von Kristoffer Leitgeb, 28.02.2020
Raus aus dem Minimalismus! Rein in den... Minimalismus?
Es ist durchaus möglich, dem Gedanken, man müsste immer mal wieder nach Veränderung suchen und etwas Neues machen, eher ablehnend gegenüberzustehen. Ich muss es ja wissen. Daran ist jetzt nicht viel Negatives, außer man will jemanden wirklich dafür kritisieren, dass er ein und dieselbe Sache auch über einen sehr langen Zeitraum immer noch genauso machen will. Problematisch wird es dann, wenn man etwas macht, das von anderen aufgenommen und bestenfalls gemocht werden soll. Natürlich kann man auch dann auf dem immer gleichen Schmäh sitzen bleiben, das endet aber irgendwann wie bei Mario Barth und das möchte eigentlich niemand wirklich. Ähnliche Versuche im Musikbusiness waren wohl ähnlich erfolgreich wie die des Deutschen mit dem überdimensionierten Publikum, das in alle Ewigkeit beste Beispiel, AC/DC, hält sich damit bis heute an der Spitze. Das ändert allerdings nichts daran, dass nicht nur ihre alten Klassiker heute teilweise eine ordentliche Patina angesetzt haben, sondern ab einem gewissen Punkt jedes neue Album schon mit einer solchen herausgekommen ist. Und sowas macht es langfristig schon relativ schwierig. Deswegen zumindest ein bisschen Abwechslung, ein bisschen Wandlung, damit das Ewiggleiche seine Faszination und Anziehungskraft behält. Agnes Obel dürfte das, "Citizen Of Glass" nach zu urteilen, problemlos hinbekommen.
Ihre dritte LP ist nämlich anders und doch irgendwie gleich. Der neoklassische Stil der Vorgänger ist zumindest in der engeren Definition dahin, elektronische Elemente, prägnante Stimmmanipulationen halten stattdessen Einzug. Das ändert nichts daran, dass die Basis all dessen das Klavier ist und dass ein überwiegender Teil der Akzentuierungen von Seiten der meisterlich eingesetzten Streicher kommt. Der Gesamteindruck ist nichtsdestoweniger ein etwas anderer, der einer etwas unnatürlicheren, verzerrteren Szenerie, die sich atmosphärisch aber mindestens genauso beklemmend gibt wie Obels frühere, gesetzte Arbeit. Im gleichen Atemzug ist sie auch mindestens genauso großartig wie früher. Insbesondere zu Beginn ist man hin und weg von den starken Auftritten der Dänin, die mit der gleichermaßen dezenten wie dramatischen Eröffnung von Stretch Your Eyes einen beachtlichen ersten Schritt macht. Um den kargen Beat sammeln sich das tänzelnde Klavier, die schwerfällig dahinsegelnden, mitunter schrill geratenden Streicher und Obels Gesangsspuren. Die setzen nur sporadisch ein, bringen dann aber auch eine beklemmend unnatürliche Komponente mit, die sich mitunter mit Obels Wanderungen in tieferen Stimmlagen paaren.
So oder so ähnlich setzt Familiar fort. Besser sogar, weil sich die manipulierten Vocals noch besser ins Ganze einfügen, mit Obels eigenartiger Mischung aus schwebender Leichtigkeit und drückender atmosphärischer Schwere perfekt harmonieren und den kristallinen Klaviertönen und formvollen Streicher-Stakkatos gelungen Paroli bieten. Ergebnis ist etwas von dramatischer Wucht, das dafür aber nicht laut sein muss, sondern seine Kraft viel eher aus der mäandernden Ruhe bezieht. Es sind in diesem Sinne alleingelassene Minuten, die sich diffuse Emotionen zunutze machen. Wenig überraschend gilt diese diffuse atmosphärische Kraft auch für Red Virgin Soil, das als Instrumental wenig Anlass für präzise Deutungen gibt. Gleichzeitig ist das galoppierende Bassgezupfe im Paarlauf mit den simplen Klaviernoten und dem prägnanten, blechernen Getrommel die ideale Unterlage für epische Anklänge bei den Streichern und fast orientalische Anklänge in der Rhythmik. Was auch immer es letztlich für einen ausdrückt, von majestätischer Großartigkeit ist es in jedem Fall.
