Elektronisches Erwachen voller Lebensfreude, Poesie und den nötigen Fehltritten für Luft nach oben.
Die Zahl wirklich und wahrhaftiger Unikate in der Musik ist gar nicht einmal so wahnsinnig groß. Zwar gibt es genug, die in ihrer Domäne so beschlagen sind, dass sie alle anderen abhängen und allein deswegen einzigartig wirken. Allein die Zuschreibung, dass sie etwas so viel besser machen als andere, bedingt ja irgendwie schon, dass sie eben nicht ganz so einzigartig sind, sondern andere sehr ähnliche oder gleiche Dinge machen, nur eben schlechter. Jetzt kann die Qualität an sich natürlich auch Alleinstellungsmerkmal genug sein, nur auf stilistischer Ebene führt das zu keinem Ausnahmestatus. Sonst würde ja der Vergleich von Anfang an wegfallen. Solche, die einfach nicht oder zumindest beinahe nicht verglichen werden können, sind verdammt selten. Eine davon ist eigentlich Björk, die in ihrer Form eine kaum fassbare und beschreibbare Erscheinung ist und dementsprechend nur ganz schwer einzuordnen ist in die netten Schubladen, die uns so gern helfen. Angefangen hat alles damit, dass sie irgendwann einmal mit den Sugarcubes Alt Rock zwischen Post-Punk und Grunge fabriziert hat. Und es ist so überhaupt nicht damit weitergegangen.
Das ist ein Lob. Allerdings nicht a priori, die Formulierung lässt nämlich nur den Schluss zu, dass sich da etwas gewaltig verändert hat. Mehr noch nicht. Die Veränderung, die einem nun "Debut" offenbart, ist vollumfassend und entspricht einer Neuerfindung der Person. Weg von allem, was wirklich mit Rock zu tun hat, hin zu einer Palette musikalischer Einflüsse, so breit und eklektisch wie mutig. Natürlich kommt er noch irgendwie durch, dieser Rock-Unterboden, der die Isländerin ursprünglich geprägt hat. Nur nie auf instrumentaler Ebene. Im Verbund mit Nellee Hooper wurde da von ihr eine elektronische Wunderwelt erschaffen, die alles vom damals aufkommenden Dance und Techno, bis zu frühem Hip-Hop, Acid Jazz, tatsächlichem Jazz und exzentrischen Auswüchsen des Art Pop umfasst. Jetzt ist das so viel, dass man Song für Song einzeln hernehmen und beschreiben müsste, um diesen Schwall an Ideen und verschiedenen Richtungen würdig einzufangen. Passiert nicht, dafür ist die Aufmerksamkeitsspanne von mir beim Schreiben, von vielen beim Lesen zu kurz.
Um aber nur irgendwie fassbar zu machen, was hier passiert, sei darauf verwiesen, dass allein die Percussion, sei sie jetzt elektronisch oder klassisch akustisch eingespielt, auf zwölf Songs ebensoviele Formen annimmt, von der Mischung aus voluminösen Trommeln und digitalen Blips in Human Behaviour über die klassischen Four-on-the-floor-Beats von Violently Happy oder Big Time Sensuality bis zum pulsierenden Trip-Hop-Beat von Play Dead oder den zwischen Jazz und Hip-Hop oszillierenden Drums von Come To Me. Was sich dazu gesellt, ist ein weitläufiges Arsenal an Instrumenten, das an der Basis definitiv vor allem Keyboard und Synthesizer, gemanagt von Hooper, bedeutet, rundherum aber mit Tablas, einer Hammond-Orgel, Harfen, Saxophon und anderen Bläsern, Klavier oder äußerst dezenten Einsätzen der Gitarre angereichert ist.
In der Praxis bewährt sich einiges, die romantisierende, jugendliche Energie der Isländerin kommt aber am besten in den Songs zur Geltung, die sich straighterer Elektronik zuwenden und mit den aufstrebenden Dance- und Technosounds der 90er spielen. Der über die Keys noch dezent im Dance der 80er a la Madonna dahinschwimmende Elektronik-Pop von Big Time Sensuality gehört da genauso dazu wie Electronica-Track Violently Happy, dessen pochender Beat in direkter Nähe zum Techno steht, gleichzeitig aber percussionseitig mit leichtem Latin-Charme verfeinert wird und über die schimmernden Synths wieder den Sprung in den Dance-Pop schafft. Der ultimative Beweis für die Genialität der Person Björk ist allerdings die vereinnahmende und liebenswerte Vorstellung von There's More To Life Than This, das ein Maximum an positiver Energie darstellt. Zum wirklichen Juwel wird der Song aber dank der ausgefallenen Aufnahmemethode, die einen klassischen Studiotrack mit Vocals direkt aus dem Klo eines Londoner Clubs kombiniert. Sodass sich die entsprechend natürlich anhören und einen extremen Kontrast zu den computergenerierten Sounds drumherum bilden, genauso wie zum harmonischen Backgroundgesang. Es sind das keine Momente vollendeter Poesie, für die die Songwriterin eigentlich angehimmelt wird. Aber es ist Elektronik-Pop at its very finest und eine Endlosquelle der Vitalität für dieses Album.
