Backstreet Boys - Millennium

 

Millennium

 

Backstreet Boys

Veröffentlichungsdatum: 18.05.1999

 

Rating: 5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 07.08.2015


Mehr auf Erfolg getrimmte Verkausmaschinerie als sonstwas. Zur Rettung schreiten dafür Max Martin und fünf starke Stimmen.

 

Ecke, die. Plural: die Ecken. Unsere heutige Exkursion ins weite Feld der Semantik bringt uns also zum Buchstaben E und diesem schönen, uns allen bekannten Wort. Ergründen wir nun die Bedeutung, so werden übliche Denkmuster zu unterschiedlichen Deutungen führen. Da hätten wir den Fußballfan, der unweigerlich an einen Haufen aufgescheuchter Herren in einem Kreiderechteck und vor allem an einen einzelnen mitsamt Ball an einer weit weg gelegenen Fahne denkt. Die Pädagogen werden sich an heute verpönte Erziehungsmethoden erinnert fühlen, für die die Ecke - hier meist verbunden mit dem Begriff 'still' - die nötige Isolation bieten kann. Oder man denkt einfach daran, dass alles, was nicht rund ist, irgendwie eckig sein muss, wobei der Winkelspezialist da einen rüden Aufschrei tätigt. Im Feld der Sprichwörter zu finden: 'über x Ecken mit jemandem bekannt/verwandt sein'. Das ist super, auf die Art kennt fast jeder von uns - also ich sicher nicht, aber andere - Heinz Fischer, David Alaba oder sogar Barack Obama. In Anbetracht von 30 Mio. verkaufter Alben braucht es wohl nicht viele Ecken, um jemanden zu kennen, der in seinem Leben "Millennium" besessen hat. Meistens kennt man so auch jemanden, der es wieder hergegeben hat. Immerhin sind es die Backstreet Boys und Teenie-Pop und ergo nichts, was altbekannten heterosexuellen Stigmata gerecht wird oder für die coole Ecke reicht. Ein paar Pophits wirft die G'schicht dann aber doch noch ab.

 

Um endgültig nicht mehr Ecke schreiben zu müssen, wäre es ja eigentlich ein Nettes von den fünf US-Amerikanern, einfach eine wirklich runde Sache aus ihrer dritten LP zu machen. Und man rundet zu Beginn auch ordentlich, fast schon so konstant, dass man vom Überrunden reden könnte, auch wenn keiner zum Überrunden da ist. Für diese anfänglich so ordentliche, für das Pop-Gigantentum der Boy Band zumindest nicht völlig unzulängliche Performance gibt es ein paar ganz offensichtliche Gründe. Immerhin hat das poppige Mastermind Max Martin dort überall seine Finger mit im Spiel und sorgt als Hauptsongwriter der ersten Hälfte und somit aller nötigen Hits dafür, dass man zumindest ansprechend in die Sache startet. Das passiert mit der überraschend rockigen Single Larger Than Life, bei der alles Nötige so sehr zuschlägt, dass es einen irgendwann schon wieder nervt. Irgendwann aber erst, davor hört man eine in beinah völliger Harmonie auftretende Gesangstruppe geschniegelter Burschen, die sich mit ihrer starken Stimmsynchronität neben dem starken Beat und der vom Funk inspirierten Mischung aus erfreulich hintergründig belassenen Synthies und auf U2-Glätte polierten Riffs ordentlich vorstellen. So weit, so kompliziert beschrieben, in realita bedeutet das einfach einen starken Up-Tempo-Pop-Track, der sich als Verbeugung vor den eigenen Fans zwar irgendwie banal gibt, aber wenigstens hooktechnisch zum Mitsingen anregt.

 

