von Mathias Haden, 28.09.2016
Heartache ends and begins again.
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. Ein Sprichwort, das man kennt und
schätzt. Andersrum wird ebenfalls ein Schuh draus und deshalb darf man sich von einer Künstlerin, die schon zweimal in Folge für das Album des Jahres verantwortlich zeichnen durfte, freilich
einiges erwarten. Anfang des Monats (September) war es nämlich soweit, wurde man fürs geduldige Warten belohnt. Angel Olsen meldete sich mit ihrer dritten LP My Woman zurück und untermauerte just ihre Stellung als größte Künstlerin des aktuellen Jahrzehnts. Und wer weiß, vielleicht kann sich die Amerikanerin ja auch
bald gegen ihre kanadische Kontrahentin Neko Case um die endgültige Vorherrschaft im aktuellen Jahrhundert durchsetzen. Die hat zwar noch
leicht die Nase vorn, aber längst nicht mehr so eine überwältigende Konstanz wie Angel Olsen vorzuweisen.
Aber lassen wir die Zukunft doch ein wenig ruhen, ist doch ohnehin alles nur spekulatives Geschwätz. Viel wichtiger ist, dass My Woman tatsächlich
jener dritte Triumph in Folge geworden ist, den wir uns so sehnlich herbeigesehnt haben. Stilistisch ist sie gar nicht so weit entfernt vom Vorgänger Burn You Fire For No Witness, bringt allerdings ein wenig mehr Struktur hinein und träumt zwar
weiterhin schwermütig, aber nicht so lebensmüde wie am letzten Glanzstück White Fire. Weiterhin gefällt sich Olsen mit ihrer fragilen, gleichzeitig
unglaublich ausdrucksstarken Stimme am besten zwischen schrammeligen Feedback-Gitarren oder in schier endlosen Weiten hallender Leere. Mut zu Veränderung und Entwicklung hat die Spätstarterin aus
Missouri allerdings auch mitgebracht, darum schwelgt sie zum Auftakt nicht durch dröhnende Gitarrenwände, sondern durch die sphärischen Synth-Landschaften von Intern.
Olsens Markenzeichen wird jedenfalls weiterhin ihr charismatischer Gesang bleiben. Am neuen Album gelegentlich mit Zynismus oder Sarkasmus unterbuttert, wirkt die Protagonistin sexy, ohne lasziv zu sein, über den Dingen stehend, ohne überheblich oder gar gelangweilt zu klingen. Als Fan- und Kritikerliebling dürfte sich schon bald Shut Up Kiss Me herauskristallisiert haben, das sich einen rotzfrechen Vibe bewahrt, zu kernigen Gitarren und hellwachen Drums eine hymnenhafte Hook offenbart. Grundsätzlich ist die erste Seite der LP abgesehen vom experimentellen Opener eher den straighteren, auf eine nicht negative Art und Weise bodenständigeren Nummern vorbehalten. Never Be Mine gibt sich fein melodiös und lässt wieder diese dezente Nähe zum Country aufscheinen, die schon auf den Vorgängern immer wieder erkennbar war. Im Gegensatz zu den meisten Leuten, die auf jenem Terrain momentan ihre Brötchen verdienen, gelingt es ihr aber tatsächlich, Emotionen zu vermitteln und schließlich selbige beim Hörer zu evozieren. Daneben ist es noch das betörende Heart Shaped Face, das zwar weniger catchy antanzt, dafür mit seiner melancholischen Atmosphäre einen ähnlichen Sog entfacht: "Heartache ends / And begins again". Vielleicht der Sog von Trübsinn und (mittlerweile längst nicht mehr) ungeahnter Schönheit? Hach, immer noch ein schöne Beschreibung.
Auch die Stücke der zweiten Seite sind keineswegs strukturlos oder zu improvisierten Jams ausgeartet. Während der Ton allerdings ruhiger wird, versucht sich Olsen daran, neue Pfade zu beschreiten. Einer davon führt zum großen Meisterwerk der LP, dem perfekten, siebenminütigen Sister. Ich müsste schon ein paar Worte neu erfinden um zu verdeutlichen, was dieses kleine Prachtstück bewirkt. Wie sanft sich dieses Kleinod zwischen Folk und einer Prise Country und Blues entfaltet, kontinuierlich an Spannung gewinnt und schließlich in der gefühlvollsten Darbietung der Sängerin ausbricht. "I want to live life / I want to die right / Next to you / All my life I thought I'd change". Und wenn man sogar das Gitarrensolo am Ende mit Handküssen aufnimmt, kann man nur vom besten Track des Jahres sprechen. Einfach grandios. Leider ist der zweite Blockbuster der LP nicht annähernd so makellos, was der LP am Ende noch ein paar wichtige Punkte kostet. Woman ist zwar ähnlich trostlos, kann aber auf keinen ebenbürtigen Aufbau verweisen. Stattdessen mäandert das Stück zwischen hypnotischem Bass und Angels - wir müssten mittlerweile längst per Du sein - unheilvollem Gesang etwas richtungslos vor sich hin, ehe es in graue Sphären entschwindet.
Genau dort fühlt man sich bei ihr, der besten Künstlerin der letzten Jahre, aber sichtlich wohl. Dort, wo Unsicherheit herrscht und sich Angels Worte und Töne von verschiedenen Seiten gleichermaßen ins Innerste hineinfressen. Die Sängerin jammert und raunzt hie und da wieder, als würde es keine Sonne auf dieser Welt geben. Nur, sie jammert einfach so schön, dass man gar nichts anderes hören mag. Gelegentlich entdeckt sie den Optimismus für sich oder flirtet mit Humor und Wortwitz, auch das geht ihr aktuell nur allzu leicht von der Hand. So scheint es, als würde es derzeit nichts geben, womit sie nicht fertig werden könnte. Geht es mit rechten Dingen zu, müsste die US-Amerikanerin auf diesem Wege schon bald zu einem Star heranreifen. Einem Künstler, der ein Album mit dem Titel My Woman aufnehmen kann, ohne dieses trotz sichtlicher Avancen zu einem sakralen Emanzipationswerk ausufern zu lassen, gebührt dies ohne Zweifel. Wer nun Einspruch einlegen möge, tue dies oder schweige für immer.