Die Zukunft im Synth-Pop-Punk scheint einzementiert, der große Wurf damit aber unmöglich.
Langlebige Bands, insbesondere die erfolgreicheren, kämpfen oft mit reichlich paradoxen Forderungen ihrer Anhänger und der Kritikerschaft. Man soll bitte tunlichst sich selbst treu bleiben, die Band-DNA immer zu spüren bekommen, dann aber doch möglichst, wenn's irgendwie geht, nicht zwei Mal oder gar öfter gleich klingen. Es gibt viele Möglichkeiten, diesem Wunsch zu begegnen. Man kann ihn komplett ignorieren und einfach sein Ding machen. Oder aber konsequent und, gefühlt, bis in alle Ewigkeit den gleichen Stiefel spielen, auf dass Album #23 doch auch irgendwie das erste sein könnte, wenn es denn nur irgendwie frisch klänge. Oder im Gegenteil eine solch erratische und an unterschiedlichen Stilen reiche Karriere hinlegen, dass man andauernd in eine andere Richtung abbiegt und jeder Schublade entflieht. Und wenn man ganz, ganz genial ist, kombiniert man all das irgendwie, bekommt damit sogar wirklich dieses unlösbare Rätsel gelöst und klingt stets nach sich selbst und doch immer anders, spannend, individuell und voller Inspiration. blink-182 sind nachweislich eher nicht so unfassbar genial, kämpfen aber trotzdem spürbar darum, irgendwo die eierlegende Wollmilchsau der Musik auszugraben, die alle inklusive sie selbst zufrieden stellt. Auf "Nine" sind sie dabei klanglich trittsicherer als im ganzen vorangegangenen Jahrzehnt und doch keinen Schritt näher am Ziel.
Was allerdings spürbar gelungen zu sein scheint, ist eine musikalische Konsolidierung. Die LP klingt ungleich einheitlicher und stilistisch stimmiger als ihr Vorgänger, wirkt weniger nach Sinnsuche, sondern eher nach einem Plan, der hier verfolgt wurde. Problematisch ist nur, wie dieser Plan und dessen Umsetzung in Songform aussehen. Geblieben ist nämlich einerseits Josh Feldmann und damit eine unvorteilhaft glatte, komprimierte, facettenarme Produktion, die selten Anstalten macht, eine Sekunde des Albums unbearbeitet und effektfrei klingen zu lassen. Das sei Feldmann und dem blink-Trio zwar unbenommen, einen guten Eindruck hinterlassen die abgeschliffenen Riffs, die mitunter hemmungslos mit Autotune verunstalteten Vocals und zwischen Kitsch und dem Hinterherlaufen hinter der musikalischen Moderne klingenden Synths aber definitiv nicht. Nichtsdestoweniger ist von Beginn weg spürbar, dass das nach dem unrühmlichen Abgang von Tom DeLonge durch Matt Skiba ergänzte Line-Up zueinandergefunden hat.
Daraus resultieren jedoch durchwegs recht durchschnittliche Songs, die zwar wie Opener The First Time oder das darauffolgende Happy Days ihrer Hooks und der nachdenklicheren Texte wegen durchaus positiv anklingen, die aber weder die nötige Dynamik noch den entsprechenden Tiefgang mitbringen, um einen wirklich zu überzeugen. Es ist eine passable, aber ungemütliche Nische, in die sich die Band mit diesen Songs vergräbt. Während die Melodien passen und es in Zusammenarbeit mit Feldmann gelingt, hier und da stilistisch an das eigene self-titled Album oder gar ältere LPs anzuknüpfen, klingen die Tracks dank ihrer sterilen Produktion und dem fehlenden Punch dennoch nur versucht atmosphärisch, versucht jugendlich, versucht eingängig. Dabei bleibt wenig hängen oder macht sonderlich Eindruck. Stattdessen hat man es mit Minuten zu tun, die schmerzfrei enden, im Falle des Openers verdammt an die Eröffnung von "blink-182" erinnern, die aber doch verdammt harmlos sind.
Da hilft es weder, dass sich Mark Hoppus' Versuch, seinen Texten mehr Ernsthaftigkeit und Emotion einzuimpfen, sich wichtigeren Themen zu widmen und die Infantilität hinter sich zu lassen, auf dem gleichen Niveau landen, das er schon beinahe 20 Jahre vorher geboten hat. War damals durchaus stark, insbesondere aufgrund des musikalischen Fundaments, kommt aber mit fast 50 weniger überzeugend. Umso weniger, wenn dann Feldmann hinter den Reglern sitzt und einen Song wie Heaven zwischen isoliert-glatten Vocals, schlaffen, jeglicher Kraft entbehrenden Riffwänden und kitschigen, übereinandergeschalteten Backgroundstimmen verhungern lässt. Das ist nicht atmosphärisch oder emotional, sondern von einer klinischen Leblosigkeit, die nur davon übertroffen wird, wie schmalzig das Soundgebilde dabei trotzdem noch ist. Ähnlich verhält es sich mit den genauso wirkungslosen und klanglich fehlgeleiteten I Really Wish I Hated You, No Heart To Speak Of oder On Some Emo Shit, die alle in ähnlicher Form versuchen, Melancholie und ein bisschen ein Gefühl von Depression zu vermitteln, aber als gefühllose Brocken enden. Songs solcher Machart bringen die Band statt in lange vergessene Höhen eher in eine gefährliche Nähe zur unnahbaren Inhaltslosigkeit neuerer Coldplay-Produkte. Widmen wir uns schon den deutlichen Schwachstellen des Albums, darf natürlich auch nicht die kontroversielle Leadsingle Blame It On My Youth fehlen. Dieses bereits an seiner infantilen Synth-Melodie im Intro scheiternde Unding, das trotz harmloser, gewohnt überproduzierter Strophen wegen seines unsinnigen Texts, der grässlich klingenden Refrains, seiner grausamen mehrstimmigen Chants und einer tödlich kitschig inszenierten Bridge ein musikalisches Trainwreck darstellt.
