von Kristoffer Leitgeb, 13.06.2020
Der Höhepunkt von Qualität und Ambition einer durchwachsenen, überdimensionierten Selbstfindung.
Es ist an diesem Punkt bereits alles über Angels & Airwaves gesagt, was es dazu zu sagen gibt. Schon längst. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Biographie des Tom DeLonge so eng mit der Geschichte der Band verwoben ist, dass beides eigentlich fast komplett deckungsgleich verläuft. Und DeLonge ist mittlerweile zumindest teilweiser Inhalt von sage und schreibe elf Reviews auf dieser Seite, also geht einem irgendwann der Stoff aus. Wobei vielleicht doch nicht, weil der offensichtlich der Selbstüberschätzung erlegene US-Amerikaner nicht nur die Welt mit seinem pompösen Rock zu retten versucht hat, sondern auch diverse Filmchen, Comics und sonstige multimedialen Rettungsversuche für sein musikalisches Treiben zu starten wusste, ohne dass die bisher sonderlich ins Auge gefasst wurden. Und er ist begeisterter Alien-Gläubiger, der mittlerweile über mehr Kenntnisse von UFO-Sightings verfügt als das FBI und die NASA zusammen. Das verspräche köstliche Unterhaltung, hat aber leider nichts mit Musik zu tun. Viel eher ist es da schon höchste Zeit für späte, ausgleichende Gerechtigkeit und also für einen Blick auf dieses eine Album der Band, das doch irgendwie gut geraten ist: Vorhang auf für "Love".
Gleich vorweg die Feststellung, dass der Albumtitel, der so nebenbei auch ein späteres Bruderalbum mit leicht zu identifizierender Ausschussware und einen dazugehörigen Film unter gleichem Namen zieren sollte, nicht gut geraten ist. Nach so etwas wie "I-Empire" ist das hier aber beinahe schon bodenständig, ganz egal, ob es sich nun einen der mächtigsten, vielschichtigsten und positivsten Begriffe der Menschheit groß vorne draufpickt. Eine wirkliche Nähe dessen zu dem Gemenge aus überlebensgroßer Melodramatik, poppiger New-Wave-Elektronik und musikalischer Weltraumerkundung, das die hier versammelten Songs darstellen, lässt sich nicht erkennen. Das ist jedoch nebensächlich, überrascht doch DeLonge gleich einmal damit, dass er auf die eine starke Pop-Single vom Vorgänger hier deren zwei folgen lässt.
Wobei Hallucinations wohl den Terminus Pop nicht ganz verdient, handelt es sich doch eher um ein Stück aufmunitionierten Stadion-Rock, der mit voluminös röhrenden Riffs und einer Armada an elektronischen Soundeffekte anreitet, um aus der starken Hook und DeLonges gesanglicher Hochform, die er auf der LP beweist, etwas leicht Verdauliches zu zimmern. Das Ergebnis ist direkt, dabei sicher unverhohlen schmalzig, aber dank der soliden Gitarrenarbeit und einer Absage an schleppende Langatmigkeit ein lockerer Moment, wo man ein paar Jahre vorher wohl noch einschläfernde Epik geliefert bekommen hätte. Wer dabei an hohes musikalisches Gut denkt, ist auf dem falschen Dampfer, wird sich aber wohl trotzdem vom Song unterhalten lassen können. Das Bullseye trifft die Band allerdings erst mit Epic Holiday, einem musikalisch schon zu Beginn komplett dem synthetischen 80er-Kitsch ergebenen Stück New Wave, das sich in null Komma nichts als grandioses Pop-Handwerk entpuppt. Wuchtige, den Hintergrund füllende Drums, glitzernde Elektronik und billig-sphärische Synths machen nach kurzer Zeit einer großartigen Mischung aus druckvollen Drums, simpelstem Bass und einer unwiderstehlichen sonnigen Gitarrenhook Platz. Und daraus mutiert ein Refrain, neben dem alles verblasst, was unter dem Namen Angels & Airwaves sonst so veröffentlicht werden sollte.
Das soll aber nun nicht heißen, dass die übrige Tracklist gleich zum Vergessen wäre. Tatsächlich gelingt DeLonge nach der übersteigerten, reichlich unnötigen Synthie-Instrumentaleröffnung durch Et Ducit Mundum Per Luce sogar das Kunststück, endlich einmal etwas zu kreieren, das wirklich nach Space Rock klingt. The Flight Of Apollo generiert dabei eine Atmosphäre, die einem "We Don't Need To Whisper" nur in den ersten zweieinhalb Minuten von Valkyrie's Missile gegönnt hat, übertreibt es dabei gewaltig mit der schimmernden Digitalisierung des Sounds, findet aber trotzdem irgendwo den Punkt, an dem der sphärische Größenwahnsinn aufgeht. Zu verdanken ist das weniger diesem nicht enden wollenden elektronischen Flimmern und eingestreutem Glitzern bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dafür schon eher dem harten, dickwandigen Riff, der dieses über sechs Minuten lange Monstrum phasenweise großartig zusammenhält. Dass es da mit den stilistischen Richtungswechseln übertrieben wird und man die hyperambitionierte Tour de Force nicht ganz unbeschadet übersteht, bleibt zwar ein offenes Geheimnis, aber der Sound passt wohl das erste Mal wirklich zu dem, was DeLonge von Anfang an vor Augen hatte. Und das ergibt dann zwangsweise einen positiven Eindruck, weil sich die sonst so unharmonischen Puzzleteile hier nicht reibungslos, aber doch offensichtlich passend ineinander fügen.
