Avril Lavigne - Head Above Water

 

Head Above Water

 

Avril Lavigne

Veröffentlichungsdatum: 15.02.2019

 

Rating: 4.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 15.09.2019


Das emotionale Comeback bringt einen kraftvollen Song und viel charakterarmen Quoten-Pop.

 

Man wünscht ja eher niemandem irgendwelche Schicksalsschläge oder gröbere Schwierigkeiten im Leben. Gut, ein paar Leute dürften gerne karrieremäßig gerne und gewaltig stolpern und der Welt wäre geholfen, aber so im Großen und Ganzen muss das weniger sein. Schon einmal überhaupt nicht gesundheitlich, wo es dann schnell einmal eng wird. Übersteht man nun aber als Künstler einen solchen Rückschlag, hat man prinzipiell oft genug einen mächtigen kreativen Katalysator, der einem zu Höchstleistungen und der bestmöglichen künstlerischen Entfaltung verhilft. Klingt zynisch, ist aber so. Ob das alles so auf Avril Lavigne zutrifft, ist allerdings erst zu klären. Fünf Jahre Albumpause kamen in ihrem Fall nicht von irgendwo, sondern sind der Erkrankung an Lyme-Borreliose geschuldet, die jetzt nicht unbedingt in der Ebola-Kategorie spielt, aber eben doch mit der Chance auf chronische Schmerzen und Beschwerden. Das Comeback sollte die erwartbare Aufarbeitung dieser Zeit sein, eine "emotional journey" und als solche wohl ein durchaus introspektives und gefühlvolles Ganzes. "Head Above Water" macht nur nicht wirklich den Eindruck, als würde es einem emotionalen Ausnahmezustand oder überhaupt irgendeiner nennenswerten Inspiration entspringen.

 

Eine gewichtige Einschränkung muss in diesem Fall erlaubt sein und sie betrifft immerhin die Albumeröffnung, gleichzeitig Titeltrack und Comebacksingle Head Above Water. Als Piano-Power-Ballade schon einmal a priori kitschig und dank der glatt funkelnden Produktion auch nicht wirklich aus diesem Eck herauszubekommen, ist es der eine Song, der sich seine Melodramatik verdient und dessen aufgeblasenes Äußeres sich gut mit der kämpferisch-flehenden Botschaft verträgt. Ob es nun wirklich die trockene Effekthascherei im Hintergrund, die harten, unnatürlich klingenden Drums oder die stimmliche Mehrspurigkeit braucht, sei dahingestellt. Es ist so oder so ein packendes Spektakel, das trotzdem nicht ganz die emotionale Bodenhaftung verliert und deswegen wohl nicht gleich beim ersten, etwas befremdlichen Durchlauf, aber doch irgendwann fast vollends überzeugt. Und trotz definitiv bestehender Vorbehalte gegenüber dieser aufpolierten und mit schwersten Produktionswaffen bestückten Akustik würde man sich ein Album wünschen, das in dieser Tonart fortgesetzt wird, dessen Emotionalität man spürt und nachvollziehen kann.

 

Elf Songs arbeiten mit einer unfassbaren Deutlichkeit daran, dass das nicht zustandekommt. Kein einziges Mal käme man noch in die Verlegenheit, sich mitnehmen zu lassen von der Stimmung eines Songs oder wirkliche Nahbarkeit Lavignes zu vermuten. "Head Above Water" ist in der Folge ein Popalbum in einem der schlechtestmöglichen Sinne, ohne wirkliches Alleinstellungsmerkmal, ohne Gefühl fürs Gefühl, ohne textliche Tiefe oder emotionale Ausstrahlung. Wie sehr dem so ist, belegt in relativ drastischer Form die Tatsache, dass man sich für starke Minuten auf zwei komplett andere Auftritte beschränken muss. Die mit Nicki Minaj als Gast aufgenommene Single Dumb Blonde ist der gewohnte, sassy Ohrwurm Lavignes, diesmal zwar textlich mit wirklich altem Hut - nicht nur Pinks Stupid Girls lässt grüßen -, dafür aber als lockerer Synth-Pop-Rock unerwartet erfrischend wirkt. Starker Beat, energiegeladener Auftritt Lavignes, dazu ein passabler Riff und sogar Military Drums, die ins Bild passen und neben den digitalen Bläsern für einen eigenwilligen Akzent sorgen. Auf einer wieder anderen Seite steht der aufdringlich sonnige Gitarrenpop von Bigger Wow, der zwar unfassbar leichtgewichtig ist, aber dabei immerhin weit davon weg bleibt, etwas wirklich falsch zu machen. Dezent überschattet wird beides schon von einem Sound, der so unnatürlich und synthetisch daherkommt, dass man gar nicht mehr glaubt, irgendeinen nicht zu Tode nachbearbeiteten Ton zu hören zu bekommen. Zumindest hier ist das aber ein vernachlässigbares Übel, weil es dem Stil der Songs entspricht.

