von Kristoffer Leitgeb, 07.10.2016
Don't believe the single!
Manche Geschehnisse auf dieser unserer Erde werden wohl auf ewig im Dunkeln bleiben. Wie fühlen sich Regentropfen in einer Wolke während eines Gewitters? Was treibt Hunde dazu, ihren Sexualtrieb an Beinen abzureagieren? Und was tickt eigentlich überhaupt im Kopf von HC Strache? In ähnlichen Sphären bewegt sich auch die Frage, wie denn jetzt die Auswahl einer Leadsingle stattfindet. Wer wann wo wie mitmischt, ist mitunter ein Geheimnis, besser gehütet als das Rezept der Sachertorte. Das ist einem immer dann egal, wenn die Single ein Treffer ist, umso mehr im Pop, wo oft genug ganze Alben um einen Hit aufgebaut zu sein scheinen. Geht diese Sache allerdings schief, drängen sich Fragen umso mehr auf. Das beginnt sehr früh, immerhin haben auch die Beatles damals unbedingt Yellow Submarine auskoppeln müssen, anstatt For No One zum Welthit zu machen. Genauso wird nie irgendwer zufriedenstellend begründen können, wie The Offspring Cruising California als Leadsingle passieren konnte. Und dann ist da Good Grief.
Dass Bastille ein durchaus von vielen mit Erwartungen verbundenes Comeback mit so einem schmerzhaft middle-of-the-road tönenden Indie-Pop-Stückl begehen, ist irgendwie falsch. Es wäre weniger falsch, wäre der erträgliche, aber komplett uninteressante Opener nicht so irreführend in Bezug auf den Rest. Ja, er bereitet einen zumindest darauf vor, dass statt immerwährender Synth-Wände vermehrt von organischem Material die Rede sein wird, aber ansonsten transportiert er bestenfalls eine Ernüchterung, die nicht wirklich angebracht ist. Dass dem Track ein Allerweltsrhythmus anhängt, sei einmal kein verheerendes Urteil, wir reden vom Pop. Aber dieser auf zersetzende Art penetrante sonnige Charakter, dieses komplett emotionslose Gesinge vom früheren Mann des gewichtigen Wortes, Dan Smith, das schmerzt. Was einen zu dem Schluss bringt, dass Good Grief wahrscheinlich einzig und allein deswegen Single werden durfte, weil die Briten mit einem merkwürdigen Alliterationsfetisch zu kämpfen haben. Wetten darauf, welcher Konsonant den nächsten Albumtitel prägen wird, werden bereits angenommen. Oh, Geldwetten sind böse? Hab nichts gesagt...
Es gibt auch wichtigeres zu besprechen. Allen voran den Umstand, dass Bastille nach dieser Eröffnung etwas überraschend beweisen, dass sie auch ohne den Hang zu synthetischer Größe durchaus zu überzeugen wissen. Hauptsächlich dann, wenn Tempo im Spiel und die großen Gefühle kein Ziel sind. Dann kommt schon einmal so etwas wie The Currents heraus, dessen scharfkantiger Streicherloop sich neben der prägnanten, unstet pulsierenden Rhythm Section bestens einfügt und sogar den Übergang in den rockigeren Refrain relativ schadlos übersteht. Neu gewonnener Variantenreichtum scheint einem da das Durchpflügen der Tracklist zu erleichtern. Während Glory zu Beginn wie ein Lorde-Track anmutet, um sich mit dem Refrain einem voluminösen Coldplay-Klang anzunähern - mitsamt natürlich notwendiger, auf Klavier reduzierter Bridge -, bringt Send Them Off! mit den lautstarken Trompetensynths und stark abgestimmter Percussion leichte R&B-Vibes mit und findet Lethargy in hyperaktivem Indie-Drive den Weg zu Two Door Cinema Club. All das klingt stark und auch Dan Smith fügt sich überraschend gut in das Tempo-Upgrade ein. An Substanz mangelt es trotzdem fast allem hier. Emotionale Leere spricht aus dieser neu gefundenen Leichtigkeit und Sprunghaftigkeit, die die schnelleren Minuten der LP auszeichnen. "Wild World" findet äußerst selten den Weg dorthin, wo Smiths Zeilen wieder ein ähnliches Gewicht vermitteln wie auf dem Debüt.
