Ein Nachruf, der Aviciis Werk treu bleibt und gerade deswegen schwerlich überzeugt.
Das zumindest bei namhaften Künstlern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kommende posthume Album ist eine wirklich delikate Sache. Denn einerseits sind da oft genug Wegbegleiter beteiligt und die tun meist ihr Möglichstes, um der hinterlassenen Arbeit gerecht zu werden und sie zu einem würdigen Abschluss zu bringen. Andererseits kann man den Gedanken nicht ausblenden, dass da irgendjemand noch ein bisschen was verdienen will und deswegen die Reste einer Karriere zusammengekehrt werden, damit man diese noch an die vielen Fans bringen kann. Und das nagt auch etwas an der Idee künstlerischer Integrität, dass da einfach so andere Musiker reinpfuschen in etwas, das der Künstler nicht nach seinen Vorstellungen vollenden konnte oder wollte. Im Falle Aviciis wird die Sache noch einmal sensibler, weil der selbstverursachte Tod des schwedischen DJs für alle überraschend und noch voll auf der künstlerischen Höhe kam. Und weil auf dieser angeblich eine dritte LP des Schweden bereits fast zur Gänze fertiggestellt war, kann man verschmerzen, dass viele derer, die mit ihm über die Jahre kollaboriert haben, noch einmal Hand angelegt und "TIM" zur Vollendung gebracht haben. Es macht nur die Songs darauf in keiner Weise besser.
Das hat auch mit der etwas schmerzhaften Erkenntnis zu tun, dass sich die Musik hier zwar wohl wirklich möglichst nah an den Vorstellungen Aviciis orientiert, dass genau das aber ein äußerst unbequemes posthumes Album ergibt. Denn am Ende ist es glatter, lauter Pop, der zumindest meistens weniger aufdringlich gerät als in früheren Jahren, allerdings mit einer ähnlichen Oberflächlichkeit zu kämpfen hat. Konträr dazu wurde oft auf die vermeintlich vielsagenden Texte verwiesen, die bereits mit dem Opener Peace Of Mind angeblich direkt auf die psychischen Probleme des DJs weisen sollen:
"Dear society
You are moving way too fast
Way too fast for me
I'm just tryin' to catch my breath
Can I get a little peace of mind?
And a bit of silence to unwind?"
Nur gibt es quasi keine Möglichkeit, dass irgendetwas davon ankommt. Erstens singt nicht er selbst und es von irgendeinem noch dazu deutlichst dem Autotune erlegenen anderen vorgesungen zu bekommen, ist radikal emotionslos. Zweitens hat Avicii selbst eingestanden, sich nicht allzu gerne mit dem Schreiben von Texten zu befassen und das lieber anderen zu überlassen, was zumindest die Vermutung erlaubt, dass da allen Ernstes andere versucht haben, textlich die Ursachen von Aviciis Selbstmord zu ergründen. Und das wäre schon an und für sich äußerst fragwürdig, würde es nicht noch dazu fast durchwegs in einer solch platten, für die Social-Media-Generation zurechtgebogenen Art und Weise passieren. Um noch eins draufzusetzen, wird dann musikalisch auch noch vehement in die Gegenrichtung gesteuert, weil man eben trotz wahrnehmbarer Eingeständnisse in Richtung eines weniger penetranten Sounds immer noch dem glatten, atmosphärisch leeren EDM-Pop frönt.
Aber gut, der emotionale Inhalt oder gar die Texte sind nie so wirklich Aviciis Geschäft gewesen, insofern kann man durchaus darüber hinweghören, was da gesungen wird und warum es aus diversen Gründen entweder jeglicher Atmosphäre entgegenläuft oder unbequem wirkt. Letztlich kann auch dieses Album nicht einzig und allein daran gemessen werden, wie es mit dem Tod Berglings umgeht.
