von Mathias Haden, 28.11.2020
Plagiatsdelikte und Spendenaufrufe können auch nicht vom langweiligen Einheitsbrei ablenken.
Ein Blick in die eigene Vergangenheit wird verdammt viel offenbaren, das sehr schnell als peinlich oder zumindest auf amüsante Art hinterfragenswert identifiziert werden kann. Kleidungsstile, Haarschnitte, vom früheren Selbst verfasste Texte oder gezeichnete Meisterwerke, den Ausformungen des Fragwürdigen sind da beinahe keine Grenzen gesetzt. Nun kann man das verschämt von sich schieben, todesmutig und wortreich zu erklären versuchen oder aber es unter dem realistischen Gesichtspunkt sehen, dass auch das Hier und Jetzt bald eine ziemlich peinliche Vergangenheit sein kann. So ist das Leben. Und weil das so ist, kann man natürlich die eigenen Verbrechen von anno dazumal auch einfach feiern, sich herzlichst darüber lustig machen, sie schulterzuckend hinnehmen oder aber sie sogar tatsächlich wieder aufleben lassen und so tun, als wäre das eh großartig gewesen, damals, in den guten alten Zeiten.
Bevor ich mich weiter schamlos beim Gedankengut meines Kollegen bediene, der neulich die perfekte Einleitung für diese Rezension geschrieben hat, möchte ich hier einhaken. Bleiben wir kurz bei den vom früheren Selbst verfassten Texten. Auch wenn ich gar erst wissen will, was die Herr- und Burschenschaften von All Time Low in ihrer Jugend so auf Papier gebracht haben, so möchte ich hier darauf hinweisen, dass der benachbarte Review von Nothing Personal der älteste auf MusicManiac befindliche aus meiner digitalen Feder ist. Obwohl ich grundsätzlich keine Probleme mit der Vergangenheit habe und über alte Irrungen und Wirrungen des Geschmacks herzhaft lachen kann, im Vorfeld der heutigen Besprechung wollte ich mich tatsächlich nicht dieser Lächerlichkeit preisgeben und besagte Niederschrift noch einmal lesen. Vielleicht ja morgen oder im neuen, bekanntlich wesentlich besser verlaufenden Jahr.
Nun kann ich die Bombe aber platzen lassen: All Time Low haben auch in frühen Jahren keine erwähnenswert guten Songs geschrieben. Spannend zu klären finde ich im Hinblick auf das Quartett, das bemerkenswerterweise seit 2003 in derselben Formation auftritt, ohnehin nur die Frage, wie es seinerzeit bei einem Mini-Label mit dem klingenden Namen Emerald Moon landen und bis heute deren einziges Aushängeschild bleiben konnte. Da es allerdings doch nicht genug juckt um weitere Nachforschungen anzustellen, lieber zum Inhalt ihres Debüts und einzigem Release auf dem Label.
Puh ja, ist schon ein Zeiterl her, seit ich ein Album besprochen habe, das unter dem unglückseligen Banner des 21st Century Pop-Punk firmiert. Immerhin ist ein Album mit dem Namen The Party Scene ein dankbarer Boden für ein Comeback. Aber Obacht! Was nämlich sofort auffällt, ist der Umstand, dass die erste Platte der Band in ihrer Soundausrichtung wesentlich rockorientierter ist, als es seine ungleich erfolgreicheren Nachfolger vermuten lassen würden. Emerald Moon ist eben nicht Hopeless oder Fueled by Ramen (bei denen die Band später jeweils wenig überraschend unterkommen sollte). Das geht sogar soweit, dass sich auf der Tracklist sowohl Prelude und Interlude finden. Simple Instrumentalübungen mithin, nicht ohne Charme und für eine Truppe wie All Time Low vermutlich maximal experimentell, aber letztlich ohne lohnenswerte Meriten.
Generell ist erstaunlich, wie verhältnismäßig uneindringlich die dreizehn Stücke von The Party Scene ihre Runden drehen. Das hat zwar den erfreulichen Effekt, dass man sich kaum an cheesy Hooks und catchy Nonsens stören muss, aber fast ganz ohne eingängige Hooks und Melodien kann dieses Genre nun auch nicht funktionieren. Kein Wunder also, dass da die Titel reihenweise durchlaufen, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Break Out! Break Out!, We Say Summer, I Can't Do The One-Two Step und wie sie nicht all heißen, sie alle probieren es mit einem raueren, aber auf Dauer auch langweiligen Gitarrensound, suchen ihr Heil in dramatischen Refrains und finden... nicht viel. Wären da nicht Prä- und Interludium sowie dieser höchst unpassende, aber irgendwie charmante Autotunebanger-Closer Sticks, Stones and Techno, der zumindest einen kleinen Tupfer in einer Farbe setzt, die man sich nie im Leben freiwillig gekauft hätte, mit der man jetzt, wo sie schon einmal da ist, aber gar nicht so schlecht leben kann, dann, ja dann, würde man vielleicht gar nicht mitbekommen, dass da mehrere Tracks hintereinander anklingen.
Ein nicht unwesentlicher Aspekt ist sicherlich auch, dass Sänger Alexander Gaskarth sich nicht als übermäßig fähiger Sänger erweist. Man muss ihm freilich zu Gute halten, dass er mit siebzehn Jahren einen ordentlichen Job macht und nicht wahnsinnig viel mehr aus seiner Stimme (oder Feder) rausholen kann, das macht das Gesamtergebnis aber nicht viel besser. Gerne gebe ich aber zu, dass mir das hymnische Hometown Heroes; National Nobodies mit seiner Sturm und Drang-Dynamik und den Gott sei Dank nicht besonders aufdringlichen Background-Growls im Refrain auch heute, fünfzehn Jahre nach Veröffentlichung der LP noch ganz gut gefällt.
Viel mehr ist nach oben und nach unten aber nicht drin, weswegen The Party Scene kein kompletter Reinfall ist, aber All Time Low schon am Erstwerk dort landen, wo alle Bands im Pop-Kosmos früher oder später hinkommen: im höchst biederen, unteren Mittelmaß. Und nachdem mir beim Schreiben dieser wenigen Zeilen schon wieder die Lust vergangen ist, jemals wieder das Album zu hören oder diesen Review zu lesen, darf ich feststellen, dass das mit der Unwilligkeit, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten, in manchen Fällen wohl weniger auf persönliche Scham als auf manche unnötige Musiker zurückzuführen sein könnte. Eine steile These, für deren Forschung gerne Crowdfunding-Spenden angenommen werden. Nähere Infos folgen womöglich!