von Mathias Haden, 17.06.2017
Die Schlaumeier aus Baltimore haben trotz schwindender Erfolgsquote weiterhin ein Händchen für interessante Soundgebilde.
Uns von MusicManiac kann man ja einiges vorwerfen. Liberale Ansichten, glühende Engstirnigkeit oder den Frevel, nicht nur den Barbaren von Rammstein, sondern auch deren ominösen Nebenprojekten (Emigrate, Lindemann, Cobra Starship u.a.) Asyl zu bieten. "Asylrecht!", würde Quasimodo jetzt in seinem betörenden Fistelstimmchen rufen, doch ist dieses unser Engagement wohl tatsächlich längst zu viel des Guten. Zugutehalten darf man uns, den nimmermüden Schreiberlingen jedoch, dass wir uns redlichste Mühe geben, mit möglichster Offenheit in alle Richtungen unsere Ohren offen zu halten und auch einmal dort konzentriert hinhören, wo es anstrengend wird. Ein paar Herrschaften dürften sich da jetzt besonders angesprochen fühlen, denn auch den vehementen Widerworten meines Kollegen zum Trotz reichte es für Animal Collectives vermeintliches Wunderwerk Merriweather Post Pavilion für eine ordentliche Wertung. Die standen knappe drei Jahre später wieder im Studio und waren ihrerseits bemüht, die vom werten Mittexter als "erzwungene Extravaganz" beschriebene Attitüde auf ein neues Level der Ungenießbarkeit zu hieven. Im weiteren Verlauf eine kurze Chronik eines Erfolges.
Denn viel läuft auf Centipede Hz, der nachträglich als neuntes Werk der US-Amerikaner referierten Studio-LP, darauf hinaus, den Vorgänger in seinen exzentrischen Meriten zu übertreffen. Gelingen soll dies Unterfangen mit dem neuen und alten Kollegen Deakin, der das bemerkenswerte Kunststück fertigbrachte, ausgerechnet vor dem einzig halbwegs erfolgreichen Longplayer auszusteigen um kurz darauf wieder an Bord zu sein. Den harten Kern des Quartetts aus Baltimore bildet aber ohnehin das übrige Trio Panda Bear, Avey Tare und Geologist. Leider entscheiden sich die dafür, die Entwicklung, immer weiter auf Pop-Terrain vorzudringen, vorerst zu drosseln bzw. sogar etwas zurück zu rudern. Nicht aber, ohne ein paar dröhnend quirlige Reminiszenzen an die Vorgänger-LP zu liefern. Gleich der überdrehte Opener Moonjack bricht mit seinen dichten Synthdecken, einer umtriebigen Orgel und dem typisch unruhig flimmernden Elektronikschnickschnack durch die Barrikaden und sensibilisiert den Puls für weitere Ausflüge in hyperventilierende Gefilde mit verbliebener Pop-Sensibilität. Auch deswegen hätte Applesauce gut auf den letzten Longplayer gepasst, komplementieren dessen Synth-Fontänen und flatterhafte Melodien die übereinandergestapelten Vocals und den sägenden Gitarrenriff in feinster Manier. Greifbare Emotionen wird man auf Centipede Hz, wie auch im überwiegenden Repertoire der Band nicht finden, dafür lassen sich noch einige weitere Beispiele für diese artifizielle Schönheit ausmachen. Und mit Amanita als Closer gibt es fast schon eine Pop-Hymne in farbenfrohem Anstrich, deren treibender Drumbeat mit seinen östlich angehauchten Gitarrensequenzen ein famoses Wechselspiel betreibt.
Wie so oft in der Geschichte überhört man sich irgendwann aber an den bemüht experimentellen Klängen der Band. Besonders Wide Eyed, das die erste und hoffentlich letzte gesangliche Darbietung von Deakin darstellt, verliert sich irgendwann in seinen anfangs interessant anmutenden, orientalischen Rhythmen und Synth-Mustern, wenn es über fünf Minuten geht. Generell ist der vermeintlich innovative Bereich, das schonungslose Zusammenfügen von Samples, Elektronikfirlefanz und allerlei Percussions jener Bereich, der am meisten an den Nerven zehrt. Und das, obwohl zwei der besten und bemerkenswerterweise auch längsten Nummern aus diesem Eck kommen. Einerseits das schöne, fast gemächlich dahinfließende New Town Burnout, dessen schrille Lap Steel Guitar-Klänge und Glockenspiel sich elegant mit den blubbernden Synthies und einem lässigen Beat arrangieren. Auf der anderen Seite das drückend kraftvolle Monkey Riches, das die Aussage Noah Lennox a.k.a. Panda Bear auf beeindruckende Weise stützt, die Songs des Albums wären energetischer als alles bis zu dem Zeitpunkt veröffentlichte aus dem Kanon der Band. Die beiden können trotzdem nichts an der Tatsache ändern, dass die meisten Tracks bzw. Sounds wie wilde Hummeln durch den Raum schwirren und im Gegensatz zu denen von Merriweather Post Pavilion viel zu selten haften bleiben. Gerade nach hinten hinaus mit den ziellos wabernden Mercury Man und Pulleys wird es immer austauschbarer, fast wie bei dem unglücklichen Gedenksong für die Beach Boys-Gedenksongs der vorigen LP, Rosie Oh, dem größten Recycling-Produkt unter all den rauf und runter gesampelten Hybriden hier.
Ein überaus weiser Hipster - er muss ein Hipster sein, er schreibt immerhin für Pitchfork - hat einmal in seiner Rezension geschrieben: "Centipede Hz feels like someone throwing a burrito on your windshield". Was hier auf den ersten (und hoffentlich jeden weiteren) Blick vielleicht nur so viel Sinn ergibt, wie Trumps Aussagen zu... eigentlich eh allem, könnte letztlich vielleicht sogar trotz einer Bewertung von 7.4 der ultimativen Hipster-Lobpreisung entsprechen. Mit anderen Worten gerecht werden kann man diesem seltsamen, experimentellen Art-Pop-Bastard aber ohnehin nicht. Animal Collective machen weiterhin auf superschlau, führen alles zusammen, was ihnen irgendwie über den Weg läuft und bringen es weiterhin fertig, immer wieder interessante Soundgebilde aus dem Boden zu stampfen. Die Erfolgsquote hat sich zwar deutlich verringert, für ein positives Ergebnis reicht es indes noch.