von Mathias Haden & Kristoffer Leitgeb, 25.06.2016
Dem ambitioniertesten Album des kalifornischen Trios fällt seine Vielseitigkeit letztlich auf den Kopf.
Das einundzwanzigste und bestimmt unpersönlichste Jahrhundert seit dem letzten steht im Haus, die Briten sind fast nicht mehr bei der EU und dank Smartphone kann auf zwischenmenschliche Beziehungen mittlerweile ausschließlich verzichtet werden. Gerade in Zeiten wie diesen sollte man nun einfach sein Glas erheben, um ein Hoch auf die gute alte Freundschaft auszusprechen. Während man im Fußball nach wie vor seine „11 Freunde müsst ihr sein!“-Parolen durch die Stadien brüllt, weiß man in der Musik schon lange um die künstlerischen Vorzüge einer zerrütteten Beziehung Bescheid. Als man im Blink-182-Lager nach einer Phase der Disharmonie und Eifersüchtelei gemeinsam zu der Erkenntnis gelangte, wieder gemeinsam an einem Strang ziehen zu wollen, sollten die zuvor entstandenen Gräben allerdings nie wieder überbrückt werden.
Im Jahr 2003 und damit kurz nach Tom DeLonges und Travis Barkers Ausflug in Richtung Box Car Racer führte das immerhin dazu, dass die auseinanderdriftenden Charaktere und deren musikalische Präferenzen für das vielseitigste und ambitionierteste Album des Trios sorgen sollten. Und obwohl die Credits weiterhin Einigkeit demonstrieren, lassen sich besagte Vorlieben gut in unterschiedliche Gruppen einteilen. Auf der einen Seite natürlich das vom Spaß am gemeinsamen Musizieren angehauchte Pop-Punk-Gehabe vom ewig halbwüchsigen Mark Hoppus, mit frischen New Wave-Einflüssen zwar auf ein deutlich älteres Zielpublikum ausgerichtet, oftmals aber immer noch mit juveniler Leichtigkeit und ordentlich Punch vorgetragen. Dies drückt sich jedoch nicht nur im voranpreschenden Go aus, sondern auch in den mit unendlicher Catchiness versehenen Pop-Stücken a la Feeling It und sogar im gereiftesten Stück Stockholm Syndrome. Auf der anderen die auf den Ideen des im Vergleich zu den vorangegangenen Blink-Alben verhältnismäßig düsteren Box Car Racer aufgebauten Songs von Tom DeLonge, dessen Bemühungen, den Bandsound um die eine oder andere Schicht Tiefe zu erweitern, man die meiste Zeit der LP bemerkt. Und Barker? Der darf sein ungeheures Potenzial im Fallen Interlude unter Beweis stellen und zwischen merkwürdigen Jazz-Anleihen ein bisschen auf die Trommeln hämmern.
So gut das selbstbetitelte Album seine einzelnen Färbungen zur Schau stellt und die Nebenprojekte von Mark, Tom und Travis nachvollziehbarer erscheinen lässt, so sehr driften die heterogenen Stücke qualitätsmäßig auseinander. Zum einen hat die LP mit dem in "Nightmare Before Christmas"-Referenzen ertränkten Liebessong I Miss You und dem herrlich dynamischen Asthenia zwei Stücke parat, die locker um den besten Song des Trios mitspielen können. Vor allem Tom nimmt man hier zum ersten Mal ab, dass er gesanglich nicht ein Totalversager ist. Andererseits hat blink-182 mit dem gescheiterten Interlude-Experiment, Toms kitschigem Gewinsel auf I'm Lost Without You oder dem zumindest auf den ersten Blick interessanten, insgesamt aber deplatzierten Gastspiel von Robert Smith auf All Of This auch einige Argumente, das Album doch ein wenig verreißen zu wollen. Ach ja, den Fanliebling Down konnte ich auch noch nie wirklich leiden. Warum Kritiker über 16 das Album aber für das beste der Band halten, ist anhand seines gereifteren, vielschichtigeren Sounds immerhin nachvollziehbar, zum wirklichen Hörgenuss fehlt es mir aber an der einen oder anderen Nuance und der Einheitlichkeit, die auch das weiße Album der Beatles ein paar Ticken besser gemacht hätte. Zu vage? Der Kollege wird Abhilfe leisten.
M-Rating: 6.5 / 10
Man gönnt den Ideen Freiraum, den Texten Gefühl und dem Album Konstanz.
Oh, ein Glückskeks! "Legen sie sich wieder ins Bett, stehen sie nicht mehr auf. Es ist besser so." Hm, warum überrascht mich das nicht?
