von Kristoffer Leitgeb, 01.10.2018
Ein Lebenszyklus in Albumform als Leuchtturm im kargen Folk-Kosmos des Landes.
Wenn man ein Album hört, ein paar Minuten später mit dem Gedanken "Irgendwie klingt das, als wäre das eine Lebensgeschichte in musikalischer Form" und einem erst dann plötzlich wieder einfällt, dass die betreffende LP den Namen "What Life's All About" trägt, muss während der Arbeit an selbiger etwas sehr richtig gelaufen sein. Entweder das oder bei mir, dem Protagonisten der Anekdote, ist irgendwas verdammt falsch gelaufen. Sollte dem so sein, können wiederum Blinded By Stardust nichts dafür. Allein schon aufgrund der Tatsache, dass ich nicht annehme, irgendeiner der Beteiligten wäre vermessen genug, sich gleich für das Debüt die herkulische Aufgabe der Zusammenfassung eines ganzen Lebens aufzubürden. Andererseits ist das Leben und nur das Inspiration für so ziemlich jeden von uns, also gilt das wohl auch für die Band aus Wien, die sich trotzdem schon mit der EP ein bisschen so angehört hat, als würde man das große Ganze in den kleinen Tragödien und Emotionen des täglichen Lebens suchen. Dem Credo folgt man weiter und setzt damit ein Ausrufezeichen für den heimischen Folk.
Vielleicht ist es für den Anfang überhaupt etwas lohnender, dem Album auf musikalischer Ebene zu Leibe zu rücken und sich ein wenig an den Finessen abzuarbeiten, die Lukas Cioni und seine Kollegen bereithalten. Die äußern sich weniger plakativ und auch kaum in der einen genialen Melodie, dem einen unvergesslichen Refrain oder der Instrumentalperformance für die Ewigkeit. Aber die Umsetzung strahlt eine Harmonie und Ausgewogenheit aus, wie man sie nicht allzu oft zu hören bekommt. Das gilt im Großen wie im Kleinen, denn das stark gewichtete Zusammenspiel der Band trifft auf eine Produktion, die sich im richtigen Maße daran macht, die Stärken der einzelnen Musiker, insbesondere von Violinistin Corina Laimer, ins rechte Licht zu rücken, ohne dabei aber eine steril polierte Unnatürlichkeit zu verursachen. Gleichzeitig erlebt man ein stetiges atmosphärisches Auf und Ab, das zwischen Melancholie und verloren wirkender Trauer einerseits, hoffnungsfroher Aufbruchsstimmung und Lebenslust andererseits pendelt, ohne dabei eine zerrissene Tracklist zurückzulassen. Im Gegenteil, von der treibenden Kampfansage zu Beginn mit Already Down Already High bis zum hymnischen, teilakustischen Titeltrack am Ende des Albums scheint alles im Fluss und ohne störende Verwerfungen zu sein.
Das ist umso bemerkenswerter, weil man das Album eben doch auch als Streifzug durch das bisher geleistete ansehen darf. Neben neuen Songs tummeln sich das Quartett, das bereits im letzten Jahr auf der EP "Farewell Note" zu finden war, oder mit My Sweet Friend überhaupt gleich ein Track, der sein Video schon vor dreieinhalb Jahren bekommen hat. Schlechter macht ihn das nicht, auch wenn man den lockeren Folk-Pop mit den hellen Gitarrenzupfern relativ schnell als Außenseiter des Albums herausfiltert. Von Dramatik nicht die geringste Spur, stattdessen gibt es sommerliche Akkorde und Unterstützung durch die Mundharmonika im Outro. Dass dadurch nicht nur ein paar luftig-sonnige Minuten zum gedanklichen Abdriften einladen, sondern sich das dann trotzdem noch reibungslos in das meist ziemlich bedeutungsschwangere Drumherum einfügt, spricht für die Band. Wie auch der Umstand, dass sich die vier Songs, die man schon 2017 veröffentlicht hat, hier inmitten der Tracklist teilweise besser entfalten als damals. Im Besonderen gilt das für Dance For Your Own, dessen schleppende Gangart und wenig rhythmische Kombination aus stockenden Drums und schweren Klaviereinsätzen damals noch fast lähmend wirkte, hier aber einen sentimental-theatralischen Endpunkt zur ohnehin ernsteren ersten Albumhälfte setzt. Die präsentiert sich insgesamt relativ ruhig, sieht man vom starken Opener Already Down Already High und dessen dynamischen Einsätzen von im Blues verankertem Keyboard und den virtuosen Streichereinlagen ab. Dass sich die Souveränität an den Instrumenten nicht auf die schnelleren und lauteren Minuten beschränkt, merkt man spätestens mit Sounds Of Our Hearts, dessen ausdrucksstarke Violinpassagen eine Nähe zum Irish Folk erahnen lassen und mit Cionis stimmigstem und gefühlvollem Gesangsauftritt ein gleichermaßen zerbrechliches wie majestätisches Ganzes ergeben.
