von Mathias Haden, 26.12.2012
Vorhang frei für All Time Low - Baltimores neueste Antwort auf durchschnittlichen Pop-Punk meldet sich mit Album Nummer 3 zurück.
Was haben uns die Jahre 2000-2009 gebracht, sieht man mal von 9/11, einigen Unruhen im Nahen Osten und sogar einer Wirtschaftskrise ab. Wechselt man von den soziopolitischen Aspekten in den Musikbereich, dürfte die Antwort klar sein. Neben wenigen Neuerungen und einigen eigenartigen Persönlichkeiten (Kanye West und Lady Gaga, nur um ein paar zu nennen) sticht das rasante aus dem Boden Sprießen von abertausenden Pop-Punk-Bands hervor. Auf den Spuren der großen Genrehelden Blink-182, den Americana-Offspring, oder New Found Glory traten sie in dieser Dekade aus ihren Schatten. Den Letztgenannten verdankt die 2003 in Baltimore, Maryland, USA gegründete Band All Time Low sogar ihren Namen aus einer Textzeile. Mit ihrem dritten Studioalbum Nothing Personal erreichte das vierköpfige Gespann rund um Sänger Alex Gaskarth 2009 ihren bislang größten Charterfolg. Das Erfolgsrezept? Wenig komplizierte Texte und vier süße Boys, die bei den Mädchen die Herzen höher schlagen lassen. Was sich auf den vorigen zwei Longplayern schon angekündigt hat, sollte hier seinen Höhepunkt finden.
Mit einem gewissen Funken an Skepsis stellt man sich den 12 Tracks und wird schon beim ersten Track auf eine fast schon unheimlich positive Weise überrascht. Denn Opener Weightless weiß durch seinen fesselnden und etwas optimistischen Refrain zu glänzen. Der größte Zweifel ist damit schon beseitigt: auf diesem Schlachtfeld erwartet mich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein 2009er Enema of the State, aber zumindest ein anspruchsvolleres Pop-Punk-Projekt als so manch anderer Müll, den das Genre so abwirft (Cobra Starships‘ furchtbares Hot Mess, das den Namen durchaus verdient, erschien ebenfalls 2009).
Ähnlich geschmackvoll geht es mit Break Your Little Heart weiter, dessen brutalen Titel sich Sänger Gaskarth etwas mehr zu Herzen nehmen und ein bisschen mehr Wut in seine sympathisch klingenden Vocals einfließen lassen hätte können. Trotzdem gelungen, auch wenn der großteils überdurchschnittliche Text manchmal etwas danebengeht. Erwähnenswert ist hier noch, dass der Albumname aus einer Textzeile dieses Songs stammt.
Bis jetzt gar nicht mal so übel, sollte mit dem dritten Titel Damned If I Do Ya (Damned If I Don’t) ja die bislang erfolgreichste Singleauskopplung der Band die nächste Station sein. Nur zu schade, dass dem bescheuerten Namen auch noch der schwächste, weil poplastigste Track folgt. Mit den ersten beiden hat das nichts mehr zu tun, klingt eher nach den Teen-Poppern von Big Time Rush. Nun ja, der Erfolg gibt ihnen Recht und ist nur wieder ein weiterer Beweis in einer Reihe von vielen, dass gute Chartpräsenz nur selten mit qualitativ hochwertiger Musik einhergeht.
Auch Lost in Stereo kann leider nicht an den kraftvollen Auftakt anknüpfen und klingt wie etwa 100 andere Songs, die einem täglich im Radio entgegengeschmettert werden. Schlicht uninspiriert und langweilig. Stella rockt dafür wieder etwas mehr! Zumindest knappe 15 Sekunden, dann ist wieder alles wie gehabt. Mit etwas über 3 Minuten eigentlich ein kurzer Track, mit den endlosen Wiederholungen des Refrains zieht sich diese Angelegenheit allerdings wie ein alter Kaugummi. Trotzdem eine minimale Verbesserung zu den vorigen Songs, auch wenn die immer wieder kehrenden Themen von Liebe und Mädchen langsam zu nerven beginnen. Ein bisschen Abwechslung bringt dafür Sick Little Games, dem ersten gelungenen Stück nach einer gefühlten Ewigkeit. Richtig in Wallungen gerät man allerdings auch nicht, obwohl die Qualität des Textes wieder etwas höher geraten ist.
Richtig zwiespältig wird es mit Hello Brooklyn, einer an und für sich witzigen Partyhymne. Würden nicht schwachsinnige Textpassagen ("Everybody knows there’s a party at the end of the world", "When the world comes crashing down who’s ready to party?") für Naserümpfen und leichte Herzstiche sorgen, könnte man dazu eigentlich tatsächlich ganz gut abfeiern. Bislang nicht viel neues, das steht fest. Etwas, aber nur etwas tiefgründiger wird es mit Walls. Die Wände, die Sänger Gaskarth metaphorisch rund um sich gebaut hat, erinnern entfernt an das Fast-Soloprojekt The Wall, das Proglegende und ehemaligen Ankläger Roger Waters mit seiner Ex-Band Pink Floyd aufgenommen hat (Ohne das Konzeptalbum in irgendeiner Weise beleidigen zu wollen). Endlich mal wieder ein Text über andere Thematiken als Frauen.
Den dramatischen Tiefpunkt erreicht Nothing Personal allerdings mit der Powerballade Too Much. Diese funktioniert insbesondere als längster Track des Albums in keinster Weise und löst mit seinen hunderten Wortwiederholungen höchstens genervte Gefühle aus. Vielleicht war das Grundkonzept gar nicht schlecht, aber das Ergebnis liefert einfach nur too much shit!
Und doch, es geht etwas punkiger! Mit dem offensiven Titel Keep the Change, You Filthy Animal gelingt doch genau das, was man sich von einer Gruppe von Hobbypunkern erwarten kann. Mit einer seit Break Your Little Heart nicht mehr gespürten Frische punktet der Song durch seinen im Vergleich zum Rest intelligenter wirkenden Text und den knackigen Riffs von Leadgitarrist Jack Barakat.
Leider bedarf es wie so oft dem klassischen Dämpfer nach einem gelungenen Stück. Denn mit A Party Song (The Walk of Shame) braucht man sich keinen Illusionen hingeben, der Titel verrät bereits alles. Nichtsdestotrotz muss man sich allerdings keine allzu großen Sorgen machen. Das kindische Partyanthem kommt bei Weitem nicht an das grottige Too Much heran, auch wenn es beim Hören nicht gerade Glücksgefühle auslöst.
Der 12. und letzte Track ist mit Therapy die zweite Ballade, die um Längen besser gelungen ist als die erste. Das Gelbe vom Ei sieht musikalisch und textlich natürlich anders aus, aber All Time Low beweisen, dass sie nicht ganz so ungeeignet für langsamere Nummern sind, wie zuerst befürchtet. Außerdem muss der Titel der logische Lösungsvorschlag für alle Probleme sein, denen man sich beim Anhören von Nothing Personal ausgesetzt hat.
So schlimm war es dann aber doch nicht. All Time Low revolutionieren weder das Genre, noch empfehlen sie sich für größeres Medieninteresse. Aber zumindest einige Tracks liefern eine gelungene Talentprobe ab und retten vor dem Totalausfall, vor allem der Opener überzeugt nachhaltig. Leider zu wenig für die ganz große Euphorie und auch nicht genug für eine Weiterempfehlung für Musikliebhaber außerhalb des Pop-Punk-Territoriums. Mehr rocken, und weniger partymachen sollte die Devise sein, dann klappt es auch wieder!