Arcade Fire - Funeral

 

Inquisition Symphony

 

Apocalyptica

Veröffentlichungsdatum: 22.09.1998

 

Rating: 9 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 20.06.2020


Der Gipfel dessen, was an abgehärteter Epik aus Celli herauszuholen ist.

 

Es gibt sehr, sehr viele Coverbands da draußen, die keiner kennt und keiner wirklich kennen will. Zu tun hat das damit, dass die meisten mit limitierten Mitteln versuchen, den verehrten Originalen stilistisch möglichst ähnlich nachzueifern und daran wenig überraschend scheitern, weil die Vorbilder die Latte ein bisschen gar hoch gelegt haben. Manche schaffen es trotzdem, weil sie wie Sum 41 in ihren frühesten Tagen hauptsächlich NOFX und blink-182 coverten, was messlattentechnisch weit günstiger positioniert ist. Wirkliche Raritäten sind dagegen Bands, die sich zwar ausschließlich der Reproduktion widmen, die gewählten Songs dabei aber stilistisch gleich komplett zu ihren eigenen machen und eine Charakterstärke beweisen, die mitunter das Original verblassen lässt. Noch einmal seltener sind Bands, die das schaffen und ausschließlich aus vier klassisch ausgebildeten Cellisten bestehen. Man könnte da fast von einem Einzelstück sprechen, das sich Mitte der 90er in Helsinki formiert und wenig später mit "Inquisition Symphony" einen eindrucksvollen Höhepunkt erlebt hat.

 

Da es sich dabei aber um die zweite LP von Apocalyptica handelt, sei noch einmal ein kurzer Blick zurück erlaubt. Das Debüt, "Plays Metallica By Four Cellos", hielt, was es versprach, indem es eine Ansammlung von Metallica-Coverversionen bereithielt. Das war technisch imposant, atmosphärisch stark und mitunter annähernd so wirkmächtig wie die Originale, krankte aber noch etwas an der Feinjustierung und mehr noch an der Songwahl, die sich zu sehr auf die bekanntesten Stücke der Thrash-Metal-Giganten beschränkte. Hier entgeht man dem bravourös auf gleich mehreren Wegen. Zwar sind die ausgewählten Metallica-Stücke immer noch reine Klassiker und ewige Favoriten von Bandliebhabern, sie sind aber hier nicht mehr das Um und Auf, sondern nur mehr eine Minderheit. Die stilistische Erweiterung, die "Inquisition Symphony" mitbringt, manifestiert sich so auch dahingehend, dass drei Eigenkompositionen Platz finden, dass nun auch Sepultura, Faith No More und Pantera gecovert werden. Das ist mal nicht per se ein Fortschritt, überzeugt aber, weil die gewählten Songs besser dem zu entsprechen scheinen, was die Finnen aus dem Cello herauszuholen wissen.

 

Und das kann verdammt viel sein. Opener Harmageddon ist als die allererste Eigenkomposition der Band bereits ein Volltreffer, beweist Eicca Toppinens Talent fürs Schreiben von eigenen Stücken, aber auch den klanglichen Fortschritt. Von Beginn weg klingt alles hier vielschichtiger, nuancierter und eindringlicher, präsentiert sich im Opener druckvoll und nebst melancholisch anklingender, heller Töne vor allem als raues, mitunter sogar verzerrter Schreddern. Mit epischem Klang und dem atmosphärischen Wechselbad, das die harten, strukturellen Sprünge der Komposition hergeben, ist man dann auch gleich vollends überzeugt und sieht die Erwartungen an eine Band, die das Klassische mit der drückend schweren Härte des Metal verbinden will, bestätigt. In der Folge sollten sich die aggressiveren Seiten des Albums zwar nicht zwingend als die gelungensten erweisen, die Fertigkeiten des Quartetts illustrieren sie aber dennoch in starker Manier. Pantera-Track Domination wird, ganz ähnlich wie das Original, sicher nicht zu einem Albumfavoriten, gewinnt aber dennoch zumindest teilweise dank des mehrstimmigen Stakkatos, dank röhrender Härte, dank eines bizarren, aber immerhin imposanten Solos, das nun wirklich weniger gemein hat mit dem klassischen Cello als mit dem, was dereinst Dimebag Darrell oder Kirk Hammett geliefert haben. Übertrieben wird es dennoch ein bisschen, weil hier genauso wie im bandeigenen M.B. und im metallisch, endzeitlich dröhnenden Refuse/Resist der Sinn für Atmosphäre großteils abhandenkommt und nur mehr die spielerische Finesse bleibt. Die ist gewaltig, allein schon ob der eindringlichen Aggressivität, die die Finnen aus diesem Instrument herausholen, aber man kennt sie besser.