Man wird in der Folge etwas weniger vom Hocker geblasen, was auch damit zu tun hat, dass Obel wieder öfter in angestammtes Terrain zurückkehrt. It's Happening Again oder das abschließende Mary sind zwar dank sich überlagender Stimmeinsätze mit sphärischem Hauch gesegnet, im Kern allerdings reduzierte, neoklassische Kost, deren von Melodramatik befreite Einfachheit einen leicht vereinnahmt. Das soll nicht heißen, dass nicht auch die mit leichtem Experimentalismus kokettierenden Minuten von simpler Reduktion leben. Es ist dabei trotzdem ein Mehr an Eindrücken, das phasenweise eine gewisse Nähe zu den minimalistischen Indie-Pop-Versuchsreihen eines Gotye erkennen lässt. Insbesondere Golden Green erinnert daran, ohne mit seinen steten Xylophon-Klängen aber darauf zu vergessen, mittendrin eine großartige Klavier-Bridge einzubauen. Der Rest ist eine Verflechtung von Gesängen, die dem einsam Mystischen des Albums zuträglich ist. Dass das "Konzept Glas" eine Rolle bei der musikalischen Ausgestaltung gespielt haben könnte, wie es laut Obel doch war, lässt sich wohl auch damit in Verbindung bringen. Weder musikalisch noch gesanglich kennen diese Kompositionen wirkliche Dominanz, stattdessen herrscht eine klangliche Durchsichtigkeit, etwas Zerbrechliches vor, das gerade durch die laufenden stimmlichen Manipulationen auch eine erkennbare Unnatürlichkeit mitbringt.
Gewicht bekommen diese Songs dann fast ausschließlich durch die Dramatik der Streichersätze, wie es in Trojan Horses der Fall ist. Damit ist man dann zwar auch beim etwas unterwältigenden Mittelteil des Albums angelangt, zumindest aber dürfen diese Minuten als exemplarisch für die stilistische Ausrichtung der ganzen LP angesehen werden. Mit dem Titeltrack folgt auch direkt auf dem Fuße eine Aufbesserung genau dessen, was wohl hauptsächlich daran liegt, dass Obel hier davon Abstand hält, ihre Stimme in irgendeiner Weise zu verzerren. Stattdessen ist es vollendete Zurückhaltung, die sich da über kristallin klarem Klavierspiel ausbreitet. Für die Vollendung wird das allerdings noch einmal ins Gegenteil verkehrt und zwar mit Grasshopper, dem zweiten Instrumental, das sich mit metallischen-dissonanten Tastenschlägen vorstellt und diese nicht mehr verliert, lediglich in den Hintergrund rückt hinter klassische Klavierakkorde und gesetzte Streichereinsätze.
Höchstwahrscheinlich sollte man all das besser gehört haben, als nur darüber zu lesen. "Citizen Of Glass" bietet dafür sowieso genug Argumente, um eine ausdrückliche Empfehlung auszusprechen. Agnes Obel ist es nicht nur gelungen, ihrem von Beginn weg vereinnahmenden Stil neue Facetten hinzuzufügen, ohne ihn komplett aufzugeben. Die Dänin hat daraus sogar noch ihr bisher bestes Album gemacht. Hauptverantwortlich dafür ist die Finesse, mit der sie an ihre Arrangements herangeht. Denen fehlt so gut wie nie etwas, gleichzeitig ist die Singer-Songwriterin offensichtlich darauf bedacht, sich konsequent jeglichen unnötigen Beiwerks zu entledigen. Insofern ist ihre dritte LP vielleicht ein Schritt heraus aus dem neoklassischen Minimalismus, minimalistisch bleibt die Angelegenheit aber trotzdem weiterhin. Und das ist gut so, denn dadurch bekommt man die Gelegenheit, sich den kleinen Details in ihren Songs zu widmen, genauso wie die sorgfältig zusammengestellten Bausteine dieser nie daran gehindert werden, ihre volle Wirkung zu entfalten. Mehr geht dann fast nicht.