Angel Olsen - All Mirrors

 

All Mirrors

 

Angel Olsen

Veröffentlichungsdatum: 04.10.2019

 

Rating: 8.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 11.09.2020


Ein erneuter Sinneswandel bringt tiefe Gefühle im bombastischen Mantel.

 

Oft trügt der Schein. Gerade bei oft ausgeprägten Tiefgangs bezichtigten stillen Wässern tritt schnell einmal etwas zu Tage, das den Erwartungen und manch vorgefertigter Meinung widerspricht. Nichts anderes kennt man auch aus der Musikwelt, wo so manch Stilsprung aus dem nichts zu kommen scheint und die Wandlungsfähigkeit insbesondere dann überrascht, wenn doch bereits alles so passend ausgesehen hat. Bei Angel Olsen tat es das dereinst, als eine der großen singer-songwriterischen Entdeckungen des vergangen Jahrzehnts mit "Burn Your Fire For No Witness" erstmalig Kritiker faszinierte. Denn auch wenn da im Gegensatz zur großteils akustischen Zurückhaltung des Debüts plötzlich mutigere rockige Klänge zu hören waren, lag doch die Ankunft einer immerwährend melancholischen, dem Folk entsprungenen Musikerin in der Luft, die doch bitte ihre gesamte Karriere genau damit verbringen würde. Statt jedoch zum weiblichen Pendant von Sun Kil Moon zu werden, verzichtete die US-Amerikanerin auf Klischeebedienung, war plötzlich "MY WOMAN" popmusikalisch breit aufgestellt und deckte mit ihrem Indie Rock die 60er, 70er und 90er gleichermaßen ab, während sie der Welt freudig "Shut up, kiss me" entgegensang. Der Schublade entkommen, folgt mit "All Mirrors" zwar das Ende jeglichen freimütig-freudigen Musizierens, aber auch ein bisheriger Höhepunkt in Olsens künstlerischer Entfaltung.

 

Der Weg dorthin ist ein schwieriger, entspringt ihre vierte LP doch einer schmerzhaften Trennung, deren emotionale Eindringlichkeit in Wahrheit erst mit dem ein Jahr später veröffentlichten "Whole New Mess", das ursprüngliche Versionen der hier gebotenen Songs in weit spärlicherem Gewand bietet, zum Vorschein kommen sollte. Hier auf "All Mirrors" wandelt Olsen die tiefen Gefühle dagegen in majestätische, aufwändige Arrangements um, die die Grenzen der Dramatik ausloten. Lark zeigt diesbezüglich vor, wie es geht, entsteigt einem zurückhaltenden Beginn und mutiert zu einem beinahe dröhnenden Stück melodramatischen Symphonic Rocks. Der gerät zu einem bombastischen, perfekt abgestimmten Kampf zwischen den wuchtig pulsierenden Drums, drückenden Stakkato-Riffs, schrillen Streicherwänden und Olsens ausdrucksstarker, ungewohnt voluminöser Stimme. Gewinner sind dabei alle, wartet man doch nach dem ersten klanglichen Höhepunkt des Songs nur auf das netterweise nicht fehlende, zweite Crescendo, das diese Vermengung unterschiedlicher Gefühlslagen zwischen tragischem Verlust, unterdrückter Wut und schmerzender Verlorenheit noch intensiviert.

 

Diesem grandiosen Beginn zum Trotz ist das Album nur selten derartig großspurig angelegt. Das ändert nichts daran, dass reichhaltige Produktion und die Wall of Sound hier eindeutig das Gebot der Stunde aus Sicht Olsens sein dürften. All Mirrors findet vielleicht keinen derartig eindringlichen Klimax, geht aber immer noch in schillernden Synth-Schwaden und Reverb Drums auf, die einen an The Cures "Disintegration" denken lassen. Dazu kommt auch hier wieder eine kleine Armada an Streichern, deren effektvolles, ineinander übergehendes Zusammenspiel atmosphärische und virtuose Minuten garantiert, während Olsen selbst einmal mehr an einer ihrer theatralischsten Einlagen arbeitet. Den Höhepunkt dieser kompromisslos dramatischen Seite des Albums markiert Impasse, dessen aus laut dröhnendem Bass, winselnden Violinen, wuchtigen Drums und synthetischer Percussion zusammengesetzter Klimax zweifellos die Grenzen des wanddicken Soundteppichs auslotet. Ein Erfolg ist der Song trotzdem, auch und nicht zuletzt wegen der ungemein stimmungsvollen Minuten, die das massive Aufwallen des Arrangements in ruhiger, aber cineastisch ausgestalteter Manier umrahmen.

