von Kristoffer Leitgeb, 19.07.2018
Kleine Schritte weg von der Durchbruchsformel trennen konservative und progressive Geister.
Während Welt und Leben nach Ordnung und Organisation schreien, gleichzeitig aber Chaos und Komplexität dem auf ewig im Wege stehen, ist die vorherrschende Streitfrage weniger die, ob geordnet werden soll, sondern wie. Das Gehirn bevorzugt oft genug einfache Modelle und mag entsprechend eindimensionale Einteilungen. Gut und schlecht, stark und schwach, links und rechts, schön und hässlich und so vieles andere. Das ist simpel und äußerst bequem, weswegen nicht viel dagegen spricht, sich hin und wieder solchen Dingen hinzugeben. Nicht dauernd, das wäre eine intellektuelle Minderleistung größeren Ausmaßes, aber manchmal darf das schon sein. In der Politik und an anderen Schauplätzen relativ beliebt sind auch die Kategorien konservativ und progressiv. Nichts leichter als die Frage, ob man denn nun Veränderung will oder doch besser alles bleibt, wie gehabt. Diskussionsgruppen dazu, immer erwünscht. Um thematisch am Ball zu bleiben, hier der Verweis, dass auch die Musik diese Kategorien kennt und wenig mit größerer Leidenschaft debattiert wird als die Vorzüge von klanglicher Beständigkeit versus ebensolcher Veränderung. Genug Interpreten ließen sich beispielhaft analysieren, aber nicht allzu viele Alben finden sich, die beides so deutlich vereinen, um für sich selbst nach einer Klärung dieses Duells zu fordern. "Favourite Worst Nightmare" ist eines davon.
Befeuert wird das natürlich dadurch, dass der Vorgänger "Whatever People Say I Am, That's What I'm Not" als eines der besten Debüts in neuerer Zeit dasteht und einen Hauch von tatsächlichem Rock-Revival ausgedünstet hat, mit dem kaum noch zu rechnen war. Wo das so gut funktioniert hat, wäre alles außer eine Fortführung dessen ein Vorgehen wider jegliche Logik, aber womöglich eher im Sinne künstlerischer Weiterentwicklung. Der Spagat zwischen beidem ist eine Kunst für sich und angeführt vom Edeltexter unter den mit locker-bissigem Sarkasmus gesegneten 90er-Kindern, Alex Turner, machen sich die Monkeys genau daran. Dass bedeutet, die Leadsingle Brianstorm klingt wie der folgerichtigste Anknüpfungspunkt an das Debüt, den man sich vorstellen und wünschen kann. Melodisch überdeutlich als Derivat von When The Sun Goes Down erkennbar, kombiniert man dessen geniale Hook allerdings mit einem Tempoplus und einer beeindruckend effektiven Mischung aus härterer Gangart und aufpolierter Produktion. Damit kreiert man schon früh einen Soundmix, der sich irgendwo zwischen Post-Punk und Surf Rock einordnen lässt, gleichzeitig ein wenig dreckigen Garage-Charme mitbringt und somit einen Paradefall des griffigen Indie Rock darstellt. Besser geht es für eine Albumeröffnung kaum, nichts könnte effektiver anreißen. Begünstigt auch durch die womöglich platte, aber beneidenswert pointierte Textausbeute, die ideal an den Vorgänger anschließt und den Eindruck einer ins neue Jahrtausend geholten Version von Pretty Fly (For A White Guy) erweckt.
So weit, so gut. Auf diesem bekannten Feld toben sich die Briten gekonnt aus und lassen wenig anbrennen. Teddy Picker, This House Is A Circus, Old Yellow Bricks, allesamt kurzweilige, mit der nötigen angriffigen Härte gesegnete Tracks, die der Nähe zum Punk frönen, dabei aber die New-Wave-Allüren und den Sinn für Studiospielereien und wiederkehrende Effekthascherei, insbesondere an der Gitarrenfront, nicht aus den Augen verlieren. Das Ergebnis ist der Gipfel der Treffsicherheit, gesegnet mit unwiderstehlicher Rhythm Section, die einem die Club-Atmosphäre erhält, obwohl man stilistisch offensichtlich zunehmend anderes im Sinn hat. Vor allem der stampfende Beat von Old Yellow Bricks stellt aber die dezenten Neuerungen im besten Licht dar, verträgt sich auch überraschend gut mit Turners abrupten Wechseln zwischen aggressivem Beinahe-Sprechgesang und ungewohnten Crooner-Qualitäten im Refrain.