Wo wir bei den Singles sind, klappern wir auch gleich noch zwei andere ab, nämlich die, die die Herzen des Hörers zum Schmelzen bringen sollen. Aktuell hitzebedingt sogar möglich, um die Credits dafür bräuchten sich Nick Carter & Co. mit I Want It That Way und Show Me The Meaning Of Being Lonely aber weniger bemühen. Das einfach deswegen, weil textlich zu sehr nach dem Einmaleins erfolgreicher Songwriter gearbeitet wird, auch wenn sich zumindest der Zweite nicht ganz der Banalität hingibt. Ganz unabhängig davon steht aber ohnehin die mit lockeren Beats, dezenten Keys und leichten Gitarrenzupfern ausgestattete Musik, die eines deutlich macht, nämlich wie grässlich überladen das Heute im Pop vergleichsweise ist. Gepaart mit den wirklich fraglos starken Gesangsdarbietungen, die sich allen voran durch perfekt getrimmte Einsätze fünf quasi gleich talentierter Leute auszeichnen, ergibt das immerhin Balladen der hörenswerteren Sorte. Genau da hilft das Fehlen des einen Stars, den N*SYNC oder Take That in ihren Reihen hatten - gut, Nick Carter wollte einer werden -, stattdessen prägt das von außen dirigierte Kollektiv. Am lautesten und effektivsten gelingt das mit dem eingestreuten Killertrack It's Gotta Be You. Der ist einfach das, was bei einem Aufeinandertreffen von Max Martin und 'Mutt' Lange passiert, ein offensiv-eingängiger Ohrwurm mit hoher Synthie-Rate und abgehacktem Beat, wiederum aber nach Maßstab des 99er-Jahres, nicht nach heutigem. Im Vergleich zu La Roux, Lana Del Rey oder Owl City wirkt das nämlich musikalisch immer noch fast luftig.

 

Luftig wird es dann schlagartig aber auch mit der Qualität. Die ist weg wie nix. Schmalz und Langeweile regieren nämlich ganz schnell. Was insbesondere deswegen blöd ist, weil noch mehr als die Hälfte der Songs vor einem herumliegt. Besonders offensichtlich werden die teilweise gigantischen Risse überall dort, wo der große Chief Martin nicht mehr mit dabei ist. Es übernehmen nämlich auch andere das Ruder und das bringt einen in die missliche Lage, mit I Need You Tonight oder No One Comes Close ein paar dieser altbekannten, aber eben grässlichen, müden, abgespeckten Schnulz-Balladen das Auslangen finden zu müssen. Und das zieht sich, kurz möchte man fast meinen bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter. Doch man macht irgendwann mit diesen an Überzuckerung und Trägheit zugrunde gehenden Schlafmitteln voll von unspektakulären Klavier- und Gitarrenpassagen Schluss und lässt darauf wahre Feuerwerke folgen, die bezeichnenderweise doch wieder aus den gleichen Materialien bestehen. Dementsprechend mäßig stellen sich auch Don't Wanna Loose You Now oder Back To Your Heart dar, wenn man dort auch nicht ganz so überfordert ist mit dem Ausharren. Trotzdem bleibt es nach dem anfänglichen Schwall an Positivem nur mehr ein Kampf darum, die ständigen Ausflüchte in die allein gelassenen Performances der fünf Sänger nicht komplett abrutschen zu lassen.

 

Aufgrund textlicher Nichtigkeit wird das Erarbeiten von Freiraum unter all den ruhigen Softie-Momenten dann auch wirklich schwierig. Max Martin probiert's noch einmal mit Synthie-Unterstützung und kreiert damit das störrische Nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Gebilde Don't Want You Back, das wenigstens wieder mit starken Gesangsmelodien aufwarten kann. Der einzige wirkliche Ausreißer, der einem das gelungene Pop-Feeling der ersten Tracks wieder in Erinnerung rufen kann, wird aber The One. Dort klammert man sich an das Erfolgsrezept der bekannten Up-Tempo-Nummern, mischt ein bisserl hiervon (dezent folkiger Rock) mit ein bisserl davon (weniger dezenter Synth-Pop) und verschafft sich somit wenigstens einen lebendigen Moment in einer ansonsten fatal trägen Hälfte.

 

Jetzt kennt man das gerade in der Pop-Branche zur Genüge, dass es mit der albumumspannenden Konstanz nicht weit her ist - auch hier: siehe La Roux. Immerhin geht's um die großen Hits und die sind in einigen Minuten abgehandelt, sodass einfach noch verdammt viel Platz ist auf so einem Album, für den man nicht wirklich was herumliegen hat, das sich lohnen würde. Da nützen interessanterweise auch die namhaftesten Songwriter und Produzenten nichts, nicht einmal wenn sie sich abwechseln. Nachdem die Dauerbrenner oder solche, die es werden sollen, nämlich tunlichst in der Tracklist-Pole-Position zu finden sein müssen, ist die Geschichte schnell erzählt und wird nur mehr durch langwierige Ausschweifungen erweitert. So in etwa hört sich auch das zu oft nach Emotionalität haschende "Millennium", mit dem die Backstreet Boys damals selbiges begrüßt haben. Gut, der Erfolg gibt wie immer Recht, mangels die Hits ordentlich unterstützendem Material wird es mit dem Durchhören aber doch schwierig.

 


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