Björk - Post

 

Post

 

Björk

Veröffentlichungsdatum: 13.06.1995

 

Rating: 7 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 06.04.2019


Der Gipfel des Eklektizismus - Verzaubernd, verlockend, verquer, verzichtbar.

 

Die Wikipedia ist Fluch und Segen zugleich. Am Leben gehalten von einer unsichtbaren Schar an Editoren, kostenlos mit schier endlosem Reichtum an obskuren Inhalten, ist sie eigentlich der Traum aller Enzyklopädie-Liebhaber. Wären da nicht die immer wieder zutage tretenden Schwächen in puncto Akkuratesse, Vollständigkeit und der richtigen Einordnung. Der Musikkenner weiß darum nur zu gut, sucht hin und wieder vergebens nach Einträgen für gewisse Alben, findet vielleicht einen, in dem nichts außer einer Tracklist zu finden ist oder aber er ärgert sich schon einmal über die Beschreibungen. Noch mehr Potenzial für Unmut bieten die wunderbaren Genre Tags, die jedes Album bekommt. So merkwürdig, wie diese manchmal sind, könnte man dort ein Ventil für die sonst unterdrückte Kreativität der Editoren vermuten. Gleichzeitig kann man daraus so manchen Hinweis auf den zu erwartenden Sound bekommen. So auch bei Björks zweiter LP. Denn auch wenn die Isländerin ihre Musik generell einer gewissen Unbeschreiblichkeit unterzuordnen scheint, spricht es bis zu einem gewissen Grad Bände, dass ihr Erstlingswerk "Debut" einen Haufen Tags bekommen hat, während "Post" zuvorderst und beinahe ausschließlich als Art Pop bezeichnet wird. Hier ist das kein Anzeichen auf Faulheit beim Eintragenden, sondern eine Kapitulation vor der unglaublichen Wandelbarkeit einer schrägen Künstlerin.

 

Wenn nämlich hier insbesondere eines gelungen ist, dann das eigenwillige Ziel, mit jedem Song einen Stilbruch und einen musikalischen Wow-Effekt zu erzeugen. Elf Songs sind es und so ziemlich das einzige einende Merkmal neben Björks Stimme und der von Präzision und Detailverliebtheit geprägten Produktion ist die Tatsache, dass so ziemlich jeder Track ein neues Genre anreißt. Das ist imposant, bewundernswert und verdammt schwierig. Es ist dahingehend auch ein deutliches Upgrade gegenüber dem Debüt, das zwar schon an und für sich ein eklektisches Gesamtbild ergeben hat, das allerdings definitiv in weniger mutiger Form. Insofern ist schon Opener Army Of Me ein deutliches Zeichen in diese Richtung, denn der harte, kühle Beat und die abweisende Synth-Front inklusive düsterem Röhren im Refrain, die den Song durchziehen, sorgen für einen aggressiven Einstieg, der wenig mit der lebensfrohen Romantik des Vorgängers zu tun hat. Gleichzeitig ist es ein großartiger Anfang, der sich in seiner dahinrollenden Härte als einer der besten Songs der Isländerin erweist, und es ist so ziemlich der einzige Track hier, der einen stilistischen Bruder auf dem Album findet. Enjoy ist ähnlich stark, macht sich zwischen Techno, Trance und Industrial breit, paart dafür einen drückende Synths mit erratisch Soundcollagen, in denen ein regelmäßiges Aufheulen von Bläsern genauso seinen Platz hat wie Military Drums und allerlei andere, zur Unkenntlichkeit entstellte Percussion.

 