Andernorts ist die ganze Show doch etwas moderater gestaltet, was aber nicht heißt, dass nicht auch der unbeschwerte Pop-Rock von Young London oder der atmosphärische Soft Rock von Soul Survivor (...2012) ein Portiönchen elektronischer Spaceigkeit abbekämen. Die dabei dennoch deutlichen, geordneteren Bahnen helfen aber, die LP zu einem angenehmeren, ausgewogeneren Erlebnis zu machen. Große Würfe erlaubt das deswegen nicht, weil abgesehen von Epic Holiday nichts hier so meisterlich den inhärenten Schmalz von Angels & Airwaves mit einem fokussierteren Blick auf Produktion, Songstrukturen und Melodien ausbalancieren kann. Shove ist dennoch eine gut anklingende Powerballade und Letters To God, Part II ein gelungener Versuch, die sphärischen Qualitäten des zusammengezimmerten Sounds ins emotionale Mid-Tempo-Terrain zu übertragen.
Will man dabei nach den Gründen für das plötzliche qualitative Erwachen suchen, wird man mit dem Aufzählen kaum aufhören können. Herunterbrechen lässt es sich dennoch auf die Komponenten Ordnung und Klang. "Love" mutet weniger chaotisch an als der Vorgänger, marschiert relativ geschlossen in eine Richtung und klingt gleichzeitig konsequenter und versierter ausgestaltet als das letztlich ermüdende Debüt. Nicht nur, dass man eine durchaus vielversprechende Mitte aus der banalen Fadesse von "We Don't Need To Whisper" und der überbordenden, kitschigen Effekthascherei von "I-Empire" gefunden und die damit verbundenen Effekte besser integriert hat. Darüber hinaus bleibt als deutlichstes Zeichen der schlichten klanglichen Verbesserung DeLonges Stimme, die hier erstmals eine Form bekommt, der man gerne zuhört. Und das will was heißen!
Deutliche Ausfälle gehen sich nichtsdestotrotz in gewohnter Manier aus. Zu dem nutzlosen Instrumental zum Albumanfang gesellt sich mehr als ein ebenso wirkungslose Instrumentalpassagen, die unnötig so manchen Song in die Länge ziehen, und ein genauso bescheidener Abschluss in Form von Some Origins Of Fire, dessen blutleerer Synth-Rock nirgendwohin führt und in einem unerträglich schmalzigen Keyboard-Refrain gipfelt. Clever Love ist im Vergleich dazu wirklich harmlos, allerdings auch ein Rückfall in die durchschnittliche Langeweile des Debüts ohne nennenswerte klangliche Vorzüge. Und The Moon-Atomic (Fragments And Fictions...) ist überhaupt ein kompletter musikalischer Offenbarungseid, der sich die schlechtesten Seiten von allem hier Gebotenen herauspickt und daraus ein müdes, kitschiges, hemmungslos großspuriges Machwerk formt.
Ergo wird es nichts mit einem wirklich starken Auftritt. Selbst "Love" als Höhepunkt dessen, was Angels & Airwaves zu vollbringen im Stande sind, ist geplagt von fragwürdigen Ausfallserscheinungen und Geschmacksverirrungen, von einer ungesunden Mixtur aus Langeweile und Pomp. Die Schokoladenseite des Albums überzeugt jedoch, indem es die positiven Seiten des Projekts gelungen ausleuchtet, ohne dabei musikalisch über die Stränge zu schlagen oder sich kompletter Lethargie hinzugeben. Im Idealfall reicht das für einen Pop-Volltreffer, generell muss man eher mit sehr solidem, ansprechendem Space Rock vorlieb nehmen. Weil das aber schon mehr ist, als man von Tom DeLonge und den Seinen gewohnt ist, erlebt man hier eine positive Überraschung, die lediglich dadurch sehr deutlich beeinträchtigt wird, dass man bei nur 11 Tracks zumindest drei komplett streichen könnte und von keinem Verlust die Rede wäre. Doch der Fokus kann und soll dem Rest gelten, der für einen kurzen Moment Angels & Airwaves gut genug hat klingen lassen, um sie auf dem richtigen Weg zu sehen.