von Kristoffer Leitgeb, 10.09.2016
Mehr denn je kommt den Polit-Punkern die Wut abhanden. Gut fürs Gemüt, schlecht für den Punk.
Man weiß ja nicht so ganz, wie die Allgemeinheit darüber denkt, aber an der Vorstellung, starke Emotionen würden Großes in uns entfesseln, scheint etwas faul zu sein. Entfesselt wird natürlich auf alle Fälle irgendwas, insbesondere Unmengen an gerade passenden Hormonen. Aber ob das immer so großartig ist? Wahrscheinlich muss man der Typ dafür sein, nicht? Also manche erblühen ja im Irrationalen, das sind die mit der Intuition. Die andern wirken wie ein Roboter, bei dem man unabsichtlich ein paar Schaltkreise vertauscht hat. Das Ergebnis liegt dann irgendwo zwischen unproduktiv und verdammt ungemütlich. Die beneidenswerteste Gruppe ist die jener, die das Irrationale nicht nur mittels Intuition bändigen, sondern es sogar irgendwie ins Rationale rüberretten und deswegen ihre Gefühlswelt äußerst gewinnbringend nützen können. Die werden oft grandiose Künstler. Wut ist jetzt nicht unbedingt das Urquell der Grandiosität, aber Bad Religion wussten wie so manch andere sie gekonnt zu instrumentalisieren - und das im doppelten Wortsinn, chapeau Herr Reviewer. Doch irgendwann sind selbst Wut-Talente müde vom Wütendsein und Mitte der 90er waren die Kalifornier zumindest partiell so weit.
Was dann eine sehr unebene Tracklist hervorbringt. Eine, die noch immer teilweise von der geradlinigen Hochgeschwindigkeitshärte lebt, die die Band in den späten 80ern dominiert hat. Aber auch eine, die mehr und mehr Abwechslung und mehr und mehr Mäßigkeit mit sich bringt. Doch das, was "Suffer" und "No Control" geleistet haben, klingt noch sehr ordentlich nach. Das ist natürlich einigermaßen unausweichlich in Anbetracht dessen, dass Graffin und Gurewitz ihre Band nur sehr langsam einem immer noch verdammt eng gefassten Variantenreichtum geöffnet haben. Die Power Chords regieren, am Gitarrensound wurde nicht unnötig herumgedoktert und abseits manchmal allzu markanter Tempoeinbußen ist man eigentlich in der alles andere als geheimnisvollen Welt des Altbekannten. Ein gigantischer Gewinn ist das trotzdem nur sporadisch. War früher die Konstanz noch eine Konstante, sucht man sie heute eher vergeblich und wenn dann auf gesetzterem Niveau. Doch mit Songs wie Gurewitz' zynischem Abgesang auf die Welt, Better Off Dead, ist mehr als nur Ehrenrettung gesichert. Greifen die Zahnräder ineinander, ist die Band eine mit Kraft vollgepumpte Hook-Fabrik, der in der Nähe des Melodic Hardcore nicht nur die präzisen Riffs auskommen, sondern auch noch diese Zeilen, die man mit einem Hang zu Weltverdruss und Lebensmüdigkeit sehr gerne mitnimmt:
"And I'll never make the same mistake
the next time I create the universe
I'll make sure we communicate at length
Oh yeah
But until then, better off dead
A smile on the lips and a hole in the head
Better off dead, yeah better than this
Take it away, 'cause there's nothing to miss"
Gut, man weiß um die Ironieliebe der Band und auch darum, dass die Jungs die Welt eigentlich ganz gerne zum Besseren geändert sehen würden. Vielleicht also nicht allzu ernst nehmen, das Ganze. Vor allem dann nicht, wenn man drumherum noch immer einige treffsichere Statements hat, die sich in gewohnter Manier der Fehler der Menschheit annehmen. Wann immer sich Greg Graffin dazu hinreißen lässt, Tracks wie The Handshake oder Individual gemeinsam mit dem Gitarristen-Duo auch das nötige Schäuferl Aggressivität einzuflößen. Dann regieren melodische Riffwände und so nebenbei Drums, denen kleine Feinheiten weit mehr anzumerken sind als noch Jahre früher. Also alles in bester Ordnung, wenn das Tempo hoch, die Texte kantig und Graffin wach bleiben. Trotz der lauten Soundkulisse wird dabei auch umso deutlicher, dass in den Zeilen, die Graffin und Gurewitz zimmern, mitunter die Subtilität steckt, die sich seit Beginn der 90er entwickelt. Also der Begriff geht wohl zu weit, denn wann immer Bad Religion den Verlust der "inneren Logik" des Menschen, das überall regierende Misstrauen oder das schwere Los der Individualisten anprangert, klingt noch immer ein direkter Ton ohne große Rücksicht auf Verluste durch. Doch abseits des zum "Us against them"-Track geformten Leave Mine To Me ist die rebellische Raserei lange vergessen, stattdessen vernimmt man in den stark geschriebenen Texten mitunter eine Nachdenklichkeit, die sich nicht mehr nur damit begnügt, das richtige Thema anzuschneiden.