Blöderweise bleibt man dann auf dem sitzen, was des Schweden schwächstes Songmaterial bisher ist. "TIM" tut sich schwer damit, irgendwie geartetes Interesse zu wecken, weil es viel zu oft undynamisch und hölzern klingt, anstatt die diversen Anleihen an anderen Genres wirklich auszunutzen. Der einzige dahingehende Ausreißer im positiven Sinne ist die Single Tough Love, deren Sample von Bollywood-Song Banarasiya zusammen mit den schon hinlänglich bekannten, luftigen und doch drückend überproduzierten Gitarrenakkorden der Gipfel der Lebhaftigkeit und Dynamik hier ist. Bedanken kann man sich dafür unter anderem beim Produzentenduo Vargas & Lagola, die nicht nur diesen Track ordentlich in Szene setzen, sondern auch Opener Peace Of Mind ziemlich stimmig, wenn auch einigermaßen ereignislos klingen lassen.
Das dürfte auch eine reichlich passende Beschreibung für den Großteil des Zusammengebastelten sein. Das Album ist die meiste Zeit ein Ausbund an langweiliger Mäßigkeit, manchmal wie im zwischendurch reichlich schrill instrumentierten Ain't A Thing ziemlich anstrengend, oft aber eher in einer Art Uncanny Valley der Popmusik. Denn die Tracks sind weder unterhaltsam noch emotional noch atmosphärisch noch interessant, sondern eine harmlose Aneinanderreihung elektronisch-poppiger Unnötigkeiten. Mal soll das erfolglos mit ein paar karibischen Einflüssen kaschiert werden, mal erfolgreich durch den Trip nach Indien in Tough Love, wieder woanders durch den altbekannt schwierigen Kommerz-Schmalz von Chris Martin oder den Imagine Dragons, deren Dan Reynolds in Heart Upon My Sleeve nicht mehr macht, als seine beeindruckenden nichtssagenden Vocals über ein Instrumental aus "True"-Zeiten auszubreiten. Irgendwie will hier also einfach nichts funktionieren, weil man hier weder die mitunter ja doch verdammt verführerische Sprunghaftigkeit von Aviciis früheren Alben oder irgendeine seiner guten Melodien bekommt und abgesehen von Aloe Blacc in SOS auch stimmlich niemand auszuhelfen weiß.
Die reichlich späte Ausnahme davon, die als Closer tatsächlich dazu geeignet ist, einen einigermaßen mit dem Album zu versöhnen, heißt Fades Away. Da gelingt es Singer-Songwriterin Noonie Bao, die mit Avicii über die Jahre immer wieder zusammengearbeitet hat, die erfolgreiche Vermählung des sterilen Avicii-Sounds mit hohen weiblichen Vocals wiederzubeleben. Und nicht nur das, dank des zurückhaltenden Klavierbeginns ist es sogar für einmal ein gefühlvolles Ganzes, das zwar durch einen ungelenken Drop zielsicher in Richtung stadiongroßer EDM-Hymnen geprügelt wird, aber selbst daran merkwürdigerweise nicht scheitert. Womöglich liegt das auch einfach nur daran, dass dieser Kontrast das Maximum an Dynamik darstellt und noch dazu auf sympathische Art eine Brücke zwischen tatsächlicher Emotion und dem eingängigen Elektronik-Handwerk Aviciis schlägt.
Umso mehr ist es schade, dass davor nicht wirklich viel passiert, um Avicii alle Ehre zu machen. Zwar mühen sich die meisten der Beteiligten merklich ab, etwas zu kreieren, das dem Schweden gefallen und seinen Vorstellungen entsprochen hätte. Ultimativ gerät "TIM" aber trotz dieser Versuche reichlich unterwältigend und schafft es auch nicht, Avicii wirklich im besten Licht darzustellen, seine stärksten Momente in Erinnerung zu rufen. Stattdessen ist es ein weiterer Schritt bergab von dem, was der DJ bereits zu Lebzeiten zuletzt nicht sonderlich überzeugend abgeliefert hat. Blass und uninteressant ist es dagegen, dabei oft genug auch noch klanglich abschreckend, ohne genug Charakter oder melodische Anziehungskraft mitzubringen, um den aalglatten Sound und diese immer schon schwierige EDM-Pop-Mischung zu rechtfertigen. Und so bitter es ist, das über ein posthumes Album zu schreiben, die dritte und womöglich letzte LP, die unter dem Namen Avicii veröffentlicht wurde, ist in einem Wort vor allem eines, nämlich leblos.