 

Das Gute ist, dass man sie ja direkt hier besser zu hören bekommt. Bleibt man nämlich fair, so ist die obige Kritik eine, die weniger darauf hinausläuft, den genannten Songs ihre spürbare Qualität abzusprechen, als vielmehr den dennoch markanten Unterschied zu den grandiosen Höhepunkten der LP zu verdeutlichen. Nichts kommt nämlich an das heran, was Apocalyptica aus Nothing Else Matters machen. Von Metallica als stimmige, wohlintonierte, aber doch kitschige Powerballade zum Welthit gemacht, machen die Finnen daraus etwas ungleich Gefühlvolleres und Feinsinnigeres, das sich so sehr der klassischen Musik zuwendet, wie sonst wenig hier. Da macht sich die Vierstimmigkeit bezahlt, erlaubt sie doch neben den dezenten Saitenzupfern, dramatische, kraftvolle und doch melancholisch wirkende Töne als Ersatz für James Hetfield kerniges Bellen, schwergewichtige Tiefen und flehende Höhen, wie sie auch die orchestrierte "S&M"-Version von Metallica nie hinbekommen hat. In ähnliche, wenn auch weniger effektive Kerben schlagen Neuinterpretationen von Fade To Black und One, ebenfalls ursprünglich von Metallica, ebenfalls stimmungsvoll-emotionale Klassiker der Band. Fade To Black kommt dabei an die einzigartige atmosphärische Kraft des Originals nicht heran, verliert sich etwas in den mit mehr Nachdruck intonierten Passagen. One ergeht es ähnlich, das aber nach einer lange unglaublich gefühlvollen Interpretation erst im letzten Songdrittel, das auch dem Original nicht unbedingt geholfen hat.

 

Wer dennoch auf die raueren Töne setzen will, wird auch dort ganz ordentlich auf seine Kosten kommen. Der druckvollen Eröffnung wird an der Spitze des Albums zumindest noch For Whom The Bell Tolls als großartige, laute Alternative zu den ruhigen Minuten zur Seite gestellt. Auch dabei handelt es sich, erraten, um einen Metallica-Track. Die hier zum Besten gegebene Version ist jene, die am ehesten dem Original nacheifert, dessen Gitarreneinlagen aber auch mit orchestralem Touch versehen waren. Die Großartigkeit dessen wurde nahezu verlustfrei übertragen, sodass die vier Cellisten gekonnt für ein düster brodelndes Gesamtkunstwerk sorgen, dem die abgehackten Leadpassagen und vereinzelte Verzerrungen die nötige Brutalität verleihen.

 

Aufmerksame Zeitgenossen werden gemerkt haben, dass zwar das Album kein einziger Kniefall vor Metallica mehr ist, die US-Amerikaner aber nichtsdestotrotz die ursprünglichen Urheber der stimmigsten Neuinterpretationen sind. Erklärt ist das ganz leicht damit, dass die Songwahl günstiger ausfällt und man den Finnen definitiv eine Vorliebe und Verständnis für das, was Metallica über die Jahre abgeliefert haben, zugestehen kann. Das soll allerdings nicht heißen, dass "Inquisition Symphony" nicht zur Gänze eine eindrucksvolle Leistung darstellen würde. Die Höhepunkte sind relativ klar abgesteckt, Schwachpunkte finden sich auf der anderen Seite aber keine, weil die Finnen offensichtlich wissen, wie sie mit ihren Instrumenten und den gewählten Vorlagen umzugehen haben. Außerdem ist offenbar nach dem gelungenen, aber für Verbesserungen Platz lassenden Debüt der Mut gefunden worden, ebendiese Optimierungen auch wirklich anzugehen. Deswegen sind die hier versammelten Tracks atmosphärisch dichter, dramatischer, eigenständiger und facettenreicher, schaffen es, auf mehreren Ebenen zu überzeugen als die Arbeit vom Vorgänger. Und isoliert von diesem kann man "Inquisition Symphony" nicht viel nennen außer verdammt großartig.

 


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