 

Wahrscheinlich ist es aber ganz gut, dass nicht elf von elf der versammelten Tracks dem Ziel widmen, ein größtmögliches klangliches Volumen zu erreichen. Stattdessen bietet einem Olsen auch zumindest etwas zurückhaltendere Minuten. Leider entspringen dieser Seite des Albums auch am ehesten die Schwachpunkte,  die insbesondere die erste Albumhälfte prägen. Das großteils synthetische Too Easy vergreift sich beispielsweise spätestens mit seiner lauten, schrillen Bridge komplett im Ton, entbehrt trotz Olsens anziehender, geschmeidig schwebender Stimme jeglicher Atmosphäre. Da hilft weder das monotone Stampfen der Drums zum Songende, noch die Olsens Stimme verfolgenden E-Bow-Gitarre irgendwie, wenn die Synthesizer alles eindecken und sonst nichts als Monotonie bleibt. Spring entgeht dem zwar, stolpert aber dann doch rhythmisch etwas zu sehr dahin, während das nachhallende Klavier, Mellotron und Vibraphon nicht sonderlich viel Harmonie verbreiten. Immerhin bleibt das Ganze vergleichsweise dezent, sodass man insbesondere in der ersten Hälfte des Songs Olsens Gesang ein bisschen verfällt. Zum großen Wurf reicht das aber genauso wenig wie New Love Cassette, bei dem die tief dröhnenden Synthesizer etwas an der Tiefenwirkung kratzen, während Olsen und die zwischendurch dramatisch implodierenden Streicher den Song tragen.

 

Wie gut ist es da, dass es noch so etwas wie Summer gibt? Das kommt zwar zur Abwechslung gänzlich ohne Streicher aus, präsentiert sich aber als rhythmisches Highlight des Albums, erinnert, abgesehen von den unterschwellig den Song durchziehenden Synths, an 60er-Folk-Rock. Dabei hilft nicht nur die starke Percussion, sondern auch das luftig-lockere Strumming an der Gitarre und Olsens hier so deutlich wie nie erstrahlende, ausdrucksstarke Gesangsperformance, die noch dazu einen herausragenden textlichen Blick auf die dominierende Melancholie und den emotionalen Zwiespalt ziert:

 

"And all those people I thought knew me well
After all that time, they couldn't tell
I lost my soul, was just a shell
There was nothing left that I could lose

Took a while, but I made it through
If I could show you the hell I'd been to
Lost the light, but then the sun was shining
Couldn't hide it and I wasn't trying


Was I becoming what I had to be?
Was that the truth I was supposed to see?
I may have never found my way to you"

 

Summer ist in diesem Sinne die Perfektion des gesamten Albumkonzepts, auch wenn ausgerechnet dieser Track beinahe komplett ohne die hier so prägnante Mitwirkung von Multi-Instrumentalist und Co-Songwriter Ben Babbitt auskommt. Inwiefern das vielleicht sogar damit zu tun hat, dass genau hier das Arrangement ideal ausbalanciert, Olsen auf einem Höhepunkt und die emotionale Kraft schwer zu überbieten scheint, sei dahingestellt. Ein genialer Song ist es jedenfalls.

Dazu wird er auch noch umgeben von Kompositionen, die man  nicht missen möchte. Tonight, Endgame und Chance verzichten auf große klangliche Ausbrüche, geben sich stattdessen ganz der klassischen, von den Streichern dominierten Eleganz hin. Während Olsen dabei großteils zu zurückhaltenden, brüchigen, beinahe gehauchten Darbietungen zurückkehrt, die man von ihren ersten Alben vereinzelt kennt, erwecken die geschmeidigen, vollen Streicherarrangements dennoch den Eindruck traditioneller Pop- und Soul-Balladen der 50er. Und wer hätte es gedacht, sie besticht auch dabei in durchaus eindrucksvoller Manier.

 

Insofern ist "All Mirrors" ein bisschen ein Triumph für Angel Olsen. Die US-Amerikanerin hat es einmal geschafft, eine stilistische Volte hinzulegen und sich in ein neues künstlerisches Licht zu rücken. Eines, das eindeutig heller strahlt als das vom poppigeren Vorgänger, weil mit der Ankunft der cineastischen Dramatik auch die Emotion wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt ist und von Olsen meisterlich in Szene gesetzt wird. Das Album kennt zwar eine kurze Schwächephase, bietet aber doch deutlich mehr Raum, um sich in den fülligen Arrangements und dem eindringlichen Gesang zu verlieren. Dass der theatralischen Emotionalität dieser Songs kein Kitsch entspringt, ist womöglich die größte Leistung in Anbetracht dessen, wie sehr Olsen hier mitunter an die Grenzen dessen geht, was an klanglicher Dichte und Melodramatik möglich ist. Sie macht daraus allerdings etwas Majestätisches, das die schwierigen Gefühlslagen, die als Inspiration für das Album dienten, trotz alles andere als intimem Setting nicht ihrer Wirkung beraubt. Das ergibt insgesamt das musikalisch bisher überzeugendste Album der Singer-Songwriterin, ohne dass dafür auf emotionaler Ebene nennenswerte Abstriche gemacht werden müssten.

 

 

Anspiel-Tipps:

- Lark

- What It Is

- Impasse

- Summer


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