von Kristoffer Leitgeb, 13.01.2018
Der verflixte 3. Teil: Wider die Dynamik und die Textkunst, dafür mit schwerer musikalischer Artillerie.
Die gewöhnliche Trilogie hat ein ausgewachsenes Image-Problem. Besser gesagt, sollte sie eines haben. Vielleicht weniger dann, wenn es sich um eine abgeschlossene Geschichte handelt, die mit dem dritten Teil zu einem großen Finale kommt. Sowas funktioniert, Luke und Aragorn wissen das. Die losen Dreiteiler haben dagegen das Problem, dass irgendwann die Akzeptanz für das Altbekannte sinkt, drastische Neuerungen aber ein Gräuel sind, weil im Endeffekt jeder die Magie des Originals noch einmal sehen will. Also kein Ausweg aus der Ausweglosigkeit, wenn es um den Qualitätsverlust zum Ende eines solchen Projekts kommt. In der Musik ist das effektiv kaum anders als in der Filmwelt, vielleicht mit der Ausnahme, dass Led Zeppelin anders genug waren, selbst einen scharfen musikalischen Abbieger noch in ein den Vorgängern ebenbürtiges drittes self-titled Album zu verwandeln. Eine Nummer zu groß für Billy Talent.
Was deswegen dezent blöd ist, weil die Erwartungen nach den ersten beiden LPs, die nichts außer dem Bandnamen drauf haben, nicht so wahnsinnig niedrig waren. Im Gegenteil, es war etwas Großes im Entstehen im Staate Kanada, zwar weniger kommerziell, dafür auf dem Felde vom Hardcore gestählten Alt Rocks. Jetzt sollte aber "Billy Talent III" anscheinend unbedingt anders sein und unter anderem deswegen dürfte auch Brendan O'Brien ins Studio gelassen worden sein. Der hat zwar große Namen in seiner Vita stehen und doch noch kein mir bekanntes Album produziert, das viel mehr als die Trägheit des Hard Rock hervorstreichen könnte. Diesem geht es nicht wirklich anders. Schwergewichtig ist eigentlich alles, was daran liegt, dass die Riffs von Ian D'Sa anno 2009 dermaßen voluminös, kernig und dröhnend daherkommen, dass man nur mehr sehr vage Erinnerungen an die schrillen, agilen High-Speed-Auftritte von früher behalten kann. Devil On My Shoulder, das ist dagegen ein wuchtiger Vorschlaghammer in Songform. Statisch, dabei aber mit markiger Kraft und Härte, die einen stadionreifen Refrain gebären und dem Wort Heavy alle Ehre machen. Das zieht ganz ordentlich, so sehr eigentlich, dass man kaum noch nach dem dynamischen Treiben von früher lechzt.
Dass man sich da zu früh umstellt, ist allerdings sehr schnell klar. Nicht, weil "Billy Talent III" umfassend schlecht wäre. Nicht im Mindesten, die theatralisch-hymnische Ader, die man für die LP anzapft, beschert einem immerhin noch eine Power-Ballade wie Saint Veronika, deren Bassline mehr als nur am Leben hält und die von Ben Kowalewicz dank dessen starkem Gesangsauftritt den besten Refrain des Albums geschenkt bekommt. Und da wären doch auch noch Tears Into Wine und Turn Your Back, diese geradlinigen Reminiszenzen auf die punkige Vergangenheit, die endlich wieder den Antrieb beweisen, den man sich von den Kanadiern eigentlich erwartet. Dass nämlich Kowalewicz ausbaufähige Dichtkunst und die vollendete Synchronität der Leute im Hintergrund vor allem bei höherem Tempo im richtigen Verhältnis zueinander stehen, ist alles andere als ein Geheimnis. Da zünden sie dann gleich viel mehr, die ausgehöhlten und doch muskelbepackten Riffs von D'Sa, wenn im Hintergrund die Drums ein bisschen aufs Gas drücken und vorne weg ein bisschen ins Mikro geschrien wird.
