von Mathias Haden & Kristoffer Leitgeb, 06.11.2015
Respektabler Schwanengesang, der einem ganzen Genre wieder auf die Beine verhalf.
Schwarz, die Farbe der Nacht; schwarz, die Zukunftsprognose der Realisten. Viele behaupten ja, schwarz wäre gar keine Farbe, in den elitären Fachkreisen (Wikipedia) wird von einer unbunten Farbe gesprochen. Ich weiß nicht viel über die Farbe schwarz und in Wirklichkeit nur eines mit großer Sicherheit: Wenn AC/DC Back In Black aus der personellen Misere zurückkommen können, dann darf Amy Winehouse, die große Soul-Hoffnung des 21. Jahrhunderts, ihren Weg locker Back To Black einschlagen.
Ein Weg, der sie vom renommierten, aber kommerziell nicht besonders erfolgreichen Talent zwischen Soul, Jazz und Bossa Nova bis hin zum größten britischen Star ihrer schmalen Ära führen würde. Den langwierigen Kampf mit Drogen sollte sie schließlich mit ihrem Leben bezahlen, die besprochene zweite LP steht heute gleichermaßen als Schwanengesang und definitives Werk der großen Sängerin da.
Zu Recht, könnte man meinen, lässt man sich vom breiten Spektrum ihrer Stimme erst einmal richtig wegblasen. Auf den elf, dank der Doku 'Amy' leicht als autobiographisch identifizierten Stücken lässt Pete Dohertys Seelenverwandte keine Sekunde Zweifel aufkommen, wer hinter all den beeindruckend austarierten Arrangements das Zepter schwingt. Opener Rehab zündet mächtige Bläser und einen lässigen Uptempo-Groove, die dem Album schon auf den ersten Metern einen nostalgischen Vintage-Flair verleihen, den Me & Mr. Jones mit seinen Doo Wop-Backgroundgesängen volley weiter zurück in die 50er schießt. Zwischen Elementen aus R&B und Jazz, sowie natürlich einer Menge Soul verharrt sie meist in legeren Midtempo-Takten, umreißt mit ihrem voluminösen Organ sowohl berührende Liebesballade, wie knallharte Abrechnung und tut wirklich verdammt viel dafür, mit ihrer verletzlichen Seite die Verkaufszahlen, die Back To Black zum bestverkauften UK-Album des Jahres gemacht hatten, zu rechtfertigen. Am besten gelingt ihr das am großartig orchestrierten, weil von Marvin Gayes Ain't No Mountain High Enough gesampelten Tears Dry On Their Own, auf dem sie fast schon einen Hauch von Optimismus in ihre Geschichte einbringt. Natürlich ebenfalls klasse sind die weiteren Singles, angeführt von You Know I'm No Good, dessen smoother Drumbeat sich perfekt an Bass, Bläser und Winehouse' kraftvollen, und doch so fragilen Gesang schmiegt.
So vielseitig sich die Sängerin in ihren stimmlichen Ausführungen gibt, so human und demnach leider etwas eindimensional gibt sie sich in ihren Songthematiken. Findet man gerade ihre Auseinandersetzung mit dem Rehab äußerst interessant, ermüden die bittersüßen Geschichten ihrer Beziehung selbst bei der kurzen Spielzeit von einer knappen halben Stunde etwas. Liebe und Schmerz mögen zwar die besten Katalysatoren für ergiebige Texte darstellen, wie Winehouse hier auch wieder bestätigt, ein bisschen Abwechslung hätte dem ganzen aber doch gut getan. Dennoch überwiegen freilich die guten Momente, die feinen Arrangements, die unsterblichen Singles und ihr unvergessliche Art zu singen, die Soul Anfang des Jahrtausends zum ersten Mal seit den 70ern wieder richtig cool erschienen ließ: "You go back to her / And I go back to black".
M-Rating: 7 / 10
Das britische Stimmwunder mit persönlicher und musikalischer Vergangenheitsbewältigung und der Erkenntnis schlechthin: Love is a losing game...