Wobei man der jüngeren Inkarnation des Quintetts nicht Unrecht tun darf, vielleicht macht es das gedrosselte Tempo, dass manch Zeile Mitte der 90er wohlgeformter geklungen hat. Genau dieses Tempo
ist es allerdings auch, das man verdammen würde, wenn nicht zumindest mit dem wiederaufbereiteten 21st Century (Digital Boy) auch im Mid-Tempo-Format ein gelungener Bandklassiker
herausgekommen wäre. Der ist leider nicht ganz ernst gemeinte Technologie-Kritik, hat aber immerhin ein erinnerungswürdiges Solo auf der Habenseite. Und man kann ja immer noch so tun, als würden
die das so meinen, dann klingt die G'schicht gleich noch einmal besser. Blöderweise sind mit dem lahmenden Infected und dem vom Folk durchwirkten Slumber zwei dieser gebremsten
Tracks zu finden, die sich durch ihre komplette Wirkungs- und Kantenlosigkeit - eine schlechte Gesangsperformance zählt nicht wirklich als Kante - im untersten Bereich des bis dahin Geschaffenen
ansiedeln. Man darf schon mal was anderes machen, aber es muss wirklich nicht so elendiglich müde klingen.
Wobei jetzt das Tempo noch keine Lebensversicherung ist. Songs wie Hooray For Me... oder Television lassen erahnen, wo genau Fat Mike und seine Rumpelkapelle NOFX bei Bad Religion ihre Inspiration fanden. Sowas klingt frisch und ist dank der passenden Drums wenigstens kurzweilig genug, um einen nicht zu verstören,
aber wer allen Ernstes Tim Armstrong als Gaststimme zulässt, der bettelt darum kritisiert zu werden. Es gibt Grenzen!
Doch wenn der Tacho in den hohen Geschwindigkeitsbereich ausschlägt, hat das nicht nur den Vorteil, dass vermeintlich schwammige Liedchen wie Marked plötzlich auf ihre Art unwiderstehlich zu werden drohen, sondern es macht auch absolute Höchstleistungen möglich. Das gespaltene Urteil kommt auch deswegen zustande, weil selbst Inner Logic oder Individual, diese im BR-Universum zum textlichen Kulturgut gereichenden Arbeiten, ein solches Niveau nicht ganz erreichen. So bleibt es dann Tiny Voices vorbehalten, dem Album doch noch einen Beitrag für eine wirkliche Best-Of-LP zu schenken. Der ist eigentlich all das, was man sich von einem Punk-Song erwarten kann. Kurz und knackig, mit ultraanziehendem, nimmermüdem Riff, energiegeladenen Drums und einem Refrain, der die Zeiten überdauert. Lyrics gibt's auch und die sind gut, wirklich gut, wenn auch nie so ganz auf eine klare Aussage zu reduzieren:
"And from somewhere in our black
Subconscious minds when we're asleep
Comes a haunting swelling mass of voices resonating
It screams of forgotten victims and the cries of innocence
And the desperate plea for recognition and recompense
Tiny voices, echoes of our heritage
Our long and shallow faces turn the other way
Tiny voices, harbored deep within
As we outwardly deny that they have something to say
And if we don't confront them they will never go away"
Während für diese zweieinhalb Minuten alles im Lot ist, schwankt die Performance der Kalifornier an anderen Stellen doch erheblich. Das drückt das Gesamturteil einer LP, die nur mehr sporadisch so schnell, so frisch, so treffsicher und so leidenschaftlich wirkt wie noch zu Comeback-Zeiten. Und obwohl Brett Gurewitz noch vor Release aus der Band ausgestiegen ist, um sich offiziell zur Gänze dem Epitaph Label zu widmen, kommt man schwer umhin festzustellen, das Bad Religion seit "Against The Grain" auf dem Weg bergab waren. "Stranger Than Fiction" war ein Zwischenstopp, der im großen Punk-Comeback-Jahr 1994 zum größten Erfolg werden sollte. Dass dahinter nur mehr in Teilen geniale Qualität steckt, lässt einen aber nicht komplett ignorieren, wie gut die Kalifornier noch immer klingen können.