von Mathias Haden, 25.02.2016
Rumpelnde Resurrektion als Rückbesinnung auf rosige Tage.
Mit einer großen Klappe spricht es sich bekanntlich gut. Viel Raum, um dichte Wortschwaden hinaus zu pressen, viel Volumen, um reichlich Atem zur Verfügung zu haben, das Gegenüber mit pausenlosem Geplapper vom Denken über den oftmals fragwürdigen Inhalt der eigenen Erzählung abzulenken und genügend Reserveluft für den Notfall bereitzuhalten. Steven Tyler weiß, wovon ich spreche, auch wenn er sein bemerkenswertes Mundwerk samt sinnlicher Lippen dem Wunder der Natur und nicht erst seinen zahlreichen Gesichtsverschönerungen zu verdanken hat. Als sich dessen Gruppe Aerosmith Mitte der 70er zu einer der erfolgreichsten Bands der Welt mausern konnte und massenhaft Tonträger verkaufte, hatte man schon relativ wenig zu sagen, wusste aber dank Gitarrist Joe Perry und seinen raffinierten Riffs ordentlich einzuheizen. Schließlich kam aus Tylers Maulwerk nur noch dicke Luft, auch Perry gingen rasch die Ideen aus, machte sich aus dem Staub und die Band bugsierte sich - auch begünstigt durch weitere personelle Umstellungen - immer mehr in Richtung Versenkung.
Aus der kam das bis heute in seiner Form bestehende Quintett nach Perrys Rückkehr und einem
unspannenden Album (Done With Mirrors), als man die erste richtige Entscheidung seit Jahren fällte und erstmals professionelle Songwriter als
zusätzliche Inspirationsquellen engagierte. Das Resultat dieser neuen Marschroute bzw. dieser Bemühung, ein Hitalbum aufzunehmen, nennt sich Permanent
Vacation, findet sich seit dem 31. August 1987 in Plattenläden rund um den Globus und leitete einst den kommerziellen Aufschwung, begleitet von einigen willkommenen Jubelstimmen, ein.
Von diesen Informationen sollte man sich allerdings nicht an der Nase herumführen lassen, auch nicht davon, dass Aerosmith mit einem breitgefächerten Arsenal an Bläsern, Mellotron oder Streichern
und omnipräsenten Blues-Anleihen dem eigenen Sound Größe verleihen zu versuchen. Das allseits bekannte Dude (Looks Like A Lady) baut sich mit seinem
Bläser-Arrangement rund um eine Hornsektion, Posaune und Sax einen gefährlich aufgeblasenen Breitwandsound, gerät trotzdem erst durch den schmierigen Cock-Rock-Text ("Ooh what a funky lady / She like it, like it, like it, like that / Ooh he was a
lady") und Tylers elendes Gequäke auf die schiefe Bahn. Schlimmer ist allerdings Angel, eine der berühmtesten Singles der Band, die als
Paradebeispiel für glatte 80er-Powerballaden herhalten darf. Dramatisch, mit kitschigen Streichern versehen und einfach nicht enden wollend. Auch der Beatles-Klassiker (sorry, aber was von den Beatles ist heute bitte kein Klassiker?) I'm Down wird von rotzigen Gitarren
und schiefen Tönen regelrecht vergewaltigt, ohne McCartneys Verletzlichkeit und beseelte Performance, die dem Original das gewisse
Extra verpassten, adäquat zu ersetzen.
Auch an anderer Stelle wird eifrig geradeaus gebolzt. Schon Opener Heart's Done Time kombiniert präsente, hallende Drums mit kernigen Gitarrenwänden, lässt sich aber in der Hook zu sehr gen Stadionhymne treiben. Ähnlich straight gibt sich Simoriah, einer der unauffälligeren Tracks der LP, der gerade damit ordentlich punktet und ohne extravagante Produktionseinlagen und reißerischer Hook bestens auskommt - in seiner vermeintlichen Schlichtheit locker einer der Höhepunkte hier. Im Gegensatz dazu steht Girl Keeps Coming Apart, Einbahnstraßenrumpelrock mit sanften, durch die smoothe Mundharmonika bedingten, Blues-Elementen, aufdringlichem Bläserensemble und cheesy Gitarrensoli.
Weil Permanent Vacation trotz seiner offensichtlichen Makel aber deutlich inspirierter und gehaltvoller anrauscht, als die unmittelbar vorangegangenen Alben, ist man doch gewillt, ein paar Augen zuzudrücken. Hangman Jury, seineszeichens interessante Wahl für eine Lead-Single, übernimmt sich zwar in seinen hochgeschraubten Ambitionen, und büßt nach einiger Zeit immer mehr von seiner anfänglichen Faszination ein, beginnt aber tatsächlich als großartiger Akustikblues mit präziser Harmonika und lässigem Gezupfe und selbst das im Vorhinein ("I'm feelin' like a bad boy / Mmm, just like a bad boy / I'm rippin' up a rag doll / Like throwing away an old toy") zum Scheitern verurteilte Rag Doll funktioniert als rüpelhafte Rock 'n' Roll Nummer mit ordentlich Swing; da wirkt selbst das Horn Arrangement nicht übermäßig deplatziert. Und weil auch Tyler selbst mit seiner großen Klappe einigermaßen im Rahmen bleibt und sogar die karibischen Einflüsse am Titeltrack in Verbindung mit crispen Gitarrenlicks besser harmonieren als erwartet, zielt die neunte Studio-LP der Bostoner mit voller Kraft voraus in das Herz des Durchschnitts. Die Rückbesinnung auf alte Tugenden und Vorzüge scheint ebenso zu fruchten wie die Blues-Einflüsse, die in den Jahren zuvor weniger zum Genuss beitragen konnten. Trotzdem bleibt Permanent Vacation dank einiger mediokrer Nummern und den üblichen Problemen wie Tylers übertriebenem Gekrächze letztlich nur ein Zwischenstopp auf dem Weg zur längst verloren geglaubten Stärke von Nachfolger Pump zwei Jahre später - als Aerosmith endlich wieder mehr waren als große Klappe und ödes Geschrammel.