von Kristoffer Leitgeb, 07.05.2019
Skate Punker mit Boyband-Charme oder Damals, im Ferienlager, als blink noch blink waren.
Wer seine Kindheit und Jugend um die Jahrtausendwende verlebt hat, der ist irgendwann einmal "American Pie" begegnet. Und wer "American Pie" und dessen Fortsetzungen begegnet ist, hat durch diese cineastischen Kunstwerke sicher ein paar wahnsinnig wertvolle Dinge gelernt, wurde allerdings vor allem hinreichend mit einer Einführung in die Nuancen des Pop-Punk und damaligen Trends in Sachen Alt Rock belohnt. Naturgemäß passiert so etwas nicht ohne blink-182 und damit eine Band, die zur damaligen Zeit für den Pop-Punk ein Aushängeschild war, wie es die Spice Girls für die Girl Groups dieser Ära waren. Das ist insofern ein treffender Vergleich, als das US-amerikanische Trio ohne nennenswerte Schamgefühle an seinem Höhepunkt durchaus Boyband-Status erreicht hatte, auch bedingt dadurch, dass die gestiegene Bekanntheit weit mehr adoleszente Damen angezogen hat, als man es bei einer Band mit Wurzeln im Skate Punk vielleicht glauben würde. Doch während dafür Pop wirklich groß geschrieben werden musste, haben es Mark, Tom und Travis tatsächlich geschafft, im Sturm auf die Charts ihr Heil zu finden.
Das liegt daran, dass bei Vorgänger "Dude Ranch" eigentlich nur zwei Dinge zum großen Glück gefehlt haben, nämlich eine ansprechende Produktion und eine Reduktion miserabel kindischer Texte auf ein Mindestmaß. Mit "Enema Of The State" ist genau das, miserabel kindischem Titel zum Trotz, gelungen und somit ein stetiger Aufwärtstrend, beginnend noch vor dem Debüt der Band, zum Abschluss gebracht. Zwar schreibt es sich in der Rückschau erwartungsgemäß weit einfacher darüber, man hätte aber wohl bereits damals annehmen können, dass hier ein Dreigespann seine ultimative Form erreicht hat, mag es auch nicht seine kreativste gewesen sein. Der wichtige Begriff in diesem Fall ist weit eher die Effektivität, denn der Zwölferpack an Songs erlaubt sich zwar durchaus Schwächen, überlebt aber nicht nur das Glattbügeln des Sounds durch Jerry Finn, sondern auch die relative Einförmigkeit der eigenen Musik. Relativ nur insofern, als dass die Kalifornier schon monotoner geklungen haben, in Wirklichkeit trumpft man aber gerade deswegen auf, weil man sich hier von Experimenten fernhält und der überzeugende Start mit dem energiegeladenen Dumpweed den Ton für sehr viel des darauf Folgenden angibt. Natürlich sind es Power Chords, natürlich ist es ein gehetztes Trommelgedresche vom fähigen Neuzugang Travis Barker, natürlich sind es dazwischen Mid-Tempo-Phasen, die dezent am Momentum kratzen und mit mäßig einfallsreichen Hooks aufwarten.
