When We All Fall Asleep,
Where Do We Go?
Veröffentlichungsdatum: 29.03.2019
Rating: 7 / 10
von Kristoffer Leitgeb, 07.02.2020
Adoleszente Albträume im Grenzraum von Selbstvertrauen, Selbstverliebtheit und Selbsterkenntnis.
Das etwas wachere Bewusstsein für Umwelt und Zusammenhänge erlaubt es einem als Erwachsener, Phänomene wahrzunehmen, die in jungen Jahren komplett an einem vorbeigegangen sind. Eines davon ist jenes der popmusikalischen Trends und die damit verbundenen Persönlichkeiten. Als Kind denkt man sich "Ah, die ist jetzt auch da.", keine zwei Jahrzehnte später tun sich aber dahinter Muster auf, es offenbaren sich Regelmäßigkeiten, es tun sich aber auch Fragen auf. Eine davon ist die der gesellschaftlichen Aussagekraft dessen, was denn gerade richtig beliebt ist. Was sagt es über eine Generation aus, wenn sie Britney Spears, die Backstreet Boys oder Creed hervorbringt? Was über jene, die uns Katy Perry, Justin Bieber oder Ke$ha gebracht hat? Und was bedeutet es für die heutigen Zeiten, wenn ihr Cardi B, BTS oder Billie Eilish entspringen? Weil es fast immer intelligenter wirkt, Fragen zu stellen als darauf unzureichende Antworten zu geben, belasse ich es auch dabei. Vielleicht sagt es irgendwas, vielleicht auch gar nichts. Who knows? Insofern sei den großspurigen, sozialwissenschaftlichen Analysen all dessen vorerst ein Riegel vorgeschoben und stattdessen die Bühne bereitet für den Teenstar des vergangenen Jahres, der sich gleich für das Debüt mit Preisen überschütten lassen durfte. "When We All Fall Asleep, Where Do We Go?" ist zumindest in der Nähe dessen, was es da zur Rechtfertigung bräuchte.
Was insofern vielleicht etwas unsympathisch oder verstörend sein könnte, weil die junge US-Amerikanerin doch irgendwie als synthetische Kunstfigur daherkommt, genauso wie damals Lana Del Rey angeschlichen kam. Der gewichtige Unterschied ist, dass Eilish weit mehr Spaß an ihrer Rolle zu haben scheint als die Dame mit dem schläfrigen Pop und sich das durchaus auch beim Zuhören übertragen kann. Man muss zugegebenermaßen eine erkennbare Toleranz für egozentrische Selbstdarstellung mitbringen, schafft man das aber, bekommt man schon ganz zu Beginn mit bad guy ein unwiderstehliches Stückchen Electropop serviert, dessen düstere, spärlich dekorierte Ästhetik eine bösartige Version von Lorde vermuten lässt. Und das ist eine ziemlich starke Voraussetzung, nicht nur weil sich Eilish herzlich wenig darum zu kümmern scheint, ob ihre Attitüde nun schlecht ankommt oder nicht. Vielleicht ist auch das alles nur ein großes Schauspiel, wenn dem so ist, ist da aber eine überzeugend in ihrer Rolle. Begünstigt wird das unweigerlich dadurch, dass trotz eindringlich pochendem Beat eine Leichtigkeit in dem Sound steckt, den solch synthetische Musik selten mitbringt. Die spärlichen Synth-Einsätze tänzeln rund um Eilishs markante, hohe und doch rauchige Stimme, mit der sie sich halb durch den Song murmelt und dabei eine gehörige Portion Coolness mitbringt.
In der Folge bleibt man unschlüssig darüber, ob nun von Authentizität gesprochen werden darf oder nicht, weil neben manch Ausdünstung überschwänglichen Selbstbewusstseins auch der eine oder andere düstere Blick auf Eilishs eigene Erfahrungen und Gedanken wartet. Die dominantere Rolle nehmen allerdings die provokanten Minuten ein, in denen sich die Sängerin als emotional unterkühlt, herrisch, egozentrisch präsentiert. Nachdem sich das in Songs wie you should see me in a crown oder bury a friend bestmöglich mit der kargen, Hip-Hop, Electropop und Trance ausbalancierenden Musik verträgt und Eilish gesanglich - sofern man es so nennen will - genau den passenden Tonfall dafür mitbringt, ist man damit aber nicht unbedingt unzufrieden. Im Gegenteil sind die schmucklosen Beats, die drückenden Synths und die aggressiv kantigen Soundmanipulationen die ideale Szenerie für die vereinnahmenden Vocals bietet. Das Maximum an atmosphärischer Leichtigkeit ist in dieser Hinsicht all the good girls go to hell, dessen Titel aber schon verrät, dass die melodisch lockere, tänzelnd dahintrabende Kombi aus Bass und Klavier nicht wirklich dazu dient, gute Stimmung zu verbreiten.
