von Kristoffer Leitgeb, 20.11.2015
Der große Turnaround wird beinahe zur 360°-Wende, ein erster Schritt raus aus der lähmenden Epik ist trotzdem getan.
Das Rad schaut eigentlich heute noch immer so aus wie vor einigen Tausend Jahren. Mittlerweile eher silbern glänzend, nicht mehr urig hölzern, aber am Aufbau hat sich verdammt wenig geändert. Dabei sprach man vielerorts immer wieder von der Neuerfindung des Rades, nur hatte dann keiner den Mut, wirklich Hand anzulegen. Ob tatsächlich mangelnde Courage hauptverantwortlich war, scheint aber nach kurzem Nachdenken eher fraglich. Wahrscheinlich waren viel eher fehlende Konzepte verantwortlich, aus dem runden Ding lässt sich eben nicht so viel machen. Nur eckiger hätte man es gestalten können, hätte damit aber auch unweigerlich einen grässlichen Präzedenzfall für das Prinzip 'function follows form', einem verschwenderischen No-Go. Allerdings wollte man ja eh selten wirklich das Rad neu erfinden, man wollte nur die Unnötigkeit von Veränderung felsenfest herausstreichen. Die ist auch oft zum Abgewöhnen, weil mühsam, weil unsicher, weil unbekannt. Deswegen traut man sich auch bei A&A nicht so ganz ins Wasser, ein paar kleine Schritte in die richtige Richtung macht man aber doch.
Eigentlich sollte es ja mehr werden, es war sogar beinahe unmöglich, dem Altbekannten zu fröhnen, immerhin war Tom DeLonge für die fünfte LP dazu verdammt, eine One-Man-Show daraus zu machen. Ok, es gibt unter Garantie Dinge, die diesem Mann schwerer fallen würden als ebendas, nur mit Ilan Rubin als eiserner Unterstützung gestaltet es sich im Studio dann aber doch garantiert anders. Vielleicht war gerade das der Stein des Anstoßes, der den ehemaligen blink-182-Frontmann dem ehemals so gehegten geradlinigen Pop-Sound wieder näher gebracht hat. Endlosintros sind Geschichte, wirkungslose Instrumentalparts ebenso, sogar die 'bigger than life'-Attitüde hat sich beinahe verabschiedet. Begrüßt wurde dagegen eine rockige Lockerheit, die diesem Projekt bisher nur in vereinzelt dahindarbenden Ausreißern gegeben war. Teenagers & Rituals reißt mit ebensolcher an, präsentiert einem zwar ein blindwütig poliertes Intro, aber auch starke Tribal-Drums und einen dynamischen Bass, die für ordentlich Drive und einen der zweifellos besten Refrains seiner zweiten Karriere sorgen. Dass man trotzdem nur mit einer begrenzt positiven Note startet, ist dann eher der suboptimalen Produktion geschuldet, die den Track mit einer überladenen Lautstärke segnet, die er nicht gebraucht hätte.
Trotzdem gut zu wissen, dass es so auch gehen kann. Man würde es nämlich in der Folge nicht mehr so oft erahnen, bei den durchwegs mäßigen Sound-Rückfällen, die "The Dream Walker" auszeichnen. Zwar hat DeLonge dem Weltraum nach Jahren endlich lebewohl gesagt, doch der musikalische Kern ist auch beim fünften Mal noch ein träger Rock-Haufen, der dem Pathos und Kitsch nur selten entkommt. Die beschnittenen Songlängen helfen natürlich, genauso wie es der zurückgekehrte Fokus auf markante, überraschend harte Gitarrenarbeit tut. Doch auch mit kernigerem Klang wirken Paralyzed oder das aus "I-Empire"-Teilen zusammengebastelte Tremors brustschwach und mutlos, ähneln in ihrer Aufbereitung bereits früher besser umgesetzter Ideen eigentlich dem schwachen Vorgängeralbum.
Die große Änderung findet man also nicht in entscheidendem Maße im Songwriting-Department, sondern eher in der umgekrempelten Studioarbeit. Dort wird tatsächlich mehr richtig gemacht als früher. Die LP vermittelt dahingehend oft genug einen spontaneren Eindruck, präsentiert sich einem nicht mehr als bis zum letzten Ton durchgeplantes Bombast-Spektakel, sondern beschreitet den Weg eines dezent roheren Alt Rock-Stils. Der schlägt sich vor allem in der weniger penetranten Synthie-Abteilung und kernigen Riffs nieder, beschert einem aber auch eine runtergeschraubte Stimme, die DeLonge fast alles nimmt, was an seiner theatralischen Performance sonst auszusetzen war.
Wirklich positiv schlägt sich das vor allem dort nieder, wo man noch einmal dem offensichtlich unumstößlichen Band-Dogma komplett entflieht. Mit Bullets In The Wind wagt man sogar einen Schritt zurück in die Pop-Punk-Tage, kreiert zumindest etwas ähnliches. Es ist der eine tolle Up-Tempo-Moment, den seit dem Debüt noch jedes Album mitgebracht hat, egal wie durchwachsen das Drumherum war. Dank der vielleicht wohlgeformtesten Rhythm Section der Bandgeschichte und einem genial eingespielten Gitarrenpart in den Strophen mausert sich der Track zum Favoriten, auch wenn ihn der störrischere Refrain gleich wieder zu sabotieren versucht.
Zum musikalisch wirklich überraschenden Außenseiter wird aber Closer Anomaly. Die Ballade mit markanter Akustikgitarre und dezentem Elektronikbeat ist so ziemlich die Antithese zur übrigen A&A-Welt, erinnert entfernt an Akustik-Song What Went Wrong aus blink-Tagen. Blöderweise spuckt er sich aber auch hier selbst ins Süppchen, spielt diesmal mit fragwürdigen Zeilen in den Strophen das umgekehrte Spiel und lässt einen großartigen Refrain etwas im Regen stehen. Nichtsdestotrotz meistert DeLonge die Aufgabe als dezenter Liebes-Barde beinahe exzellent, sorgt auch dabei mit seinem unaufdringlichen Understatement für Verwunderung der positiven Art.
Viel bleibt einem dann aber nicht mehr außer ebender Erkenntnis, dass die gute Seite nicht so viel hergibt. Trotzdem reicht es für eine markante Steigerung zum Vorgänger und für einen der besseren Auftritte der Band, bedingt vor allem dadurch, dass abseits vom miserablen Eurythmics-meets-Killers-Auftritt Kiss With A Spell von größeren Reinfällen diesmal nicht die Rede sein muss. Doch trotz sympathischerer Gesamtmischung verpasst man die große Chance, ein dynamischeres, der Realität wirklich näheres Album zu gestalten. Spacige Entdeckungsreisen und Wirrungen sind nirgendwo mehr zu finden und mit ihnen auch die mühsame Extravaganz, aber auch die Fähigkeit für ein stilistisch interessantes Ganzes. Stattdessen bequemt man sich oft nur zu U2-esquem Mittelmaß, dem man nur zeitweise wirksam entgegentritt.