Ach ja, ich sollte ja auf den Kollegen reagieren und vielleicht sogar auf das angesprochene Album. Na gut, nachdem the almighty M schon die Rolle die Geschichtslehrers übernommen hat, erspar ich allen das Blabla rund um die Wandlung vom infantilen Vollidioten-Trio zum fast erwachsenen Dreigespann mit Experimentier-Kasten. Stattdessen gleich in medias res: Ja, die self-titled LP der ungleichen Pop-Punk-Heroen ist ihr beste für all jene, die sich gegen bedenklich schlechten Humor und Anflüge von pubertärer Misogynie wenden wollen. Dafür sorgt die bandeigene Erkenntnis, dass simple liebessehnsüchtige Verlorenheit eher das Wahre ist, aber auch der Abschied von den eigenen musikalischen vier Wänden - bis dahin bestenfalls eine 30 m²-Single-Wohnung, plötzlich ein zweistöckiges Apartment.
Die Versuche regieren von Beginn weg, auch wenn man gerade im etwas spröden Feeling This anfangs noch einen Happen für die alte blink-Garde hingeworfen bekommt. Vielschichtiger als früher zwar; quasi statt einem blindwütigen Power Chord-Sprint diesmal eine Übung darin, wie man die Hip-Hop-Vorlieben von Barker in die Drums, die Punk-Affinität von Hoppus in die Gitarren und das präpotente Irgendwas von DeLonge in die Produktion einspeist. Doch der Trip ins emotionale und klangliche Labyrinth beginnt eigentlich erst. Gefangen in den noch immer engen Grenzen des Pop-Punk, wird das wenig abenteuerlich, als es klingt. Doch der Teufel steckt hier in recht vielen Details. Barker ist weg von den 360 bpm, übt sich stattdessen auf dem genialen I Miss You oder dem Halb-Punk-Halb-Spoken-Word-Track Violence oder darin, mit unterschiedlichsten Percussion-Varianten für Atmosphäre zu sorgen. Hoppus darf noch Tempo machen, doch starke Auftritte wie Stockholm Syndrome und Go vermitteln nicht nur selten zuvor gesehenen Ernst, sondern auch ungekanntes Hardcore- und Garage-Rock-Feeling.
Und so wird gerade das musikalisch zerrissenste Album der Band auch zu ihrem beständigsten. Man gräbt sich durch die Sounds, seien es erste Anflüge von großgoschertem Space-Rock in Asthenia, der kitschig-eingängige New-Wave-Touch von Always oder aber das gefühlsbetonte Finale I'm Lost Without You. Dass der dem Kollegen nichts gibt, soll sein. Doch der "Wall of Sound"-Stil der LP kommt nirgendwo sonst so gut zur Geltung, wird aber auch nirgends sonst so bedacht und unaufgeregt umgesetzt. Dass DeLonge vor sich hin jault, stimmt, aber welche blink-LP würde schon eine gute Bewertung verdienen, wenn das ein Kriterium wäre? Und überhaupt: So eine gelungene - wenn auch melodramatische - Annäherung an The Cure soll nicht ohne Lob bleiben. Vielleicht ist sie nur passiert, weil auf einem anderen Track, dem mit stimmungsvollen Streichern und zurückhaltenden Drums großartig ausstaffierten All Of This, ausgerechnet Robert Smith für mehr emotionale Tiefe sorgt, als es blink selbst je gelungen wäre. Aber das muss ja nichts Schlechtes sein.
Schwachstellen? Aber sicher doch. Wer genau braucht das Fallen Interlude? Eine nette Übung in Hip-Hop meets Jazz, aber da war eher der Wunsch Vater des Gedanken und das Experiment wichtiger als das Ergebnis. Beim trägen Obvious ist dagegen noch nicht einmal das Experiment da. Das einzig wirklich miese Haschen nach klanglicher Größe Tom DeLonges auf einem Album, das - so viel sei ihm zugestanden - ohne ihn nicht einmal angedacht worden wäre. Doch solche Fehltritte verblassen im Licht der dezenten Intimität von I Miss You, der beklemmenden Aggressivität von Stockholm Syndrome oder Robert Smith (der Name reicht). Alles gute Gründe, warum die "blink-182" der einzige Longplayer der Band ist, der nicht altert und aus dem man nicht wirklich hinauswächst. Umso blöder eigentlich, dass dann das Aus kam. Ich wette, ein Glückskeks war daran schuld!
K-Rating: 7.5 / 10