Nachdem der Kollege eh schon alles wunderbarst gesagt hat, was es über die mittlerweile unterirdisch verortete R'n'B-Dame des Vertrauens zu sagen gäbe, hier ein kleiner Exkurs: Die Liebe, meine Damen und Herren Lesenden. Da durchzuckt doch jeden gleich ein Gefühl der Freude, des Glücks, der Dankbarkeit. Gut so, es ist im Lichte eines mit einem Bewusstsein gesegneten Wesens eine der lohnenderen evolutionären Entwicklungen. Nur um die Herrlichkeit zu behalten, bedarf es bei Emotionen generell, der Liebe im Besonderen, ein bisschen Mystik und Naivität, ergründen darf man sie also nicht zu sehr. Sonst erzählen einem Neurologen allerlei über Hormonhaushalt, Limbisches System und so weiter, Psychologen erläutern einem die frühkindlichen Knackse, die die eigene Liebe eigentlich zeigt, und Philosophen schwadronieren über die Nichtigkeit der einzig wahren Emotion im Lichte von Egoismus, gesellschaftlicher Verantwortung und der Austauschbarkeit des einzig wahren Liebesempfängers. Das alles bringt einen zwar der Realität näher, sorgt aber für ordentlich schale Beigeschmäcker.
Machen wir es also einfacher und sagen, die Liebe ist da, wenn sie da ist, und gut ist. Bei manchen klopft sie leise an die Tür, steht mit Blumen und Pralinen davor und bleibt vielleicht gar ein Leben lang. Anderen tritt sie das Tor gleich mit den Angeln ein, verwüstet alles Auffindbare, bringt einem mit hämischer Freude die Hoffnung und lässt ein Ein-Personen-Tschernobyl zurück. So vielseitig ist sie.
Winehouse hat übrigens eher Letzteres erwischt. Erstmal nicht so großartig, doch nennt die Britin etwas ihr Eigen, was nur wenige in ihrer Situation haben: Riesiges musikalisches Talent. Die Stimme allein ein souliges Meisterwerk, die Musik eine lebendige und tiefemotionale Erinnerung an längst vergangene Tage und längst vergangene musikalische Größen. Nicht umsonst stemmt sie mit "Back To Black" ein ganzes Revival auf ihren Schultern, holt die 60er-Jahre in die Gegenwart, ohne dabei Rock-Legenden nachzueifern. Und so bekommt man klassischen R'n'B und Soul präsentiert, der anno dazumal dem Motown-Label alle Ehre gemacht hätte.
Übrigens ist sie auch das beeindruckendste Single-Monster seit MJ. Wer nämlich den fünf stärksten Songs gleichzeitig das Privileg der Einzelveröffentlichung schenkt, macht sehr viel richtig. Wir hätten den stolzen Anführer, das swingende Bläser-Drama Rehab; die nötige Hommage, Motown-Hymne Tears Dry On Their Own; die coole, cocky Zukunftsmusik, You Know I'm No Good. Und natürlich das geballte Balladentum in Form des streicherbeladenen Love Is A Losing Game und des heimlichen Favoriten Back To Black, dessen geniale Klavieruntermalung Bühne genug ist für Winehouse' größten Auftritt.
Das war's auch fast wieder, der Kollege hat eh schon ins Schwarze - wortwörtlich - getroffen. Oh, warte, ein Einspruch drängt sich auf. Die Liebe hätte nämlich gern auch noch mehr behandelt werden dürfen, zeigt doch nichts, auch nicht der gewöhnungsbedürftige Reggae-Versuch Just Friends, solche Schwächen wie der fragwürdige Drogencloser Addicted. Ein unwürdiger Abschluss für eine ansonsten durchwegs musikalisch äußerst starke, vor allem aber zutiefst ehrliche und emotionale LP, die Amy Winehouse mit Sicherheit als eine der besten Pop-Kräfte des neuen Jahrtausends bestätigt. Dass ihr das mit nur einem wirklichen Auftritt gelungen ist, scheint umso bemerkenswerter, ist aber bei der Qualität und Authentizität von "Back To Black" nur ein ganz kleiner Puzzleteil zum Triumphzug.
K-Rating: 8 / 10