Was auch daran liegt, dass man anscheinend mit einer strikteren Aufgabenteilung geplant hat. War "Bad Blood" eine homogene Masse von Mid-Tempo-Songs, alle irgendwie unheilschwanger, alle irgendwie hymnisch, alle doch irgendwie lebendig, folgen hier den lockeren bzw. kraftvolleren Momente postwendend mehr oder weniger schwermütige Balladen. Doch wo aus Blame trotz leichten musikalischen Stolperns im mitunter härteren Rock auf alle Fälle noch ausreichend Energie und melodisches Gefühl sprechen, werden die nach Emotion suchenden Songs zu einer offensichtlich schwierigen Übung. An Act Of Kindness befällt das Problem des Melodramas, wenn dramatisierte Performance - insbesondere die ständige Überakzentuierung von Dan Smith bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit - auf hohlen, oberflächlichen Inhalt trifft. Daraus strömt keine Atmosphäre, nichts will sich so wirklich übertragen, außer die Erkenntnis, dass Bastille als Synth-Klavier-Pop-Band mit Coldplay mithalten können. Trotzdem lassen einen solche Darbietungen beeindruckend kalt, bedenkt man Smiths durchaus ordentliche Stimme und wie eindringlich in dieser Hinsicht Icarus oder Laura Palmer gewirkt haben. Wenig davon findet man im schläfrigen Keyboard-Gemenge von Four Walls oder dem blassen Closer Winter Of Youth.
Einzig mit der vollkommenen Abkehr von jeglicher Elektronik und damit jeglichem überflüssigem Pomp gelingt der Beweis dafür, dass ein Eindringen unter die Oberfläche noch möglich ist. Two Evils entwickelt sich, komplett auf die in die Leere nachhallende Gitarre reduziert, zu einer reichlich deplatzierten, aber ausdrucksstark gesungenen und ins Morbid-Düstere abdriftenden Vorstellung. Beeindruckend dabei, wie wenig unwirklicher Romantik man sich bedient, stattdessen das Lied an die Dame der Wahl in eine ernüchterte Botschaft verwandelt. Es bleibt zu wünschen, dass die Band merkt, welche Chance solcherlei bietet, denn nie hat Smiths prägnante Stimme mehr geboten als hier.
Es wäre allerdings doch keine Bastille-LP, wenn die Up-Tempo-Seite nicht noch ein Ass hervorzaubern würde. Ähnlich dem Breakthroughhit Pompeii erreicht diesmal Warmth den Punkt, an dem einem vielleicht gar penetranten Refrain dann doch wieder schwer zu widerstehen ist. Überhaupt bringt die Band mit den im Hintergrund schimmernden Synths, den Claps und der idealen Symbiose aus unentbehrlicher Rhythm Section und Smiths anscheinend heißgeliebten fast musikbefreiten Gesangspassagen viel von dem zurück, was 2012 die Erfolgsformel war. Sie ist es immer noch, der Song brennt sich ein, auch wenn nie so ganz klar wird, worum es Smith jetzt genau geht, wenn er in dieser "wild world" nach Nähe sucht. Ein bissl Weltschmerz wahrscheinlich, aber wer hat den nicht heutzutage?
Das wollen wir ihnen also mal nicht anlasten. Etwas mehr schlägt da schon die Tatsache zu Buche, dass aus der anfangs kurz vermuteten Vielseitigkeit nur die Erkenntnis wird, dass sich die Band - insbesondere nach dem reinen Dance-Abstecher Of The Night - in Maßen neu erfunden hat, vom Synth-Pop weiter in das Indie-Territorium vorgestoßen ist. Diese Veränderung offenbart auf Albumlänge aber trotz weniger uniformer Songs noch eher Abnutzungserscheinungen als der Vorgänger, weswegen irgendwann nichts Großartiges mehr nachkommt, spätestens kurz vor Ende mit Snakes die Ahnung einer Wiederholung aufkommt. Trotzdem bleibt "Wild World" ordentlicher Pop, der mehr denn je von einem aktiven Bass/Drums-Paarlauf lebt, gleichzeitig aber etwas bunter und freimütiger klingt als der Vorgänger. Das sorgt nicht gerade für Mitgefühl beim Hören, aber immerhin für ein bisschen Mitsingen.