Wermutstropfen gibt es bei all dem wenige, abgesehen von der Tatsache, dass man auf der Suche nach genuin außergewöhnlichen Minuten wiederum auf den Titeltrack der Debüt-EP, Farewell Note, zurückgreifen muss. Dessen anschwellendes, zunehmend schneller werdendes Arrangement spannt den Bogen vom wehmütigen Blick zurück zur einer nahezu ekstatischen, lebensbejahenden Aufbruchsstimmung. Die verfestigt sich mit der neuen Single Follow The Sun, die zwar weniger nach orchestriertem Spektakel klingt, aber genauso mit einer hymnischen Energie in den stark ausstaffierten Refrains punktet. Spätestens da wird dann auch überdeutlich, wie gut der Folk Rock, dem sich die Band das ganze Album über hingibt, austariert ist. Zwar sind die Varianten darin hörbar und Abwechslung ist allein aufgrund des atmosphärischen Hin und Her nichts, wonach man suchen müsste. Doch die Zutaten weiß man grundsätzlich stark zu gewichten, sodass man der im Rock verwurzelten Rhythm Section zwar durchaus Freiraum lässt, gleichzeitig aber die Akzente, die man mit Violine, Klavier oder auch dem Keyboard hineinbringt, fast gleichberechtigt zu Cionis Gesang erscheinen und sich mitunter fast schon zu einer Art Duettpartner entwickeln.
Mit all dem lässt sich anscheinend auch ein gelungener Bogen über das ganze Album spannen, der von der melancholischen Sicht auf das Zwischenmenschliche und die Vergänglichkeit über die erwachende Lebenslust hin zu lockeren Feel-Good-Minuten und dann doch wieder zum nachdenklichen Abschluss reicht. Möglicherweise sollte man das dahingehend relativieren, dass der Titel Praise The Good Times zwar verdammt nach Feel Good klingt, der locker runtergespielte, trinkfreudige Footstomper mit Zeile wie:
"So take your time, don't think about it
Praise the good times, don't you doubt it
Just a cup for every problem you've got
'Cause monday morning you might or you might not wake up"
aber trotzdem einen Hauch fatalistische Vanitas-Gedanken in sich trägt. Aber lebendiger Frohmut springt einen da auf alle Fälle an, das geht bei dem gemütlichen Auftritt, den Cioni und Laimer gesanglich hinlegen, auch kaum anders.
Das ist wahrscheinlich nicht der beste Eindruck, mit dem man einen Review über dieses Album abschließen könnte. Wahnsinnig ausgelassen präsentieren sich Blinded By Stardust nicht auf ihrem Debüt, dafür besinnt man sich zu sehr der Aufgabe, auch die Schattenseiten des Lebens ausreichend musikalisch zu würdigen und in Szene zu setzen. Genau das gelingt beinahe fehlerfrei mit einer facettenreichen Ausformung des Indie-Folk, die so gewachsen und ausgereift wirkt, dass man die jahrelange Entwicklung der Band dahinter zu spüren glaubt. "What Life's All About" ist für ein Debüt bemerkenswert souverän, ohne jemals amateurhaft und ungestüm oder aber auf der anderen Seite wie ein charakterloser und glattpolierter Brei zu wirken. Stattdessen bekommt man ein Album, das seinem Titel auch insofern gerecht wird, als dass die Songs hier leben und Natürlichkeit ausstrahlen. Dass sie gleichzeitig nie ganz perfekt und makellos sind und kleinere dramaturgische und songwritingtechnische Schwächen den großen Wurf im Songformat vereiteln, ist vielleicht gerade deswegen schade, aber auch verdammt lebensnah.