollte. So wirklich bekommt man das nur mehr an einer Stelle serviert, nämlich mit der ersten Top-10-Single There's No Other Way. Die besticht durch den hohen Funk-Anteil, der sowohl Graham Coxons Gitarrenarbeit als auch die Drums prägt, und entwickelt so einen Groove, den man hier ansonsten mit der Lupe sucht. Dass man das zwischendurch mit Retro-Keys garniert und sich zu einem rückwarts abgespielten Gitarrensolo im Beatles-Stil hinreißen lässt, macht die Sache nicht schlechter.
Trotzdem ist in dem Ding, das Blur unter dem Titel "Leisure" ihr Debüt nennen müssen, zu oft der Hund drinnen. Gefühlsmäßig fehlt es da am nötigen Fokus und einer klaren Idee, was man eigentlich machen will. Die Songs wirken unausgegoren und leiden an einem latenten Mangel an markanten, geschweige denn erinnerungswürdigen Elementen. Stattdessen hört man eine Band, die ihre Instrumente so spielt, dass etwas Breiiges, mitunter Formloses entsteht. Natürlich wird ein solcher Eindruck dadurch verstärkt, dass Damon Albarn als Songwriter auch absolut nichts zu sagen haben dürfte. Den Texten mangelt es an Tiefe, an Wortwitze, letztlich schlicht an Inhalt, was dazu führt, dass man sich sowieso an keinen wirklich erinnern kann. Summa summarum erleidet, abgesehen von einer Single, das ganze Album dieses Schicksal. Man kann sich nicht wirklich daran erinnern, man wird es auch unter so ziemlich keinen Umständen nötig haben oder wollen.