Hier eine relative Seltenheit, was darin begründet liegt, dass das Mid-Tempo-Nümmerchen die neue Lieblingsspielwiese der Band zu sein scheint. An sich kein Verbrechen, haben schon andere hinbekommen. Mit O'Briens auf reine Wucht ausgelegter Produktion und der einschläfernden Müdigkeit der vermeintlichen Instrumentalmusiker gerät das Spektakel allerdings bald zu einer zähen Angelegenheit. Man kann natürlich einfach einmal Gitarrenwände überall hinpacken und darauf vertrauen, dass die genaue Spielart durch die schlichte Lautstärke und den ummantelnden Charakter schon nicht mehr so wichtig ist. Es ist aber einfach nicht so, weswegen schleppende Arrangements wie die von Rusted From The Rain oder Pocketful Of Dreams für nicht mehr als langweilende Mäßigkeit gut sind. Was immer noch besser ist als die lachhaften Versuche rudimentärer Experimente, die Sudden Movements und The Dead Can't Testify darstellen. Wie klinisch tot der erste ist, merkt man hauptsächlich daran, dass trotz der hellen Stimme von Kowalewicz eigentlich kein Wort im ganzen Song irgendwie zu einem durchdringt, wäre da nicht die bis zum Exzess geübte Titelwiederholung im Refrain, die allein schon wegen der grässlich überproduzierten Stimme nichts kann. Und was The Dead Can't Testify sein soll, wer weiß das eigentlich wirklich? Rock meets Polka oder sowas, vielleicht auch nur eine verlorene Wette, die die Band dazu gezwungen hat, ein Cembalo in einen ihrer Songs einzubauen, oder tatsächlich nur miese Musik.
Niemand weiß es, niemand will es wissen. Interessiert schon allein deswegen nicht, weil sich keiner um den Text schert. "Billy Talent III" ist bei Zeiten großartig, beinahe berührend, auf alle Fälle mitunter atmosphärisch unterwegs. Die Löcher, die dazwischen klaffen und nichts als sterile, emotionale Leblosigkeit vermitteln, gepaart mit dem Unvermögen, die eigenen Gedanken in halbwegs gut klingende Zeilen zu verpacken, sind allerdings nicht zu leugnen. Definition Of Destiny ist in diesem Sinne bereits durch seinen Titel verloren, der Song kann aber auch sonst nur mit einem kurzen, mächtigen Kraftakt im Intro aufwarten und sonst eigentlich fast nichts. In so einem Fall tut das wenigstens nicht weh, schade ist es da eher schon um Diamond On A Landmine - wiederum ein frühes Titelopfer... -, dessen starkes Arrangement von der einen oder anderen dämlichen oder einfach klischeehaften Zeile sabotiert wird. Man hätte die einfach mit denen von White Sparrows tauschen können, da ist es nämlich der umgekehrte Fall. Dessen gefühlsbetonte Zeilen hätten sich zumindest ein etwas elaborierteres Setting verdient als das endlose Geschrammel, das den gesamten Track bestimmt und die Nuancen vermissen lässt, die The Navy Song noch zu einem Volltreffer haben werden lassen.
Solche fehlen hier überhaupt ein bisschen, Saint Veronika hin, Devil On My Shoulder her. Die Kanadier haben schlicht und einfach keine geeigneten Mittel gefunden, um diesen global betrachtet kleinen, für sie selbst ziemlich großen Sprung vom mit Punk durchzogenen, poppigen Alternative Rock hin zum hymnischen Hard Rock des Trilogie-Finales zu einem lohnenden zu machen. Den Songs mangelt es an dem, was man flapsig als Vitalität bezeichnen würde. Effektiv heißt das nicht viel mehr, als dass die Laufzeiten zu vieler Tracks lähmend lang erscheinen und man kaum Zugang findet zu diesen Songs, die so offensichtlich emotionale Tiefe und große Atmosphäre zum Ziel haben. Dass die das immer noch drauf haben, versteht sich eigentlich von selbst, es bricht auch noch bei Zeiten durch. Von altbekannter hoher Konstanz und der Fähigkeit, eine ganze LP zur emotionalen Tour de Force werden zu lassen, ist aber keine Spur mehr.