Gleichzeitig bekommt man natürlich sporadisch mit, dass die Grenzen beim Songwriting nahe gerückt sind. Rundum neue Ideen für die Up-Tempo-Songs sind Mangelware, melodisch kennen genug Tracks ihr Gegenstück auf dem Debüt. Das wiederum macht es umso bemerkenswerter, dass man aufgrund der weniger subtilen klanglichen Änderungen, dem Ausbruch aus der teilweise rohen Akustik und den dröhnenden Gitarrenwänden, selten allzu direkt auf diese Nähe zum Breakthrough-Album aufmerksam gemacht wird. "Favourite Worst Nightmare" klingt frisch und wie ein Update der Bandformel. Nicht unbedingt allerdings wie eine Verbesserung, wobei man unter den angriffigeren Minuten wenige Schwachstellen entdeckt, selbst höhepunktsarme Tracks wie Balaclava oder The Bad Thing mehr als nur Fillermaterial symbolisieren.
Um nun aber die wirklichen Neuerungen anzusprechen, sei auf die im Albumverlauf Überhand nehmende, dem organischeren Soundgewand zugewandte Emotionalität und relative Ruhe hingewiesen, die man so von den Briten nicht kennt. Dort heißt es Überzeugungsarbeit zu leisten und trotz dem Eingeständnis, dass sich tatsächliche Fehltritte auch hier in Grenzen halten, ist man weniger beeindruckt von der Ausbeute. Only Ones Who Know oder das finale 505 bestätigen auf ihre Art, dass die Band klanglich und Turner textlich zur Nuancierung und zu feinjustiertem Understatement in der Lage sind. Sie zeigen aber auch deutlich, dass die Strahlkraft und der Nachhall der Arctic Monkeys auf diesem Feld verschwindend gering sind. Beide Songs schwimmen an einem vorbei, lassen die Eigenheiten, die das Quartett bis dahin ausgemacht hat, komplett außen vor und versanden entsprechend in ziemlicher Mittelmäßigkeit, die auch vom harten Kraftakt zum Ende von 505 nicht ausgebügelt, eher sogar noch verstärkt wird. Mehr noch misslingt die versuchte Vermählung von sprunghafter Melodik und gesetzter Atmosphäre in If You Were There, Beware, das zum lahmenden Tiefpunkt der LP gerät.
Will man stattdessen persönlichere Töne, die trotzdem die nötige Energie und Lebhaftigkeit mitbringen, ist man mit Do Me A Favour gut beraten. Das beginnt wohl eher zufällig als gewollt beinahe so wie der Wir-Sind-Helden-Hit Guten Tag, baut allerdings um die galoppierenden Drums einen passenden, im Surf Rock verwurzelten Rahmen auf, in dem sich Turner erstmals erfolgreich als relativ emotionsgeladener Sänger beweist, ohne dabei in Melodramatik versinken zu müssen. Und dann wäre da noch Fluorescent Adolescent, das einfach nirgendwo hineinpassen will und als verschrobene, wehmütige Serenade gar mit Reggae-Rhythmen kokketiert und daraus ein relativ schwer definierbares, aber gewinnendes Ganzes formt.
Das Album besteht aber rundherum aus etwas simpleren Zutaten. Mit denen wissen die Briten erfahrungsgemäß umzugehen und tun das unter Berücksichtigung nahe gelegener, aber eben doch neuer klanglicher Inspirationsfelder ähnlich erfrischend und gewinnend wie auf dem Debüt. Ein bisschen was wird man sich überlegen müssen, soll aus Turner und seinen Mitstreitern noch eine Truppe für wirkungsvolle Balladen werden. Spart man diesen, bei Zeiten doch eklatanten, Schönheitsfehler aus, haben die Arctic Monkeys nichts an Souveränität eingebüßt. Das ist auch dem Umstand zu verdanken, dass sich die Vorwärtsgewandtheit der Band bemerkbar macht, aber eben doch in relativ engen Grenzen hält, weswegen lautstarker, lyrisch wie klanglich angriffiger Indie-Rock mit Nähe zum Punk weiterhin Spielwiese der Wahl ist. Für all jene, die die Zukunft a priori für eine schlechtere Version des Ist-Zustandes halten, sind das gute Nachrichten. Für alle anderen eigentlich auch, "Favourite Worst Nightmare" überzeugt nämlich von fast allen Blickwinkeln aus.