von Mathias Haden, 13.12.2014
Überambitionierter Wüstenritt, bei dem der Stellenwert des Songs an sich verkümmert.
Gespannt durfte man ja sein, auf das dritte Album der Arctic Monkeys. Nicht vielen Künstlern war nach nur einem Album ein vergleichsmäßiger Kredit gegönnt, wie diesem rotzfrechen Londoner Pack. Heute verehrt man das Debüt der Band sogar jenseits der nordischen Insel immer noch und mit keinem bisherigen Release sollte die Erwartungshaltung seitens der Medien auf eine beunruhigend niedrige Stufe schrumpfen. Der meines bescheidenen Erachtens sogar bessere Nachfolger Favourite Worst Nightmare wurde ebenfalls sehr positiv aufgenommen, zeigte aber deutliche Schwächen in der Langzeitwirkung auf. Mit der dritten LP Humbug schneite 2009 nun der nächste Versuch ins Haus, Unsterblichkeit, sofern diese in Zeiten des Internets noch nicht ohnehin gegeben scheint, zu erreichen.
Erreicht werden sollte dieses beachtliche Ziel mit dem bis dato ambitioniertesten Werk. Ein für diesen Umstand nicht unwesentlicher Faktor: Queens of the Stone Age-Frontmann Josh Homme spielt den starken Mann hinter den Mischpulten, macht seinem Namen alle Ehre und holt das britische Quartett nicht nur zu sich in die Staaten, verschanzt sich gar mit ihm in der von ihm so geschätzten Wüste.
Dies äußert sich freilich in beinahe jeder Sekunde. Dem urbanen, dynamischen Garagenrock des Debüts weicht hier ein mit harten Riffs und treibenden Bassläufen versehener, trockener Hard Rock mit Psychedelic-Einschlag. So zeigt die Band ihr neues Gesicht besonders in den experimentelleren Minuten. Auf Lead-Single Crying Lightning, etwa, musiziert eine Band in Hochform, von den formidablen Drums bis zu Alex Turners' beherztem gesanglichem Einsatz ist tatsächlich alles am rechten Fleck, die Neugier geweckt. Klingt jedenfalls gar nicht wie das andere Zeug, das man von der Band die letzten Jahre auf seinem Plattenteller rotieren ließ und doch, mit einem charismatischen Frontmann wie Turner muss man sich keine Sorgen machen, wird auch der verschachtelteste Reggae-Death-Metal-Crossover noch als Bandkomposition entlarvt. Dazu ist er viel zu professionell, um sich von einem Produzenten einen gänzlich neuen Sound unterjubeln zu lassen.
Dennoch, Humbug ist irgendwie anders. Auch abseits der härteren Marschroute herrscht Aufbruchsstimmung, in komplexere Gefilde vorzudringen. Besonders Drummer Matt Helders wirkt wie entfesselt, nutzt seinen kreativen Spielraum und spornt seine Vorderleute, die im finalen Mix gar nicht so weit vor ihm zu stehen scheinen, weiter an. Diese nehmen die Einladung gerne an, liefern härtere Riffs und rumpelndere Basslines als je zuvor.
Was den Umstand, dass hier ein Mann vom Kaliber Homme im Produzentenstuhl bzw. als Mentor thront, etwas nüchterner betrachten lässt: Die drei Tracks, die nicht von Homme sondern vom alten Produzenten der Band, James Ford, produziert sind, zählen zum Stärksten, was die LP zu bieten hat. Besonders Single Cornerstone besticht durch seine schwungvolle Melodie und die starken Keyboardklänge, welche die düstere Bandperformance etwas auflockern, dazu bedient man sich wie so oft bei den großen Vorbildern aus den Sechzigern, ohne dass man bei der Nummer je einen angesetzten Staubkrümel vermuten könnte. Ebenfalls auf die Visitenkarte drucken lassen kann sich besagter Ford den Opener My Propeller. Auf diesem packen Turner, Cook, O’Malley und Helders einen groovenden Rhythmus aus, der schon einen kleinen Schwenk in Richtung AM (2013) gibt; hier machen die vier bereits einiges sehr richtig.
Hat man sich aber erstmal an dem Gedanken, hier eine höchst experimentierfreudige Einheit vorzufinden, und dem dadurch gebotenen, vielseitigeren musikalischem Exkurs etwas gesättigt, tun sich spätestens jetzt allerdings Fragen auf. Beispielsweise, wo sich im metaphorischen Vehikel hinter den blendenden Scheinwerfern und der polierten Front in Form der Produktion denn der Motor, der Song an sich, verbirgt. Über die knapp 40 Minuten hört man nämlich nur eine engagierte Band, die verbissen darum kämpft, den eigenen Sound zu perfektionieren. So bleiben große Nummern wie The View From The Afternoon oder Fluorescent Adolescent der beiden Vorgänger auf der Strecke, für eingängige Stücke ist sich das Quartett hier über weite Strecken ohnehin zu gut. Dangerous Animals rotiert in hoher Drehzahl, beeindruckt das gespannte Ohr ob der fast schon atmosphärischen Kombination aus schweren Gitarren-Riffs, fetten Basslines und einem Berserker an den Drums, rauscht aber in all seiner Wucht am Interesse vorbei. Genauso wie der überlange Closer The Jeweller’s Hands, dem man bei all der Sympathie für sein bemühtes Gefrickel und dem merkwürdig unpassenden Glockenspiel nicht viel abgewinnen kann. Auch das brillant unheilvolle Orgelspiel von Pretty Visitors wirkt irgendwie deplatziert, tut einer starken, obskur anmutenden ("What came first? The chicken or the dickhead?") Performance aber immerhin nichts ab.
In den zwei Jahren, die sich die Arctic Monkeys für ihr drittes Album genommen hatten, ist einiges passiert. Neben Alex Turner, der u.a. auch durch sein Nebenprojekt The Last Shadow Puppets noch einmal einiges an Selbstvertrauen und Erfahrung gewinnen konnte, haben auch die anderen drei Bandmitglieder die Zeit nicht faul auf ihren Londoner Knackärschen verbracht. Abseits der offensichtlich verbesserten Fingerfertigkeit an den eigenen Instrumenten hat das Quartett nicht nur in Josh Homme einen prominenten Freund gefunden, es machte sich mit einer unguten Mischung aus erworbenem Selbstwertgefühl und aufkeimendem Perfektionismus auf, endlich auch die Vereinigten Staaten zu erobern. Dies gelingt mit Humbug zumindest in künstlerischer Hinsicht nur teilweise. Im überambitionierten Bemühen, den perfekten Sound zu finden, vergisst die Band leider mehrmals, ihren steilen Klangexperimenten passende Unterlagen zu verpassen. Somit steht LP #3 für einen positiven, aber im Kontext des deutlich erkennbaren Potenzials betrachtet, doch enttäuschenden Wüstenritts, der direkt nach dem Eindringen ins eine Ohr viel zu oft den Weg aus dem anderen hinaus sucht.