 

Abseits davon kämpft man aber mit dieser anorganischen Theatralik und klischeebehafteten Melodramatik, die noch dazu in uninspirierten Kompositionen und Arrangements ihre Wirkung entfalten dürfen. I Fell In Love With The Devil ist das eindeutigste Beispiel, wenn es auch mit genug Pomp inszeniert ist, um sich weit von den schlechtesten Minuten des Albums fernzuhalten. Doch es ist ein unbequemes Schauspiel, in dem Lavignes langgezogenes Jaulen viel zu oft dominiert und deftig nachbearbeitet klingt, während die Streicher den Schmalz ausbreiten und im Hintergrund Reverb alles ist. Da kommt entsprechend viel Stimmung auf, man ist fast den Tränen nahe... Diese latente Wirkungslosigkeit eines Songs, der wenigstens die spürbare Ambition auf seiner Seite hat, wird auch dadurch befeuert, dass man textlich so nichts daraus mitnehmen kann außer einer überrepräsentierten Titelzeile. Wenn auch sonst nichts diese Dimensionen annimmt, fallen auch das von überlautem, dumpfem Beat dominierte Birdie oder die Klavierballade It Was In Me nicht positiv auf. Sie fallen auch nicht sonderlich negativ auf, falls das jemand geglaubt hat. Sie sind einfach nur blass und uninteressant. Das ist insofern noch ganz in Ordnung, weil es Abstand davon nimmt, ein so fehlgeleitetes, lahmendes Soul-Experiment wie Tell Me It's Over oder aber ein stolpernder Synthie-Walzer, getarnt als emotionale Ballade wie Love Me Insane zu sein. Wirklich verhaut wird also wenig, was allerdings fast ausschließlich damit zusammenhängt, dass nicht viel gewagt oder überhaupt gemacht wird hier. So voluminös das Album klanglich ist, so groß ist ultimativ auch das Vakuum, das sich hinter der Fassade verbirgt. Textlich banal, klanglich von jeder Natürlichkeit und Emotion befreit und dabei noch dazu melodisch uninteressant, sodass man am ehesten noch die Up-Beat-Songs wie Souvenir trotz ihrer relativ hohlen Ausformung im Kopf behält.

 

Es ginge schon anders, allerdings erfährt man das nur ein Mal und dann trotzdem in relativ ernüchternder Form. Goddess ist als großteils dem Zupfen an der Akustischen überlassene Ballade ein ruhiger Hoffnungsschimmer, latent behindert allerdings durch einen Refrain, dessen unbequem multigetrackter Gesang dem dezenten Drumherum diametral entgegensteht. Was blöderweise umso mehr den Fokus auf Zeilen lenkt, die die Fehler auf dieser Ebene ziemlich schnell verdeutlichen dürften:

 

"He treats me like a goddess, goddess

He thinks I'm sexy in my pajamas

The more I am a hot mess

The more he goes bananas

He treats me like I'm a goddess

 

To be honest, honest

I didn't know how bad, bad I want this

Hard to keep it modest

Thinks my body's flawless

He treats me like I'm a goddess"

 

Kann man machen. Ich wüsste nur nicht, warum man es sollte. Das lässt sich eigentlich so auch über ziemlich viele Aspekte von "Head Above Water" sagen. Ob das Album wirklich eine Enttäuschung ist, lässt sich in der Form nicht unbedingt sagen, weil der Vorgänger noch einmal mühsamer war. Diese LP hier ist an und für sich nicht anstrengend, vielleicht abgesehen von der Tatsache, dass die Fehler sich zwar nicht wirklich grausam anhören, aber grausam offensichtlich sind. Der sechsten LP der Kanadierin wurde beinahe jede Natürlichkeit entzogen und stattdessen hat man sie, vom Opener abgesehen, zu etwas so unatmosphärischem und emotionslosem verkommen lassen, dass es wirklich bizarre Züge annimmt in Anbetracht dessen, was laut Lavigne hier eigentlich zu hören sein sollte. Dementsprechend hat man es mit fadem Pop zu tun, dem man wenige wirkliche Stärken zuschreiben kann. Lavigne hält sich, dem Titel entsprechend, die meiste Zeit über Wasser, aber es ist trotzdem nicht viel mehr als ein undynamisches Dahintreiben, mit dem sie sich wieder einmal ein bisschen der kompletten Irrelevanz nähert.

 

Anspiel-Tipps:

Head Above Water

Dumb Blonde

- Bigger Wow


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