Während man da nicht auf die Idee käme, den unumwunden poppigen Touch des Songs als Schwäche herauszuheben, wird man bei Wish You Were Gay weit eher zu diesem Schluss kommen. Das träge, stimmungslose Gebilde tut nicht das Geringste, um einen davon abzulenken, wie bedenklich mies, fehlgeleitet und in allen Belangen fragwürdig der darüber gesungene Text ist. Nachdem der ohnehin schon hinreichend dafür gesorgt hat, dass Eilish in latente Erklärungsnöte geraten ist, sei es hier einmal dabei belassen, dass absolut keine denkbare Intention hinter dem Titel und den damit verbundenen Zeilen irgendwie zu verteidigen wäre oder auch nur wirklich zu erklären wäre. Zu viel purer Egoismus, zu viel Katy Perry, zu viel...dämlich.
Mit diesem Song ist auch relativ früh der Bann gebrochen, der davor für durchgehend starke Songs gesorgt hat. In der Folge erlebt man das Ukulele-Gimmick 8, bei dem Eilish stimmlich unnötigerweise zum Kleinkind gemacht wird. Genauso hört man das gut intonierte, aber deplatzierte Romantik-Stück I Love You, das trotz zurückhaltendem, organischem Arrangement latent überproduziert wirkt, und wird danach zum Albumabschluss noch mit dem komplett unnötigen Goodbye konfrontiert, das je eine Zeile aus allen vorherigen Songs in umgekehrter Reihenfolge anbietet, darunter rückwarts abgespielte, auf ein Lautstärkeminimum reduzierte Clips aus ebenden Songs einbaut, nur um das Zurückspulen in allen Kassettenrekordertagen zu symbolisieren. Und so erreichen wir das Land des prätentiösen Blödsinns, insbesondere in Anbetracht dessen, dass Eilish das Jahrhundert der Kassettenrekorder gar nicht erlebt hat.
Zur Überraschung aller, womöglich auch sich selbst, gelingt es Eilish aber sehr wohl, auch in ruhigeren Momenten große Qualitäten zu beweisen und sich dabei wohl nicht sentimental, aber doch durchaus nachdenklich zu zeigen. Xanny spielt eigentlich schon in der Kategorie, ist ein Abgesang auf den Drogenkonsum ihrer Freunde, stellt sich wegen der Vermischung aus romantisierenden Klavierparts und dröhnender, trippy Elektronik aber noch als etwas schwierig heraus. Die Klavierballade when the party's over ist mit ihrem orchestralen Touch, dem geschmeidigen Backgrounnchoral und Eilishs hohem, gefühlvollem Gesang aber eine wirkliche Kehrtwende und auch textlich als Eingeständnis der eigenen Einsamkeit die Antithese zu dem, was davor in kühler Manier geboten wurde. Der emotionale Höhepunkt lässt nichtsdestoweniger auf sich warten und kommt mit listen before i go, das trotz vereinzelter elektronischer Zwischentöne fast ausschließlich Eilish und das Klavier, dazu ein fernes Sirenengeheul bietet. Und daraus ergibt sich eine triste Szenerie, die die Hoffnungslosigkeit des Texts eindringlich unterstreicht:
"Take me to the rooftop
I wanna see the world when I stop breathing, turning blue
Tell me love is endless, don't be so pretentious
Leave me like you do
Call my friends and tell them that I love them
And I'll miss them
But I'm not sorry
Call my friends and tell them that I love them
And I'll miss them
Sorry"
Gerade mit diesem Song zu enden, ist aber womöglich ein bisschen unrepräsentativ für das gesamte Album. Letztlich hat man es bei "When We All Fall Asleep, Where Do We Go?" nämlich mit einer LP zu tun, die in vielen ihrer besten Momente gerade von einer emotionalen Entrücktheit lebt und deren wenig wärmender Goth-Electropop genau das unterstützt. Und die damit anvisierte düstere und doch nicht ganz humorlose Atmosphäre gelingt oft genug in überzeugender Manier. Dass es der jungen US-Amerikaner trotzdem auch gelingt, dem konträr gegenüberstehende Eindrücke zu vermitteln, spricht nur für sie. Das bedeutet nicht, dass zwischen diesen Extremen nicht Schwächen oder auch komplette Fehltritte liegen. Es findet sich aber genug, das für die Zukunft einiges erwarten lässt und das die Gegenwart um eine Figur reicher macht, die schwierig sein kann und anscheinend auch will, deren Musik und Texte zu einem Teil auch daraus ihre Anziehungskraft beziehen. Sie bringt aber auch sonst genug mit, dass man sich nicht nur darauf konzentrieren muss. Und selbst wenn man das unbedingt will, kann es sein, dass man sich trotz fragwürdiger Ecken und Kanten irgendwann für die Coolness, die das alles umrahmt, erwärmen kann.