Das wiederum kann man leider nicht über alle Tracks sagen. Manche bringen einen in eine Zwickmühle, weil man sich schlicht und einfach nicht entscheiden kann, ob denn die mitunter extravaganten Soundausflüge wirklich gut tun oder ob man doch einen Reinfall sehen soll. Venus As A Boy ist so ein Fall. Niemand wird einfach so behaupten, dass die Kombination von entspanntem, metallischem Beat, Xylophon und tatsächlich in Indien orchestrierter Streicher eine logische und wunderbar harmonische ist. Es spießt sich, auch und vor allem wegen Björks Hang zu gewagter melodischer Stimmakrobatik, die sich so nicht und nicht an das vorgegebene musikalische Korsett halten will. Diese Reibungsflächen haben aber ihr Positives und trotz einer einzigen großen Dissonanz, wo sonst ein stimmiges Arrangement wäre, hängt dem Schauspiel eine faszinierende Komponente an.
An anderer Stelle wiederum kommt die während der Vorbereitungen auf das geschummelte Debüt - es gibt schon noch zumindest ein Björk-Album davor, von dem aber niemand etwas wissen will - gewonnene Jazz-Liebe zum Vorschein. Das von Percussion befreite, nur von Bläsern begleitete The Anchor Song riecht etwas danach, wird zum atmosphärischen Tiefpunkt der LP und strahlt pure Melancholie aus. Dass das Bläserarrangement zusammengewürfelt klingt, gehört da vielleicht dazu, sorgt aber eher für einen Hauch von Faszination als wirklichem Genuss beim Hören. Sowas kommt immer noch Welten vor purer Langeweile, was trotz einer nicht zu leugnenden betörenden Facette in Björks Gesang das ansonsten träge und monotone Come To Me relativ gut beschreibt. Selbst in Ambient- und Downtempo-Welten ist das ziemlich wenig, Streicher und Tabla im Hintergrund hin oder her. Getoppt wird das nur von der verunglückten Interpretation von Like Someone In Love, die als reines Harfenstück, also ohne jegliche Percussion oder sonstiger musikalischer Unterstützung, komplett versandet und ein richtungsloses Irgendwas darstellt.
Um mir nicht den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, ich würde Björk keine Mehrdimensionalität zugestehen, an dieser Stelle ein Jubelschrei für Play Dead, diesen Triumph großer, cineastischer Theatralik. Leider nicht auf der Originalfassung der LP drauf, aber auf jeder nach dem Rerelease und als solches grandioser Abschluss der LP. Kollaborativ komponiert - Text und Melodie von Björk, Bass von Jah Wobble und die Streicher von David Arnold -, ist es im Kern Trip-Hop, flankiert von einer Orchestrierung im klassischen, überlebensgroßen James-Bond-Stil, vor allem aber einer gesanglichen Vorstellung der Extraklasse. Björks störrische Aussprache, ihre arhythmische Betonung und ihre eigenwillige Reimabneigung sind zwar generell Bausteine ihres Charmes, verblassen aber im Vergleich mit dem stimmlichen Aufwallen im Refrain, der wiederum im besten Sinne an die divaesquen Auftritte für Bond-Songs erinnert.
So und nicht anders schließt man ein Album richtig ab! "Debut" verdient sich, ehrlich gesagt, auch kein schlechteres Ende, was weniger mit der überwältigenden Qualität des Songmaterials zu tun hat als viel mehr mit der überzeugenden Soundvielfalt und Abenteuerlust, die die Musik ausstrahlt. Die Tracklist ist trotzdem löchrig und vom Spaßfaktor ein dauerndes Auf und Ab, verbunden mit der Erkenntnis, dass vermeintlich atmosphärische, kitschige und ruhige Songs in dieser Form nicht der Strong Suit der Isländerin sind. Das Debüt überzeugt immer dann, wenn sich die sonnige, lebensfrohe Aura, die Björks Performances umgibt, auch musikalisch äußert. Ein Fest für die Gehörgänge ist das dann mitunter, aber eigentlich auch nur dann. Dementsprechend fehlt es an der konstanten Stärke, die ein wenig dem eklektischen Ganzen zum Opfer fällt. Am eindrucksvollen Erscheinungsbild des Albums ändert aber das auch nicht viel.