Dieser kurze Eindruck von Uniformität, der hier vielleicht entsteht, wird allerdings umgehend zunichte gemacht, wendet man sich dem Rest des Albums zu. Björk beweist hier Stärken auf unterschiedlichstem musikalischem Terrain, Jazz-Oldie It's Oh So Quiet in auffallend verspielter Manier und mit Big Band im Hintergrund, sodass daraus ein unfassbar drastischer Kontrapunkt zum folgenden Enjoy wird. Genauso ist es mit You've Been Flirting Again, das sich mit luftigem Streicherarrangement und auch dank der starken Gesangsperformance wunderbar harmonisch und zerbrechlich gibt, ohne in Kitsch abzudriften. Isobel auf der anderen Seite ist ein abenteuerliches Genre-Amalgam, in dem Trip-Hop und ein Hauch von Lounge Music auf Latin-Rhythmen und Worldbeat treffen, zwischenzeitlich dafür ein majestätischer Streichersatz die Szenerie dominiert. Musikalisch ähnlich exzentrisch, dafür allerdings eher im Up-Beat-Bereich, ist Single I Miss You. Deren geniale Mischung aus afrikanischen Rhythmen über die Bongos, elektronischem Beat und ausufernden, jazzigen Bläserpassagen sorgt für den kurzweiligsten Track auf "Post", bietet dazu Björk inmitten des Sounds, der ihr und ihrer ausdrucksstarken Stimme wohl am besten steht - was spätestens in der beeindruckend inszenierten letzten Minute des Songs deutlich wird -, so gut sie auch in den unterkühlten Minuten des Albums klingt.

 

Nun ist es quasi ein Naturgesetz der Musikwelt, dass ein eklektisches Album solcher Prägung nicht ohne Schwachstellen auskommen kann. Und ganz ehrlich, bei der klanglichen Vielfalt, die man hier serviert bekommt, ist es auch fast unmöglich, dass einem alles davon gefällt. Dementsprechend präsentiert sich vor allem die zweite Hälfte alles andere als souverän. Mag die Dulcimer in Cover Me auch noch so schön anklingen, auf Songlänge ist sie anstrengend, insbesondere gepaart mit Björks eher mühsamer gesanglicher Exzentrik, die sie in den ruhigen Track bringt. Genauso vertragen sich auch die elektronischen Manipulationen im Hintergrund wenig bis gar nicht mit den glasklaren Zupfern, die die Szenerie bestimmen. Ähnlich schwierig gerät das abschließende Headphones, das als mäanderndes Ambient-Stück zwar durchaus als interessante Soundcollage beginnt, allerdings auch dank ausufernder Laufzeit die Geduld ziemlich beansprucht und zunehmend zu einer Ansammlung wüst zusammengewürfelter Sounds wird. Der Tiefpunkt kommt allerdings schon davor, nämlich mit dem enttäuschend langweiligen Possibly Maybe, das klanglich nichts anzubieten hat außer ein schleppendes, dezent kitschiges Keyboard, dazu eine unnütze Slide Guitar im Hintergrund und einen lethargischen Beat. Sowas rettet dann auch der aufopfernde Gesang Björks nicht mehr.

 

Natürlich könnte man an dieser Stelle auch noch Hyperballad erwähnen, wobei der Song hauptsächlich dahingehend enttäuscht, dass er zwar womöglich als bester Song der Singer-Songwriterin gilt, gleichzeitig aber trotz emotionaler Performance von ihr eher weniger Eindruck macht als viele andere Tracks auf "Post". Dafür ist sicher mitverantwortlich, dass ein lauter, schwierig anzuhörender Acid-House-Part einen gesetzten und musikalisch ziemlich unscheinbaren Downbeat-Start ablöst. Schlecht klingt das definitiv nicht, voll überzeugen kann das aber genauso wenig.

Weswegen es sehr gut ist, dass Björk für die übrigen Songs so verdammt viele andere stilistische Abzweigungen nimmt. "Post" ist dahingehend zumindest in der Welt bekannterer, charttauglicher Alben ziemlich einzigartig. Umso bemerkenswerter ist es, wie viel vom Gebotenen sich verdammt gut anhört und dank der fruchtvollen Partnerschaft von der Isländerin mit Produzent Nellee Hooper ein vollendetes Ganzes ergibt, gleichzeitig aber immer noch ein Füllhorn musikalischer Eindrücke darstellt. Dass man trotzdem Abstriche machen muss, einfach weil es irgendwann zu viel des Guten ist, was die endlose Abwechslung anbelangt, vor allem aber wegen der relativ deutlichen Schwierigkeiten mit den ruhigeren Liedern, sorgt dann leider dafür, dass es Björk zwar hier gelungen ist, ihr Debüt in puncto Konzept, Machart und künstlerischem Mut in den Schatten zu stellen, gleichzeitig aber der Ertrag daraus eine Spur spärlicher ausfällt. Beeindruckend ist "Post" deswegen allerdings nicht weniger.

 

Anspiel-Tipps:

- Army Of Me

- It's Oh So Quiet

- I Miss You


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