von Kristoffer Leitgeb, 21.12.2013
"Let them know that we're still Rock'n'Roll!" Natürlich Avril, machen wir gaaanz sicher.
Von Beginn weg war die Beurteilung des kanadischen Pop-Prinzesschens kein leichtes Unterfangen. Zwischen Sympathie und dem Wissen, das viel von ihrem Auftreten nichts Ehrliches an sich hat, zwischen Respekt für persönliche Reife auf "Under My Skin" und dem Bubblegum-Pop von "The Best Damn Thing" und mit der ewigen Frage, wieviel man denn nun von einem Pop-Star überhaupt erwarten darf. Und doch, die längste Zeit war Avril Lavigne eine sympathische und bei Zeiten auch musikalisch wertvolle Erscheinung am Mainstream-Parkett. Dass die Kanadierin ihren Höhepunkt nun fast 10 Jahre hinter sich hat, ist trotz allem kein Geheimnis. Aber, sie bleibt konsequent, führt ihren Abstieg in Richtung Pop-Nirvana mit fast beeindruckender Beständigkeit weiter. So wird "Avril Lavigne" zur skurrilen Wiederaufbereitung alter Zeiten.
Wie könnte es denn auch anders sein. Zwei Singles wurden präsentiert und kurz zusammengefasst heißt die Botschaft: Wir sind noch keine alten Säcke! Die Botschaft einer ganzen LP. Dass der Beweis dafür nur bedingt gelingt, verwundert wenig. Denn mit der geballten Front der ersten vier Tracks versucht Lavigne einem tatsächlich mit aller Macht ihr fast einziges Statement zu verkaufen. Da wäre die erste Single, Here's To Never Growing Up, fade Mischung aus ihrem Smash-Hit Complicated, Auto-Tune und einem Text, dessen Tiefe kaum den Titel übersteigt. Oder Rock'n'Roll, der zwar irgendwo - vor allem im starken Gitarren-Solo - so etwas wie Rock vermuten lässt, mit dem Statement "Let them know that we're still Rock'n'Roll!" an Lächerlichkeit aber kaum zu überbieten ist. Nichtsdestotrotz kommt da doch auch der große Vorteil des Albums durch.
Vor allem verglichen mit dem Vorgänger kann nämlich Album Nummer 5 der Kanadierin mit etwas aufwarten, das "Goodbye Lullaby" nur sporadisch für sich beanspruchen konnte: Gutes Songwriting. Trotz all dem elektronischen Scheiß, der da mit jedem Track auf einen geworfen wird, all dem offensichtlichen stilistischen Selbst-Plagiarismus, der sich durch das Album zieht, und allen falsch gelaufenen Experimenten, die Songs sind fertig. Mag nach wenig klingen, ist aber zumindest eine Verbesserung. Und so geraten 17 und Bitchin' Summer, in denen es, erraten, um die gute alte Jugend-Zeit geht, fast schon überraschend gut, sind weniger reißerisch als die beiden Singles. Dafür gibt's starke Akustik-Gitarren, nette Elektronik-Beats und einen Gesamtsound, der weit eher mit Lavignes Stimme harmoniert. All das erinnert im Positiven an ihr Debüt, ähnlich wie dort löst aber auch hier nichts Jubelstürme aus.
Doch auch das ordentliche Songwriting kann versagen, wenn es zu einer Grässlichkeit wie Hello Kitty führt. Keine Beschreibung wird diesem Track gerecht, aber die Kombination von einem Text über 'Hello Kitty', Dubstep-Sound, also brachialsten Elektronik-Klängen aller zur Verfügung stehenden Sorten und dazu Lavigne in ihrer unsympathischsten Art bietet ein ganz gutes Gesamtbild von der bodenlosen Frechheit, die der Track darstellt. So steht sie plötzlich auf der Pole Position für den schlechtesten Song des Jahres. Wenigstens serviert sie einem daneben mit Bad Girl einen starken....Warte, der ist ja auch Müll. Naja, was war denn sonst zu erwarten, wenn sich Lavigne mit Marilyn Manson zusammentut? Eine Kollaboration, die seinen Ruf zerstört, ihr eine weitere Skurrilität beschert und als einzige Rettung ordentliche E-Gitarren im Manson-Stil zu bieten hat.
Leider läuten gerade diese beiden Tracks den rasanten Abstieg in der Mitte an. Denn zu Beginn kann man sich doch ganz gut anfreunden mit dem Comeback der fröhlichen Avril. Nichts ist wirklich schlecht und auch die Annäherung an den Vorgänger gelingt durchaus gut. Das Duett Lavinge/Kroeger, die Single Let Me Go, wird zur Zurschaustellung des Gesangstalents der Kanadierin, die mit jedem Album besser klingt. Dass man mit einer ordentlichen Portion Schmalz und Melodramatik zu kämpfen hat, scheint da allein dem Nickelback-Frontmann zu verdanken zu sein.
Dafür kommen im zweiten Teil zu viele Schwachstellen zusammen. Neben die erwähnten Totalausfälle drängen sich die fade "The Best Damn Thing"-Neuauflage mit You Ain't Seen Nothing Yet, Hello Heartache ist die erwartet schwache Pseudo-Ballade, die dank Auto-Tune, miesem Refrain und zu hoher Lautstärke nicht viel kann, und Hush Hush ist die nichtssagende ruhige Nummer zum Ende, die auch Naked oder Keep Holding On schon waren, lediglich mit einer weiteren starken Performance von ihr. So wird die zweite Hälfte zu einer Mischung aus Fadesse und schrägen Experimenten, dem krassen Gegenteil des Beginns. Waren die ersten sechs Tracks von altbekanntem, aber wenigstens gut umgesetztem Liedgut geprägt, ist hier wenig von der starken Seite der 29-jährigen zu hören.
Doch da, irgendwo am ach so dunklen Pop-Himmel findet man Licht. Falling Fast bricht aus dem Qualitätsabfall aus, wird zum LP-Favoriten. Warum? Nun, es überrascht erstmal wenig, dass bei dieser Auswahl eine Ballade das Rennen macht. Während aber Let Me Go an ihrem überdramatischen Sound leidet und Give You What You Like trotz genialen Akustik-Strophen vom miesen Refrain mit unsympatisch hohem Gesang zerstört wird, passt hier alles. Zumindest fast. Lavignes Auftritt ist stark, vor allem, weil sie es schafft, nicht zu übertreiben und Außergewöhnliches bieten zu wollen. Dazu kommt der abgespeckte Sound, der wie eine überarbeitete Version eines "Goodbye Lullaby"-Tracks wirkt, und ein Text, der auch mit ihren besten Zeilen mithalten kann. Um Falling Fast zum Übertrack zu machen, fehlt es an Nachdruck und Leichtigkeit, sauber ist das aber allemal.
So rettet sie sich dann doch vor dem Ertrinken. Trotzdem, das Wasser steigt und langsam steht es ihr bis zum Hals. Macht sie so weiter, bleiben einem bald nur mehr die 'guten alten Zeiten', die sie ja so gerne besingt. Dass hier handwerklich gepfuscht wurde, wäre eine Lüge, aber "Avril Lavigne" prägt eine Mischung aus gespielter Jugend, einem oftmals überbordenden Elektronik-Sound, der gar Erfolgszwang nahelegt, und einer Frau, die gar nicht wirklich weiß, was sie uns sagen will. So wird das nichts.