Dem einen oder anderen könnte im Lichte dieser Zeilen die Frage in den Sinn kommen, wie ich denn bei all dem von einem stimmigeren Ganzen schwafeln kann. Nun, zum einen kann das Album in seiner Gesamtheit, seine innere Form und Ausrichtung betreffend, durchaus stimmig sein, ohne dass man den dem zugrundeliegenden Sound wirklich irgendwie schätzen oder gut finden muss. Zum anderen zeigt die Band doch auch ein paar Mal auf, ohne dass das auf eine nicht einmal einminütige pseudopunkige Energieexplosion wie Generational Divide reduziert wäre. Tatsächlich ist das nämlich in all seiner Kürze ein belangloses Ständchen, auch wenn es tatsächlich mal den Punk im Pop-Punk betont. Relevanter sind dagegen jene Momente, die Barkers deutlichen Hip-Hop-lastigen Einfluss an den Drums und die darüber gestülpte, mal synthlastige, mal pop-rockige Szenerie zu etwas Stimmungsvollem, melodisch Überzeugendem und vereinzelt sogar zu etwas mit spürbarer Aussage und Emotion vereinen. Darkside entbehrt als textlich klassische, irgendwie dem Emo entstiegene und doch hoffnungsspendende Nummer zwar spürbarem Tiefgang, ist aber gleichzeitig die effektivste Überführung der alten Pop-Punk-Formeln in ein neues, mit wuchtigen Drums, sphärischen Synths und radikal polierten Gitarren geformtes Ganzes. Endlich einmal kein Mangel an Dynamik, kein Schulterzucken und auch keine angewiderten Zuckungen beim Refrain, sondern sich aufbauende Sympathie für einen Song, der so auch +44 hätte auskommen können. Zwar durchaus mit einiger Melodramatik beladen und zwischen Skibas und Hoppus' wechselndem Gesang nicht ganz dazu in der Lage, die beklemmend sphärischen Strophen ideal zu nutzen, aber doch ein nötiger atmosphärischer Moment ist im Gegensatz dazu Hungover You, das gemeinsam mit dem kurzen Ransom die zweite Albumhälfte am Leben halten muss. Den unpassend effektiven und eindrucksvoll neuartigen Höhepunkt des Albums bekommt man aber ausgerechnet mittendrin serviert. Black Rain startet mit seiner einsam erklingenden Synth-Orgel und Skibas alleingelassener Stimme ideal, schafft aber nach dem Einsatz der Gitarren den harten Cut hin zu einem hektisch-harten Beat und eindringlichen Stop-and-Go-Riffs, die sich zu einer starken Klangcollage verbinden. Dieses rastlose Fundament wird auch weit eher zu einem Heimspiel für Hoppus, dessen tonlose Stimme sich gepresst-druckvoll behauptet, mündet aber genauso unvermittelt in einem abgebremsten, flehenden Refrain, der sich als perfekter Kontrast erweist. Darüber hinaus ist es der eine hier zu findende Song, dessen Ernsthaftigkeit sich gleichermaßen klanglich wie textlich äußert und sowohl in drückender, abgehackter Härte als auch synthetisch unterfütterter Melodramatik Spuren hinterlässt.
So hätte es gehen können. Letztlich findet man sich mit einem Blick auf die Qualität des gesamten Albums aber doch wieder an einem sehr ähnlichen Punkt wieder, an dem einen "California" zurückgelassen hat. Was damals Los Angeles war, ist hier Black Rain. Ein einsamer Moment, an dem beinahe alles zu passen scheint und bei dem trotz erkennbarer klanglicher Schwächen klar wird, dass das die Marschrichtung sein sollte, die es weiterzuverfolgen gilt. Passiert nur rundherum kaum. "Nine" ist harmloser, oberflächlicher und facettenärmer, als es sein möchte und sein sollte. Immerhin ist es dabei weniger zerfahren als der Vorgänger und nicht so oft so langweilig wie der Vorvorgänger. Effektiv kann man aber nicht ganz sagen, ob diese LP nun das Produkt wirklicher, fehlgeleiteter Ambition ist oder ob diese Ambition vielleicht gar nicht in der nötigen Form vorhanden war. Die merklich harmonischere Zusammenarbeit, die sich reibungsloser ineinander fügenden Einzelteile sind der einzige Grund, warum das nicht deutlicher zu spüren ist und man trotz allem immer noch den Eindruck eines schwachbrüstigen, aber halbwegs soliden Ganzen hat. Dennoch ist es ein Produkt spürbarer Unentschlossenheit, ob man denn nun in alle Ewigkeit das blink-182 von damals sein und immer noch zwanghaft die Halbwüchsigen dieser Welt channeln muss oder irgendwann doch noch etwas anderes machen darf. In dieser Form scheint die Band beides nicht überzeugend drauf zu haben.