Aber diese Rezeptur der Einfachheit ist ein souveränes Heimspiel für alle Beteiligten, erlaubt das eine oder andere Gustostückerl an den Drums, vor allem aber den Fokus auf schwer zu widerstehende Refrains, deren High-Speed-Riffs sich erfolgreich mit den passionierten gesanglichen Durchschnittlichkeit beider Frontmänner paaren. Man kann mit all dem mehr als die Hälfte des Albums zusammenfassen und wird dessen überraschenderweise nur in moderatem Maße müde, auch wenn es müßig ist anzumerken, dass die Magie hinter gerade diesen Songs eine endenwollende ist. Soll heißen, Aliens Exist, Mutt - "American Pie", wooooooh -, Anthem, das alles geht ins Ohr und hört sich locker-leicht mit einigem Wohlwollen, reißt einen aber nicht vom Hocker. Wie überhaupt die Harmonie des Albums nicht bei dessen gleichförmigem Sound aufhört, sondern auch die sehr ähnliche, starke, aber eben nicht überwältigende, Qualität der Songs umfasst. Folgerichtig reiht sich auch eine Hitsingle wie What's My Age Again? in diese Riege ein, was trotz unnötiger Bridge zu einem guten Teil an so mancher Zeile liegt, die dem Songtitel alle Ehre macht:
And that's about the time that bitch hung up on me
Nobody likes you when you're twenty three"
Solche Rückbesinnungen auf die kindischen Anwandlungen früherer Tage sind aber, wie erwähnt, netterweise eine Randerscheinung des Albums, bereichern es also eher, als dass sie einen verstören würden. Der Rest ist oft genug eher eine wenig subtile, bei Zeiten kitschige Zurschaustellung jugendlicher Unsicherheit, Anflügen von Romantik und dem Gegenteil, Rachegelüste so mancher Kurzzeitliebe gegenüber inklusive. Nun ist es eine der beneidenswertesten Eigenschaften von Tom DeLonge und Mark Hoppus, dass sie diese ausgelatschten Themen derart bearbeiten, dass man sich eigentlich nie wirklich stören lassen muss von ihnen, man aber gleichzeitig immer mal wieder über genial humorvolle Zeilen stolpert. Hauptsächlich entstehen die aus dem überall heraustriefenden Mangel an Selbstwertgefühl, der das Hinterherhecheln hinter der Liebe genauso durchzieht wie DeLonges schräge Erfahrungsberichte über Außerirdische, Aliens Exist.
Auf der anderen Seite ist die Band nicht immun gegen wirkliche Emotionen. Ob der Anflug von Melancholie im Abschiedssong Going Away To College solche zu bieten hat, ist vielleicht streitbar, doch Hoppus unsicheren romantischen Anwandlungen sind zuallermindest sympathisch und gut nachzuempfinden. Allerdings ist da dieser eine Song, der als Antithese zum manchmal kindischen, oft sonnigen, immer aufgekratzten Rest dasteht und so zu einem Klassiker im Kanon der Band wurde. Adam's Song verdient sich diesen Titel nicht nur, weil es eine gelungene Verarbeitung von Hoppus' Einsamkeit im Tourleben darstellt, sondern weil die Umwandlung dessen in einen trotz Klavier relativ tristen, von Understatement geprägten Suizidbrief ohne Kitsch oder irgendwie geartete Übersteigerung auskommt. Das Ergebnis ist zwar irgendwie noch Power-Ballade, verdient sich aber eigentlich mehr als diesen Begriff, weil die in einem Take aufgenommenen Vocals in ihrer unverfeinerten Art zu stark sind, weil die dezente Gitarrenarbeit zu gut passt, weil der klangliche Ausbruch im Refrain zu stimmig ist und vor allem weil all das ein an Emotionalität schwer zu überbietender Moment ist.
Sowas tut gut auf einem Album, das am bekanntesten ist für die poppige Fadesse von All The Small Things, dessen zähe, ereignislose Bridge symptomatisch ist für den Song und das generelle Problem mit dem Ausfüllen gesangsfreier Sekunden illustriert. Immerhin ist das aber ein kleiner Makel, genauso wie The Party Song zwar unnötig nervt, aber wenigstens schnell wieder vorbei ist.
So ergibt es sich, dass "Enema Of The State" auch nach fast 20 Jahren - und trotz meines ewigen Gedankens, es wäre nicht so - immer noch verdammt frisch, kurzweilig und einfach stark klingt. Nicht übermächtig, weil es eben doch Pop-Punk ist und es blink-182 einfach nicht schaffen, aus diesem Genre mit den nötigen Ideen oder Texten alles herauszuholen. Aber es ist der Inbegriff eines Standardwerks für das, was in den paar Jahren danach auf die Welt zugekommen ist, aber auch besser als beinahe alles davon. Das gilt auch für die eigene Diskographie, die zwar erst im neuen Jahrtausend wirklich interessante Facetten offenbaren sollte, hier jedoch eine Band auf ihrem Höhepunkt in puncto Harmonie und Effektivität zeigt. Da nimmt man den groß geschriebenen Pop gern mit und ergibt sich einfach der einwandfreien Unterhaltung, die die LP neben einem emotionalen Höhepunkt zu bieten hat.